ENTWICKLUNG VON KINDERN SUBSTANZABHÄNGIGER MÜTTER

 

 

 

ENDBERICHT

IM MAI 2002

KURZFASSUNG

 

ERNST BERGER

THOMAS ELSTNER

NEUROPSYCHIATRISCHE ABTEILUNG FÜR KINDER UND JUGENDLICHE

am

NEUROLOGISCHEN KRANKENHAUS ROSENHÜGEL

gemeinsam mit der

ARBEITSGRUPPE REHABILITATION / INTEGRATION

der

UNIVERSITÄTSKLINIK FÜR NEUROPSYCHIATRIE DES KINDES- UND JUGENDALTERS

 

KINDERNEUROPSYCHIATRISCHE EVALUATIONSSTUDIE

1995 – 2001

DES WIENER COMPREHENSIVE CARE PROJECTS

 

 

mit Unterstützung des

MEDIZINISCH – WISSENSCHAFTLICHEN FONDS DES BÜRGERMEISTERS DER BUNDESHAUPTSTADT WIEN

Projekt Nr. 1618

 

 

 

Neuropsychiatrische Abteilung für Kinder und Jugendliche am Neurologischen Krankenhaus Rosenhügel (Vorstand: Univ. Prof. Dr. Ernst Berger)

in Kooperation mit der

Arbeitsgruppe für Rehabilitation und Integration (Leiter: Univ. Prof. Dr. Ernst Berger)

an der Univ. Klinik f. Neuropsychiatrie d. Kindes- u. Jugendalters (Vorstand: Univ. Prof. Dr. Max Friedrich)

 

PROJEKTTEAM:

Univ. Prof. Dr. Ernst BERGER (Projektleiter)

Dr. med. Thomas ELSTNER

Dr. med. Sabine FIALA – PREINSPERGER

Unter Mitarbeit von:

Dr. phil. Bibiana SCHUCH (Univ. Klinik f. Neuropsychiatrie d. Kindes- u. Jugendalters)

Dr. phil. Bo OLSSON

DSA Lieselotte MAYER

 

STATISTIK – BERATUNG:

Heinz TÜCHLER

 

Sekretariat:

Inge PROCHASKA

 

KOOPERATIONSPARTNER:

Univ. Prof. Dr. Gabriele FISCHER (Psychiatrische Univ.-Klinik)

Univ. Prof. Dr. Martin LANGER (Univ. Frauenklinik)

Univ. Prof. Dr. Manfred WENINGER (Univ. Klinik f. Kinder- und Jugendheilkunde)

1. ALLGEMEINES:

Vorauszuschicken ist, dass alle in der Folge zusammengefassten Aussagen und Schlussfolgerungen auf den Hintergrund der Bedingungen des comprehensive care – Projekts zu beziehen sind und somit nicht als allgemeine Aussagen über kindliche Entwicklung im Zusammenhang mit Drogenkonsum der Mütter zu werten sind.

2. EPIDEMIOLOGIE

Da im Studienzeitraum fast alle schwangeren Frauen, die sich in Substitutionsbehandlung befanden, an die Universitätsfrauenklinik zur Entbindung kamen (A. DAVID, Drogenbeauftragter der Stadt Wien, pers. Mitteilung), können aus den Daten der Evaluationsstudie folgende epidemiologische Schätzungen abgeleitet werden:

Die Gesamtzahl der unter den genannten Bedingungen im Zeitraum von 4;6 Jahren geborenen Kinder betrug N=135. Davon konnten 38 Kinder trotz Information und Empfehlung nicht ins Nachbetreuungsprojekt übernommen werden. Dies lässt unter den gegebenen epidemiologischen Bedingungen des Drogenkonsums die Schlussfolgerung zu, dass in Wien jährlich etwa 35 Kinder von substanzabhängigen Müttern in Substitutionsbehandlung geboren werden, von denen im Rahmen des comprehensive care – Projekts N=25 (71,4%) in eine langfristige Nachbetreuung eingebunden werden können.

3. STUDIENGRUPPE:

Die Studiengruppe kann als unausgelesen gelten, da alle Mutter – Kind – Paare aufgenommen wurden, die innerhalb des angegebenen Zeitraums anfielen und den Einschlusskriterien entsprachen.

