Prof.in Brigitte Eisenwort (MedUni Wien), Prof.in Silvia Sara Canetto (Colorado State University), Prof.in Alexandra Kautzky Willer (MedUni Wien)
Dr.in Kylie Thaler (Donau-Universität Krems), Prof.in Brigitte Eisenwort (MedUni Wien), Dr. Eric Ding (Harvard Medical School), Prof.in Alexandra Kautzky Willer (MedUni Wien)
Organisiert wurde diese internationale Tagung von Alexandra Kautzky-Willer, Professorin für Gender Medizin (Endokrinologie, MedUniWien) und Brigitte Eisenwort (Kinder- und Jugendheilkunde, MedUniWien) und Thomas Niederkrotenthaler (Allg. Und Familienmedizin, MedUniWien). Die Eröffnung erfolgte durch die Vizerektorin Karin Gutierrez-Lobos, die die Wichtigkeit dieser jungen Wissenschaft betonte, sowie, dass Gender Medizin an der MedUniWien einen Schwerpunkt darstellt: bereits 2004 wurde die Stabstelle Gender Mainstreaming, die regelmäßig die Genderringvorlesung organisiert, sowie 2010 eine eigene Professur für Gender Medizin etabliert, um dieses Thema zu stärken und weiterzuentwickeln.
Die Key-note-Lectures wurden von zwei amerikanischen WissenschaftlerInnen gehalten. Silvia Canetto von der Colorado State University erklärte die Bedeutung soziokultureller Faktoren in der Entwicklung von psychischen Erkrankungen und in der Suizid-Forschung. Sie beschäftigt sich mit dem Gender-Paradoxon beim Suizid: Weltweit weisen Mädchen und Frauen wesentlich höhere Raten an Depressionen, Selbstmordgedanken- und -versuchen auf als Männer, während Buben und Männer tatsächlich häufiger Selbstmorde begehen. Es gibt aber auch Beispiele für andere Muster, die auf einen starken Einfluß kultureller Gegebenheiten, des sozialen Status und des jeweiligen gesellschaftlichen Bildes von “Männlichkeit” hinweisen (“She died for love, he for glory”). So ist z.B. in Peru, wo Suizide als Ausdruck der Schwäche gesehen werden und Frauen zugeordnet werden, die ihre Emotionen nicht kontrollieren können, der Suizid tatsächlich primär ein weibliches Problem. Canetto stellt die Hypothese des kulturellen Skripts des Suizids auf als Symbolakt. Ebenso unterscheiden sich die Methoden zwischen den Geschlechtern. Durch strengere Waffengesetze konnten so auch Suizide bei Männern, die oft Schusswaffen verwenden, vermindert werden. Suizide haben jedenfalls global in den letzten 50 Jahren kontinuierlich zugenommen, wobei Männer wesentlich stärker betroffen sind und Präventionsmaßnahmen bisher wenig Erfolg zeigen. Die Raten variieren in den einzelnen Ländern, meist ist sie aber bei Männern 3 bis 4 mal höher als bei Frauen und der Gender-Gap scheint sich auch weiter zu verstärken. Allerdings ist in manchen Ländern die tatsächliche Rate unklar, da z.B. bei Verbrennungen von Frauen die Unterscheidung zwischen Selbstmord und Mord fraglich ist, bzw. der Tod zumindest unter starkem psychologischen und gesellschaftlichen Druck und nach bestimmten Riten erfolgt. Aber auch innerhalb der Länder, wie der USA, sind starke Unterschiede im Gender-Gap bezüglich Suizid in Abhängigkeit von Alter, Ethnizität und sexueller Orientierung zu finden. Diese Erkenntnisse sollten zukünftig auch in der Suizid-Prävention besser genützt werden.
