In Wien entwickelte sich nach London und Paris eine dritte dermatologische Schule in Europa, die um Mitte des 19. Jahrhunderts eine führende Rolle spielte. Die Besonderheit Wiens bestand darin zu sehen, dass die Einrichtung der universitären Abteilung zugleich mit der Ernennung eines Professors für das jeweilige Fach geschah, was weder in London noch in Paris der Fall gewesen war.
1849 wurden zwei Kliniken, eine für Syphilis (4.März) und eine für Hautkrankheiten (18. Dezember) gleichzeitig mit der Ernennung eines Professors für diese Fächer gegründet und im Allgemeinen (Universitäts-) Krankenhaus in Wien angesiedelt. Betten für venerische und hautkranke Patienten gab es aber schon Jahrzehnte früher.
Die mit der Professur betrauten Herren waren Carl Ludwig Sigmund (1810-1883), gebürtig aus Schässburg (Szigetvàr, Sighisoara), Siebenbürgen, Regnum Hungariae, und Ferdinand Carl Franz Hebra (1816-1880), gebürtig aus Brünn (Brno), Mähren, Königreich Böhmen. Gleich von Anfang an wurden beide Subdisziplinen, Venera und Hautkrankheiten, an beiden Kliniken versorgt. Hebra baute auf den Londoner und Pariser Erfahrungen Robert Willans bzw. Pierre-Francois-Olive Rayers auf und übernahm dabei auch das alte Wiener Erbe Joseph Plencks (1735-1807), dessen Doctrina de morbis cutaneis, lateinisch, Wien 1776, die noch heute gültige Klassifikation der Hautkrankheiten nach der Effloreszenzenlehre ins Leben gerufen hatte. Willan hatte Plencks Anregung aufgenommen und erfolgreich modifiziert, er wird auch bereits im ersten Faszikel des Willanschen Buches 1789 zitiert.
Plenck war Professor für Chirurgie und Geburtshilfe an den Universitäten Tyrngau (Nagyszombat/Trnava), damals in Ungarn, heute in der Slowakei, später in Buda und in Pest, ab 1783 in Wien, ab 1785 als Professor für Chemie und Botanik an der militärisch-medizinischen Akademie (Josephinum), zuletzt als Sekretär der Akademie. John Crissey, der Großmeister der Geschichte der Dermatologie, verglich ihn mit Mozart, in dessen Nachbarschaft er ja wohnte (Weihburggasse vis-á-vis Domgasse) "an unusual man who generated medical literature much as his neighbor, Wolfgang Amadeus Mozart, generated works of music- constantly, in prodigious quantity and throughout all his life" Im Geschichtsbewußtsein der österreichischen Dermatologen wird sowohl das Andenken Plencks als auch jenes an die Nachfolger Sigmunds und Kaposis vom übermächtigen Schatten Hebras und seines Nachfolgers und Schwiegersohnes, überdeckt.Sigmund war zugleich Venerologe, Hygieniker, Epidemiologe und sozusagen medizinischer Diplomat, polyglott, weitgereist. Er folgte der Schule Ricords und Bassereaus, war mit unzähligen europäischen Orden ausgezeichnet worden und als Ritter von Ilanor geadelt.
Hebra, dessen väterlicher Vorfahr aus dem Odenwald kam, hatte ein außergewöhnliches didaktisches Talent, seine Vorlesungen waren weithin berühmt. Er wurde als Ritter geadelt. Hebras Sohn Hans war ebenfalls Dermatologe, Nachfolger wurde allerdings der zuerst an der Sigmundschen Klinik für Syphilis habilitierte Moriz Kaposi (1837-1902), der Martha Hebra, des Meisters Tochter geheiratet hatte. Sozusagen umgekehrt, folgt nun Sigmund dann Isidor Neumann (1832-1906), der sich zuvor bei Hebra für Hautkrankheiten habilitiert hatte. Es war Neumann, der als oftmaliger Berater der k.(u.)k. Regierung auf allen Ebenen genug Einfluss besaß, um vor seiner Emeritierung die Systemisierung beider Kliniken und die Einführung beider Fächer als Prüfungsdisziplinen für Studenten der Medizin zu erreichen. Die Bezeichnungen lauteten damals als Klinik für Haut- und Geschlechtskrankheiten bzw. Klinik für Geschlechts- und Hautkrankheiten.