Als Vergleichsgruppe konnte die von BERGER (1982) publizierte entwicklungsneurologische Längsschnittstudie herangezogen werden: Die nach biologischen und psychosozialen Kriterien als low-risk-Gruppe definierte Klientel von ursprünglich N = 157 Kindern wurde bis zum Ende des 3. Lebensjahres nachuntersucht.

Die Betreuungskontinuität (Compliance) ist mit 34,0 –77,2% (median 59,1% ) für eine klinische Evaluationsstudie als zufriedenstellend zu bezeichnen. In der Vergleichsgruppe von BERGER (1982) lagen die Teilnahmequoten zwischen 45,8% -72,6%.

Dennoch sind methodische Verzerrungen nicht mit Sicherheit auszuschließen, da weder über die „drop – out - Gruppe 1", noch über die „drop – out – Gruppe 2" (s. Abschn. 5.1.) Angaben vorliegen. Dies ist der Tatsache zuzuschreiben, dass die vorliegende Studie eine klinische Evaluationsstudie ist und nicht den Anforderungen an ein experimentelles Design entspricht.

 

4. BIOLOGISCHE RISKEN UND FOLGEN

Das biologische Risiko ist unter den Bedingungen einer konsequenten Substitutionsbehandlung insgesamt als gering zu veranschlagen, steigt jedoch bei zusätzlichem Drogenkonsum deutlich an. Auch der parallele – oft beträchtliche – Nikotinkonsum spielt als pränataler Risikofaktor eine beachtliche Rolle. Folgende mögliche Konsequenzen und Zusammenhänge sind hier zu nennen:

Der Frühgeburtlichkeit – einer der zentralen Risikofaktoren bei Drogenkonsum - kann unter comprehensive care – Bedingungen erfolgreich vorgebeugt werden (Schwangerschaftsdauer Mittelwert 37,9 Wochen).

Die Dauer des neonatalen Entzugssyndroms – nach unseren Ergebnissen ein zentraler Risikoparameter für spätere Entwicklung (s. Sensomotorikskalen) - konnte im Rahmen der comprehensive care – offenbar vorwiegend durch Verringerung des Zusatzkonsums bzw. durch Wechsel der Medikation (Morphin statt Phenobarbital) – deutlich reduziert werden. Aufgrund hoher Kreuzkorrelationen kann dieser – leicht erhebbare - Parameter als zentraler Indikator für pränatale biologische Risikobelastung gewertet werden. Eine längere Dauer findet sich vorwiegend bei Zusatzkonsum von Benzodiazepin.

Pränatale Dystrophie (20,9%) und Mikrozephalie (13,7%) als Zeichen beeinträchtigter vorgeburtlicher Entwicklung treten bei einem kleinen Prozentsatz der Kinder auf und finden sich insbesondere bei ausgeprägtem Zusatzkonsum inklusive Nikotinkonsum. Geringe - vorwiegend faciale – Dysmorphiezeichen sind ebenfalls mit Zusatzkonsum korreliert.

Die hochsensible Untersuchungsmethode der frühkindlichen Spontanmotorik (GM´s nach PRECHTL) zeigen bei einer kleinen Gruppe Auffälligkeiten die deutlich mit dem Zusatzkonsum korrelierten. Vermutlich sind die GM´s auch als Prognosefaktor späterer kognitiver Entwicklung zu werten.

Ein Rückstand in der statomotorischen Entwicklung im 1. Lebensjahr findet sich bei einer kleinen Zahl von Kindern (5,3%), bei denen ähnliche Bedingungen feststellbar sind: eine Kombination aus biologischen und psychosozialen Risikofaktoren (Polytoxikomaner Zusatzkonsum in der Schwangerschaft, protrahiertes Entzugssyndrom, fluktuierende Betreuung und / oder Interaktionsstörungen in der frühen Kindheit). Vier dieser Kinder waren bleibend mikozephal und zeigten auch eine leichte kognitive Beeinträchtigung.

Die scheinbare „Verzögerung" der motorischen Entwicklung im 1. Lebensjahr, die auf der Kinästhetik - Skala aufscheint, ist als Ausdruck des protrahierten Verlaufs des neonatalen Entzugssyndroms – und nicht als Entwicklungsparameter zu werten und entspricht eher einem leichten Übererregbarkeitssyndrom. Diese Symptomatik ist völlig reversibel.