Nestor Kapusta stellte dagegen Daten aus Österreich dar, die eine Abnahme der Suizide bei Männern und Frauen über die letzten 20 Jahre zeigen. Frauen suchen auch wesentlich häufiger Präventionszentren auf als Männer. Alkohol- und Medikamenten/Drogen-Missbrauch, Aggressivität und das Unvermögen mit Verlust von Macht und Einfluss umgehen zu können, sind häufige Anzeichen von Depressionen beim Mann. Er betont, dass Männer mt Depressionen nach wie vor oft unerkannt und unterversorgt sind.
Brigitte Eisenwort betonte, dass die mediale Berichterstattung von Suiziden im Bezug auf Motiv und Darstellung oft Geschlechter-Stereotypien und Klischees verstärkt, die Männer eher als hart mit Ärger und Wut als Motiv beschreibt und bei Frauen eher psychische und körperliche Krankheiten und soziale Prozesse erwähnt. Weiters wird der Einfluss der Medien aufgezeigt mit vermehrtem Imitationseffekt durch detaillierte Berichterstattung sowie einem Schutzeffekt durch Aufzeigen von Lösungsstrategien und Nennung von Hilfsangeboten, was bereits Niederkrotenthaler in einer großen Studie gezeigt hat (Papageno-Efekt).
Nilufar Mossaheb zeigte auf, dass Frauen ca. doppelt so häufig unter Depressionen leiden wie Männer. Die klassischen Erklärungsmodelle berufen sich einerseits auf biologische Unterschiede, andererseits auf die Doppelbelastung durch Beruf und Haushalt und Unterschiede im Krankheitsverhalten. Frauen nehmen eher an Vorsorgeuntersuchungen teil, haben ein aktiveres Hilfesucheverhalten und ein größeres informelles Netzwerk, während Männer ihren Körper eher funktionalistisch betrachten, mehr Risiko eingehen und erst bei körperlichen Problemen das Gesundheitssystem beanspruchen, dann aber mit Hilfe eines besseren formellen Netzwerks ihre Anliegen rasch präzisieren. Untersuchungen zu Unterschieden zwischen Männern und Frauen in der Präsentation von Symptomen im Rahmen depressiver Erkrankungen, sowie von protektiven Faktoren und Rollenstereotypen lassen darauf schließen, dass möglicherweise Gender-Aspekte, d.h. Faktoren, die das psychosoziale Geschlecht betreffen, eine mindestens ebenso große Rolle spielen wie traditionelle Erklärungsansätze. Frauen führen Depressionen eher auf internale Faktoren zurück, fühlen sich sebstverantwortlich, während Männer Ursachen eher externalisieren und auf Arbeitslosigkeit, Probleme im Beruf oder der Beziehung zurückführen. Am Beispiel der Depression lassen sich die komplexen Zusammenhänge zwischen Sex und Gender gut aufzeigen.
Der zweite Teil des Symposiums widmete sich Gender-Aspekten bei Stoffwechselerkrankungen. Die zweite Keynote Lecture hielt Eric Ding von Harvard Medical School zum Thema der Bedeutung der Sexualhormone und des Sexualhormon-bindenden Globulins in der Diabetesentstehung bei Männern und Frauen. Ding arbeitet in Harvard auch gemeinsam mit JoAnn Manson, der Leiterin einer großen wichtigen Untersuchung zur Frauengesundheit, der Women's Health Initiative. Das Sexualhormon-Paradoxon beim Diabetes besteht darin, dass niedrigeTestosteronwerte bei Männern mit einem hohen Risiko für Diabetes, aber auch Herz-Kreislauferkrankungen einhergehen, während bei Frauen hohe Testosteronwerte das Diabetes- und KHK-Risiko deutlich erhöhen („Sex Hormone Arms Men, Harms Women Facing Diabetes“), was sich als ein fundamentaler biologischer Unterschied zwischen Männern und Frauen darstellt. Höhere Testosteronwerte waren in einer gepoolten Analyse bei Männern mit einem um 42% niedrigeren Risiko für Typ 2 Diabetes verbunden. Testosteron führt bei Frauen zu einer vermehrten Fettbildung im Bauchfett und