Mit dem Tode Kaposis 1902 und Neumanns 1906, ging eine große Epoche der Wiener Dermatologie vorerst zu Ende. Ernest Finger (1856-1939) wurde Nachfolger Neumanns, Gustav Riehl (1855-1943) jener Kaposis. Auf diese folgten Wilhelm Kerl (1880-1945) und Leopold Arzt (1883-1955), beide 1938 relegiert, 1945 wieder eingesetzt. Kerl starb allerdings noch im Mai 1945. Während der deutschen Okkupation waren beide Kliniken zusammenglelegt worden; 1945 wurden sie wieder getrennt. Mitte der fünfziger Jahre wurde eine neuerliche Umbenennung in I. Universitäts-Hautklinik (ehemals Hebra) und II. Universitäts-Hautklinik (ehemals Sigmund) vorgenommen. Albert Wiedmann (1901-1970) folgte auf Wilhelm Kerl, Josef Tappeiner (1909-1996) auf Leopold Arzt, diesen wieder folgten Gustav Niebauer (1924-1988) und Klaus Wolff (1935). Letzter Vorstand der II. Hautklinik war Walter Gebhart (1940). 1992 wurden beide Kliniken wieder vereinigt, in das Neue Allgemeine Krankenhaus umgesiedelt, und diese vereinigte Hautklinik zugleich in drei selbstständige Abteilungen gespalten: Allgemeine Dermatologie, geleitet von Klaus Wolff, Immundermatologie und infektiöse Hautkrankheiten, geleitet von Georg Stingl und Spezielle Dermatologie und Umweltdermatosen, geleitet von Herbert Hönigsmann. Hubert Pehamberger folgte Klaus Wolff nach dessen Emeritierung 2004 als Leiter der Abteilung für Allgemeine Dermatologie und 2008 Herbert Hönigsmann als Vorstand der Klinik nach.
Wie soll man nun über zweieinhalb Jahrhunderte die Entwicklung der Dermatologie und Venerologie in Wien sehen? Ursprünglich, und wie überall, waren venerische Patienten meist in Obhut von Chirurgen, Hautkranke bei den Internisten. In Wien wurde erstmals eine akademische Einrichtung geschaffen, deren Vorstände Hebra undSigmund jeweils an die vier Jahrzehnte in ihren Lehrstühlen wirkten und damit ihren Lehren Bestand sichern konnten. Als Ironie der Geschichte darf dabei gesehen werden, dass es ausgerechnet ein geborener Wiener war (Plenck), der die Basis für die Effloreszenzenlehre créiert hatte. Die besonderen Begabungen der ersten Klinikchefs wurden bereits erwähnt, ihre NachfolgerKaposi und Neumann gehörten aber gleichmaßen zu den Großen des (Doppel)faches. Mit der Betrauung Wiens als Ort des zweiten internationalen Kongresses für Dermatologie (1892) wurde die Bedeutung unserer Schule in der Welt auch gebührend anerkannt. Das aus Wien erscheinende (in den ersten vier Jahren in Prag gedruckte) Archiv für Dermatologie und Syphilis wurde zur führenden Zeitschrift, die Wiener Dermatologische Gesellschaft hatte vor Beginn des I. Weltkrieges schon über 300 Mitglieder. Jeder Dermatologe von Rang, mußte in London, Paris und Wien gewesen sein, die "grand-tour" absolviert haben, wollte er Erfahrung demonstrieren. All das versank aber mit der Zertrümmerung des alten Reichs, mit Not, Inflation, Bürgerkrieg, Okkupation und II. Weltkrieg, tief in die Geschichte.