 

5. PSYCHOSOZIALE RISKEN UND FOLGEN

Psychosoziale Risikobelastung spielt insgesamt die quantitativ bedeutsamere Rolle. Sie ist einerseits als Tendenz zur Interaktionsstörung beschreibbar und andererseits als Tendenz zur Instabilität der Betreuungsfunktionen, die schließlich zur Überstellung des Kindes auf einen Pflegeplatz führen kann. Auch bei diesen Parametern besteht ein deutlicher Zusammenhang mit Zusatzkonsum (als Ausdruck intrapsychischer und Ursache psychosozialer Instabilität).

Die kognitive Entwicklung sowie die Häufigkeit von psychopathologischen Symptomen und von Verhaltensauffälligkeit zeigen in der hier überblickten Entwicklungsspanne nur mäßige Auffälligkeiten; allerdings sehen wir Hinweise auf eine steigende Tendenz im nächsten Entwicklungsabschnitt.

5.1. Deutliche Interaktionsstörungen zeigen sich bei mehr als 1/4 (26,2%) der Kinder und bei weiteren 45,2% beeinträchtigte Beziehungen. In der Gruppe der leiblichen Mütter sind diese Relationen deutlich ungünstiger als in der Gruppe der Pflegemütter. Da die Beurteilung der Videos durch eine externe Untersucherin (quasi „blind") erfolgte, kommt dieser Beobachtung besonderes Gewicht zu.

5.2. Die Instabilität der Betreuungssituationen – laut Beurteilung der SozialarbeiterInnen

des Jugendamtes – lässt sich anhand der Zahl der Überstellungen in andere Pflegesituationen quantifizieren: unmittelbar nach der Geburt liegt diese Zahl bei 32,6% und steigt bis zum Ende der Evaluationsstudie auf 48,4%. Diese Daten können als externer Parameter betrachtet werden, da die Entscheidungen des Jugendamtes in der Praxis nur in seltenen Fällen auf eine kinderpsychiatrische Empfehlung gestützt werden.

5.3 Psychopathologische Auffälligkeiten (Expertenurteil) finden sich bei 21 % der Kinder;

Verhaltensauffälligkeiten (Elternurteil) bei 14,3% (ansteigend auf 26,6%).

5.4. Die kognitive Entwicklung zeigt anfänglich Hinweise auf eine geringe Verzögerung des Erwerbs lautsprachlicher Komponenten und später eine geringe negative Abweichung in allen Bereichen. Diese Zusammenhänge sind nur schwer kausal interpretierbar, da sie innerhalb eines komplexen Netzes multifaktorieller Wechselwirkungen liegen: biologische Risken (Dauer des Entzugssyndroms, bleibende Mikrozephalie, Auffälligkeiten der GM´s) spielen ebenso eine Rolle wie psychosoziale Parameter. Wir können keine verlässliche Aussage treffen, ob es sich um einen mit dem Substanzkonsum verknüpften spezifischen Effekt handelt, oder um einen Effekt, der mit allgemein mit sozioökonomischen Gegebenheiten im Zusammenhang steht. Im Sinne eines spezifischen Effekts wäre folgende Interpretation zu erwägen: die festgestellten Störungen von Interaktion und Beziehung finden ihre hauptsächliche Auswirkung in einer mangelnden Anregung der sprachlichen und kognitiven Entwicklung. Diese Interpretation kann allerdings durch die vorhandenen Daten nicht gestützt werden, da zwischen kognitiver Entwicklung einerseits und Interaktionsstörungen und Betreuungsinstabilität andererseits keine entsprechenden Korrelationen vorliegen.

5.5. Das Problem der Beurteilung der Pflegesituation und ihrer Auswirkungen hat im Kontext des Drogenkonsums zentralen Stellenwert: Meist wird die Frage gestellt, ob es für die kindliche Entwicklung günstiger ist, Überstellungsentscheidungen großzügig zu treffen oder die Kinder möglichst lange bei ihren Müttern zu lassen. Wir sind zur Überzeugung gelangt, dass eine globale Antwort auf die so gestellte Frage nicht möglich ist und wollen versuchen Anhaltspunkte zur Beantwortung dieser zentralen Frage zusammenzufassen:

In der Gruppe der Pflegemütter ist die Häufigkeit von Interaktionsstörungen geringer.