einer verminderten Glukoseaufnahme. Der Epidemiologe zeigt Sex-Unterschiede in der wissenschaftlichen Literatur auf, weist auf die unterschiedlichen Effekte von Östrogen in Abhängigkeit von Dosis, Dauer, Verabreichungsart und Alter der Frauen hin und diskutiert die teils widersprüchlichen Ergebnisse einer Hormonersatztherapie in großen Untersuchungen. Die Zusammenhänge zwischen Sexualhormonen und Diabetesrisiko scheint durch weitere Untersuchungen der Arbeitsgruppe in Harvard bestätigt. Hohe Spiegel des Bindungsproteins im Blut (Sexhormonbindendes Globulin – SHBG) scheinen Testosteron weniger aktiv zu machen und bei Frauen mehr als bei Männern für Diabetes protektiv zu sein. Bei beiden Geschlechtern sind niedrige SHBG Spiegel mit einem erhöhten Diabetesrisiko verbunden und SHBG stellt dabei einen der stärksten singulären prädiktiven Risikofaktoren für Diabetes dar. SHBG könnte tatsächlich auch kausal an der Diabetesentstehung beteiligt sein, wie aktuellen genetischen Untersuchungen der Arbeitsgruppe zu diesem Protein zeigten.
Kylie Thaler (Evidenz-basierte Medizin und klinische Epidemiologie, Donau Universität Krems) berichtete anschließend von einem Drug Effectiveness Review Projekt mit Hilfe eines Datensatzes der Oregon Health and Science University. Ziel war zu prüfen, ob klinisch relevante Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Wirksamkeit und Sicherheit von häufig verwendeten Medikamenten nachweisbar sind, nachdem geschlechtsspezifische Unterschiede in der Pharmakokinetik verschiedener Medikamente offensichtlich sind. Dazu wurden 35 Berichte zu bestimmten Medikamentenklassen untersucht. Nur die Hälfte der Berichte mit ca. 50 Studien zur Effizienz und ca. 10 Studien zu Nebenwirkungen konnte in eine weiterführende geschlechtsspezifische Analyse eingeschlossen werden ! Die Meta-Analyse zu neueren Antiemetika zur Prävention von Übelkeit nach einer Chemotherapie zeigte einen klaren Vorteil für Männer. Auch bei einigen Psychopharmaka ergab sich ein Hinweis für bessere Effekte bei Männern, bei einigen Antidepressiva zeigten sich häufiger sexuelle Störungen bei Männern. Für einige Lipidsenker ergaben sich ebenso schwache Unterschiede, bei verschiedenen anderen Medimenten im kardiovaskulären Risikomanagement zeigten sich keine Unterschiede. Insgesamt zeigte die Meta-Analyse dass nach wie vor valide geschlechtsspezifische Medikamentendaten nur in geringem Maß zur Verfügung stehen, womit dringend die Verfügbarkeit von besseren Daten zur Pharmakotherapie mit Berücksichtigung von Geschlecht, Alter und weiteren klinischen Parametern gefordert wird, um wirklich eine individuelle Medizin zu ermöglichen.
Alexandra Kautzky-Willer zeigte auf, dass Übergewicht, Diabetes und das cardiometabolische Syndrom spannende Forschungsbereiche für die Gender-Medizin darstellen. Sowohl biologische Unterschiede (genetische Prädisposition, Ethnizität, Sexualhormone, Fettverteilung, begleitende Entzündungsprozesse und Spätkomplikationen) als auch psychische, soziale und kulturelle geschlechts-spezifische Einflussfaktoren tragen wesentlich zur Krankheitsentstehung, Symtomwahrnehmung, Diagnose und Therapie bei. Zusätzlich zeigt die Forschung auch zunehmend dass Gen-Umwelt-Sex-Interaktionen wichtig sind. Die Lebensweise und Ernährung der Mutter in der Schwangerschaft, aber auch das väterliche Verhalten sowie verschiedene frühkindliche Einflüsse können zu Erkrankungen im späteren Leben der Kinder beitragen (fetale Fehlprogrammierung, Epigenetik) mit unterschiedlicher Auswirkung in Abhängigkeit vom Geschlecht der Kinder.