Die Geschichte ist aber voll von Ironien. Hier eine weitere. John Crissey (siehe oben) lebt heute als Eremitus in Pasadena, USA. Er kam nach seiner Promotion als Offizier der amerikanischen Besatzungsmacht nach Wien, musste sich um Venera und Dermatosen bei Soldaten kümmern und ging an die Hautklinik um dort neben Leopold Arzt zu sitzen, die Fälle zu studieren und sich dem Reich der Schuppen und Spirochaeten weiter zu nähern. Er wurde zum führenden Historiker des Faches und hat im Standardwerk die sehr bedeutende Rolle Wiens (siehe oben Plenck und Mozart) exemplifizeirt. Stationiert war er in jenem Gebäude in welchem der Schreiber dieser Zeilen geboren wurde, der selbst, viele Jahre später in der Geburtsstadt Crisseys (Buffalo) seine Ausbildung in den USA bei Ernst Beutner vervollständigte.
Klaus Wolff, aus der selben Region stammend wie Carl Sigmund, trat am 15.März 1962 in die I. Hautklinik ein. Am 25. Oktober desselben Jahres reichte er seine Arbeit über die ATPase Aktivität der Zellen der menschlichen Haut beim "Archiv" ein. Diese Publikation war sozusagen ein Kanonenschuß, der eine Lawine auslöste. Mit der Langerhanszell-Forschung startete Wolff eine Entwicklung, die das Verständnis und Wissen um die Immunologie, nicht nur der Haut, in einer Art und in einem Ausmaß vergrößert hat, das vor gut 40 Jahren unvorstellbar war. Wolff ist zur überragenden Figur der Wiener und österreichischen Dermatologie in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts geworden und aus seiner Schule ist der Grossteil der heutigen Führungsgestalten gekommen. Wien ist heute in der Dermatologie wieder so bekannt wie vor hundert Jahren. Beim Tricontinental Meeting der drei Societies of Investigative Dermatology (USA, Europa, Japan) in Kyoto 1993, rangierte Österreich nach den USA, Japan, Deutschland und Großbritannien jeweils an fünfter Stelle, was die eingegangenen Beiträge betraf, was die angenommenen Beiträge anging und auch was die physischen Teilnehmer in Betracht zog.
Seit 1995 existiert unter der Patronage der beiden Kliniken, der ÖGDV bzw. des Autors, im Institut für Geschichte der Medizin eine spezielle dermato-historische Bibliothek, nach den großzügigen Spendern Max und Margareta Wolf Bibliothek für die Geschichte der Dermatologie, benannt. Max Wolf hatte bis 1938 auf dem Stephansplatz 8 ordiniert, nach seiner Emigration an der Park Avenue in New York City, USA. Das kinderlose Ehepaar war bibliophil, generös und mit dem Autor befreundet. Nach dem Tode Maxens, stiftete Margareta Wolf seine über 1.000 medizinischen und medizinisch-historischen Bücher dem oben genannten Institut, wo sie unter der Vermittlung der Austrian-American-Foundation vertraglich lokalisiert sind. Die (damalige) medizinische Fakultät, ebenso wie ÖGDV, haben dieser Aufstellung zugestimmt und den Autor als Kurator eingesetzt.
Wie es mit dem Fach weitergehen wird ist ungewiss. Historisch folgte die Unifikation von Chirurgie und Medizin, die medicina universa und parallel dazu die Aufspaltung in Spezialfächer. Heute erleben wir eine Fragmentation aller Disziplinen und einen Kampf ums Geld. Fast alles darf angepriesen und auch gemacht werden. Wien hat eine mächtige Position in der Dermatologie, möge sie der neuen Medizinischen Universität erhalten bleiben.
Autor: Karl Holubar
(Professor emeritus für Dermatologie und Geschichte der Medizin)