Eine Retardation der Entwicklung mit 12 Monaten war signifikant mit einer Überstellung im 2. Lebensjahr korreliert und ein Betreuungswechsel im 1. Lebensjahr ist mit einer guten Entwicklung mit 24 Monaten korreliert. Vermutlich bedeutet das, dass ein erhöhtes prä- und perinatales Risiko sowie früh merkbare Betreuungsinstabilität mit früher und stabiler Pflegeüberstellung verknüpft ist, die ihrerseits möglicherweise protektive Wirkungen entfaltet.

Andererseits gibt es auch resiliente Entwicklungen, die zu einer Stabilisierung der gesamten Lebenssituation und damit auch der Mutter-Kind-Beziehung führen.

Eine idealtypische Vereinfachung könnte durch folgendes Bild dargestellt werden: Bei den Kindern die primär bei ihren Müttern verbleiben, gibt es zwei unterschiedliche Verlaufsformen:

a) „günstiger Verlauf":

Ein größerer Teil der Mütter stabilisiert sich zunehmend. Ein Teil der Mütter nimmt im zweiten Lebensjahr einen Beruf oder eine berufliche Umschulung wieder auf. Neben einer tragfähigen Partnerschaft ist die Hilfestellung durch Verwandte (oft die eigene Mutter) ein wesentlicher Faktor dabei. Inhaltlich treten bei den Kontrolluntersuchungen zunehmend Erziehungs- und Entwicklungsfragen gegenüber dem Drogenthema in den Vordergrund. Tendenziell bleiben jedoch hinter einer sozialen Stabilisierung emotionale Probleme länger bestehen.

„ungünstiger Verlauf":

Bei einem kleineren Teil der Mütter zeigt sich bald nach der Geburt, dass die inneren und äußeren Ressourcen zur Betreuung eines Säuglings nicht ausreichen. Depression und Isolation auf der einen, Zusatzkonsum auf der anderen Seite bedrohen die Mutter – Kind – Beziehung. Trotz Angebot zusätzlicher Unterstützungsmaßnahmen kommt es in einem Teil der Fälle zu einem vom Jugendamt initiierten Betreuungswechsel des Kindes in eine Pflegefamilie, teilweise auch unter turbulenten Umständen. Manchmal übernimmt ein Großelternteil offiziell die Pflege, oft in der Hoffnung dass die Mutter das Kind zu einem späteren Zeitpunkt betreuen kann.

In der Gesamtgruppe von 95 Müttern finden sich folgende Häufigkeitsverteilungen: etwa 1/3 primäre Überstellung, etwa 1/3 spätere Überstellung (in den ersten Jahren), etwa 1/3 Stabilisierung.

Entscheidungen über die Gestaltung der Pflegesituationen sollten daher auf häufigere und hochfrequente Beobachtungen gestützt werden; die Parameter von Zusatzkonsum und Qualität der Mutter-Kind-Interaktion (methodengeleitetes Expertenurteil!) sollten dabei Berücksichtigung finden.

 

6. ZUSAMMENFASSUNG:

6.1. Die vorliegende Evaluationsstudie kann aufgrund ihres hohen Erfassungsgrades und aufgrund ihrer relativ hohen Kontinuität (Compliance) für die Entwicklungsbedingungen von Kindern drogenabhängiger Mütter in Substitutionsbehandlung unter den beschriebenen Bedingungen der comprehensive care als repräsentativ gewertet werden, wenngleich systematische Verzerrungen aufgrund der nicht näher definierbaren Ausfallsquoten nicht mit Sicherheit auszuschließen sind.

6.2. Das Risiko einer Beeinträchtigung der Entwicklung durch vorgeburtliche biologische Einflüsse, die mit dem Drogenkonsum in unmittelbarem Zusammenhang stehen ist sehr gering. Dieses Risiko steigt jedoch dann deutlich an, wenn die ärztlich geleitete Substitutionsbehandlung durch Zusatzkonsum ergänzt wird. Dementsprechend kommt der Kontinuität und der fachlichen Kompetenz der Substitutionsbehandlung besonderer Stellenwert zu. Der fast stets vorhandene begleitende Nikotinkonsum ist als relevanter, im vorliegenden Kontext aber unspezifischer Risikofaktor in Rechnung zu stellen.

