Der Mann galt lange in der Medizin als Prototyp des Menschen. Selbst in Tierversuchen werden männliche Tiere zur Erforschung von Medikamenten nach wie vor bevorzugt. Dass Frauen nicht einfach kleinere Männer sind und es daher Unterschiede in der Diagnose, dem Verlauf und der Therapie von Krankheiten gibt, findet erst langsam Einzug in unsere Gedankenmuster.
Die Gender Medicine geht allerdings über die rein auf dem Genom beruhende, personalisierte, Medizin hinaus, indem sie die soziokulturelle Dimension berücksichtigt. „Das ist enorm wichtig, da soziokulturell geprägte Phänomene wie Lebensstil, Stress, Umwelt über das Epigenom auf die Biologie wirken und medizinische Grundlagen beeinflussen.“ betont Regitz-Zagrosek, Direktorin des Instituts für Geschlechterforschung der Charité in Berlin.
Die NIH ordnete zwar an sowohl Männer als auch Frauen in klinische Studien einzuschließen und die gewonnen Daten in Abhängigkeit vom Sex (dem rein biologischen Geschlecht) der StudienteilnehmerInnen zu analysieren, jedoch werden Variablen wie Hormonstatus, schwangerschaftsabhängige Störungen, unterschiedliche alters-abhängige Komplikationen und psychosoziale Unterschiede nach wie vor nicht im Design von klinischen Studien oder longitudinalen Kohortenanalysen berücksichtigt, wie Noel Bairey Merz, Direktorin des Cedars-Sinai Barbra Streisand Women’s Heart Center in Los Angeles, weiß.
Frauen leiden daher „nach wie vor häufiger an Medikamentennebenwirkungen oder erhalten bei vergleichbaren Symptomen, ohne wissenschaftliche Grundlage, andere Medikamente“ erklärt Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gender Medicine der Medizinischen Universität Wien.
Geschlechtsspezifische Unterschiede finden sich in allen medizinischen Fachrichtungen. Shahrokh F. Shariat, Leiter der Wiener Universitätsklinik für Urologie, berichtet beispielsweise davon, dass aufgrund des fehlenden Bewusstseins von ÄrztInnen und PatientInnen Blasenkrebs bei Frauen oft später diagnostiziert wird als bei Männern und das Frauen postoperativ aufgrund ihrer Rezeptoren meist eine anderen Behandlungsansatz benötigen.
Bei der vfwf Universitätsvorlesung 2014 wiesen Experten allerdings auch darauf hin, dass eine geschlechtergerechte Gesundheitsversorgung und -förderung, kaum ohne eine Verbesserung sozialer, gesundheitspolitischer Faktoren möglich ist.
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