Generell leiden Frauen häufiger unter starkem Übergewicht, das auch bei Frauen öfter mit geringerer Bildung und niedrigerem Einkommen verbunden ist. Sie sind auch aufgrund der gesellschaftlichen Vorgaben und Erwartungen durch die Erkrankung stärker stigmatisiert und unterziehen sich bis zu 5 mal häufiger chirurgischen Therapien zur Gewichtsreduktion. Frauen haben normalerweise mehr Fettmasse, aber eine geringere Bauchfettmasse und weniger Leberfett als Männer sowie insgesamt eine bessere Insulinempfindlichkeit und bis zur Menopause ein niedrigeres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Wenn aber ähnlich viel Leberfett vorliegt unterscheiden sich Frauen und Männer auch in der Insulinresistenz und in ihrem Risiko für Diabetes und Gefäßerkrankungen nicht. Ein erhöhter Leberfettgehalt könnte gerade bei Frauen ein früher Marker für ein erhöhtes Risiko darstellen, wie auch eigene Studien zeigten. Übergewicht stellt für Frauen möglicherweise ein noch größeres Risiko für Diabetes dar als bei Männern. Bei Diabetes übersteigt die Diabetes-assoziierte Mortalität der Frauen die der Männer, vor allem aufgrund eines enormen Anstiegs des Risikos für Herzinfarkt, Schlaganfall und Herzversagen. Außerdem zeigen viele Untersuchungen dass Frauen selbst nach einem kardiovaskulären Ereignis seltener die in Richtlinien vorgegebenen Zielwerte für Diabeteseinstellung, Cholesterin und Blutdruck erreichen als Männer und dass Frauen nach wie vor bei akuten kardialen Problemen später eingeliefert und seltener invasiv abgeklärt werden. Dazu dürften sowohl eine schlechtere Risikobeurteilung der Frauen selbst als auch der ÄrztInnen aufgrund häufig auftretender unspezifischer vegetativer Symptome und schlechterer Sensitivität and Spezifität vieler diagnostischer Methoden beitragen.
Heidemarie Abrahamian (Interne Medizin, Otto Wagner Spital) berichtete dass bei Diabetes Depressionen doppelt so häufig auftreten wie bei Gesunden. Frauen sind auch bei Diabetes doppelt so häufig wie Männer betroffen, was auch für Angststörungen gilt. Die kausalen Zusammenhänge sind nach wie vor nicht klar, aber sowohl haben Personen mit Diabetes ein höheres Risiko für Depressionen wie auch Depressive häufiger einen Diabetes entwickeln. Somit könnte auch ein gemeinsamer Mechanismus in der Krankheitsentstehung angenommen werden. Eine aktuelle Meta-Analyse spricht eher für die Hypothese, dass die Krankheitslast und chronische psychologische Belastung bei Diabetes für die Enststehung der Depressionen eine Schlüsselrolle einnimmt. Weiters untermauern neuere Studien dass Frauen eine höhere Stress-Empfindlichkeit aufweisen als Männer. Bei Männern ist zusätzlich das gehäufte Auftreten von Depressionen bei Diabetes und erektiler Dysfunktion bekannt. Zumindest im Tierversuch sind gerade männliche Tiere gegenüber pränatalem Stress vulnerabel und zeigen ein erhöhtes Risiko für die Entwicklung einer Schizophrenie.
Letzlich gibt es kein starkes oder schwaches Geschlecht sondern männliche und weibliche Kräfte und Wertvorstellungen sowie geschlechtssensible - wenn auch teils kulturell, sozial und Umwelt-bedingte -Lebensweisen; beide Kräfte sollen für die größte Vielfalt und den besten Fortschritt für den Menschen genützt werden.
By: Alexandra Kautzky-Willer