6.3. Zentrale perinatale Risikofaktoren – Frühgeburtlichkeit, intrauterine Dystrophie, neonatales Entzugssyndroms – konnten im Rahmen des Betreuungsnetzes günstig beeinflusst werden.

6.4. Im Bereich psychosozialer Risken spielen Beeinträchtigungen der Mutter – Kind – Interaktion und Instabilität der Betreuungsfunktionen die zentrale Rolle. Vermutlich sind auch diese Faktoren vor allem für die psychischen Konsequenzen in der Entwicklung der Kinder verantwortlich: bis zum 6. Lebensjahr bilden sich bei etwa 1/5 bis ¼ der Kinder psychopathologische Symptome und Verhaltensstörungen geringer Intensität aus und die kognitive Entwicklung verläuft geringfügig verzögert.

6.5. Die Betreuungsinstabilität ist bei etwa 1/3 der Kinder primär (bald nach der Geburt) und insgesamt bei fast der Hälfte der Kinder Anlass für die Überstellung auf Pflegeplätze (manchmal im Kreise Verwandter). Der Rahmen der Pflegefamilien scheint günstige Voraussetzungen für die weitere Entwicklung der Kinder zu bieten (weniger Interaktionsstörungen, günstige Entwicklungsverläufe).

6.6. Besondere Beachtung verdienen jene Mutter – Kind – Paare, bei denen es mit Unterstützungsangeboten zu einer kontinuierlichen Stabilisierung der Lebenssituation und der Mutter – Kind – Beziehung kommt: Berufstätigkeit, Partnerschaft und allgemeine Erziehungsfragen treten in den Vordergrund der Beratungsgespräche, während das Thema des Drogenkonsums sukzessive an Bedeutung verliert, wenngleich Elemente emotionaler Instabilität bestehen bleiben.

6.7. Die vorliegenden Ergebnisse stützen die Einschätzung, dass es sich bei dieser Population um eine Hochrisikogruppe handelt, die eines engmaschigen Betreuungsangebotes von hoher fachlicher Kompetenz und multidisziplinärer Struktur bedarf.

6.8. Die vorliegenden Ergebnisse können für die Praxis der Jugendwohlfahrt insofern eine Entscheidungshilfe darstellen, als Entscheidungen über eine Trennung der Kinder von ihren Müttern nicht als großzügige Primärstrategie getroffen werden sollten, sondern die Möglichkeiten einer Stabilisierung der Lebenssituation durch adäquate Unterstützungen ausgelotet werden sollen. Entscheidungen zur Trennung sollten – außer in akuten Notständen – nach längerfristigen und hochfrequenten Beobachtungen unter fachlicher Beurteilung der Mutter – Kind – Interaktion getroffen werden.

6.9. Der entscheidende Wirkfaktor der Risikominimierung war im Rahmen des beschriebenen Betreuungsprojekts zweifellos das Konzept der „comprehensive care" – das multidisziplinäre „Netz von Helfern", das Kontinuität und Kooperation auf hohem Niveau von Fachkompetenz gewährleistet.

 

7. AUSBLICK

Mit dem Abschluss der Evaluation sind folgende Perspektiven unklar:

Im letzten Jahr ist es zu einer wachsenden Diversifikation der Betreuung drogenabhängiger schwangerer Frauen gekommen: Substitutionsbehandlung, Schwangerschaftsbetreuung, Entbindung und neonatale Betreuung liegen immer häufiger nicht innerhalb eines Kooperationsnetzes – sind somit nicht Teile eines comprehensive care – Angebotes – sondern werden an verschiedenen Stellen des Gesundheitssystems durchgeführt. Es erscheint vorerst fraglich, ob unter diesen Bedingungen die oben genannten Erfordernisse der Kontinuität und Fachkompetenz gewährleistet werden können. Jedenfalls müssen intensive Bemühungen unternommen werden, durch Maßnahmen der Schulung und Information auch unter den neuen Bedingungen den Betreuungsstandard aufrechtzuerhalten.

Internationale Erfahrungen weisen darauf hin, dass einige Problemkreise in der Entwicklung der Kinder erst nach Schuleintritt manifest werden. Dementsprechend wäre es notwendig, sowohl das Betreuungsprojekt, als auch das Evaluationsprojekt um etwa 4 Jahre (Grundschulabschluss) auszudehnen. Die erforderlichen organisatorischen Voraussetzungen dafür müssten erst geschaffen werden.