Als Folge des „Anschluss“ Österreichs und der Machtübernahmen der Nationalsozialisten 1938 kam es zur Nazifizierung des Wiener Instituts für Gerichtliche Medizin, nicht nur durch die enge Zusammenarbeit des Faches mit dem jeweils herrschenden Rechtssystem.
Durch die Einbindung in die nationalsozialistische Biopolitik spielte die Gerichtsmedizin eine wichtige Rolle u.a. bei der selektiven Geburtenpolitik der Nazis. Die Aufgabe der Gerichtsmediziner „verbrecherische Aborte“ aufzudecken, sollte dazu beitragen „wertvolles Volkesgut“ zu erhalten. Außerdem verfassten sie entscheidende Gutachten für Kastrationsprozesse „zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ sowie Vaterschaftsgutachten, „um jüdische Väter auszuschließen“.
Ab 1940 bestand eine Kooperation des Instituts mit der Luftwaffe, welche u.a. zur Betreuung etlicher Dissertationen reichsdeutscher Studenten führte.
Aufgrund der guten Verbindung zu Heinrich Himmler, SS-Reichsführer und Chef der Deutschen Polizei, und Arthur Nebe, Chef des Reichskriminalpolizeiamtes, wurde 1943 das Kriminalmedizinische Zentralinstitut in Wien gegründet. Es sollte der Verbrechensbekämpfung im Sinne einer rassenbiologisch begründeten Kriminalistik dienen. Der angebliche Massenmörder Bruno Lüdke wurde am Kriminalmedizinischen Zentralinstitut erbbiologisch-anthropologischen Untersuchungen und anschließend einem tödlichen Experiment unterzogen, welches die extremste Form des rassenhygienischen Denkens des Nationalsozialismus widerspiegelte.
Eine ausführliche Darstellung der Rolle der „Wiener Gerichtsmedizin im Nationalsozialismus“ liefert das gleichnamige Buch von DDr.Mag. Ingrid Arias, erschienen im Verlagshaus der Ärzte.