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(Wien, 23-11-2010) Die Diagnose "Querschnittslähmung" bedeutet meist ein Leben im Rollstuhl. Üblicherweise werden durch die Verletzung des Rückenmarks die vom Gehirn ausgehenden Leitungsbahnen zu den einzelnen Muskelgruppen unterbrochen. Doch das Rückenmark ist kein reines Leitungsorgan, sondern steuert als Teil des Zentralnervensystems auch verschiedene Vorgänge automatisch.

Wissenschaftern der Technischen Universität (TU) Wien ist es nun gelungen, solche Vorgänge - konkret das Muster für die Schrittfolge - durch Hautelektroden von außen zu aktivieren. Derzeit erhoffen sich die ForscherInnen damit deutlich verbesserte Trainingseffekte bei der Rehabilitation von PatientInnen mit Querschnittslähmung.

Rückenmark teilweise selbstständig
"Viele Leute glauben, das Rückenmark besteht nur aus Leitungsbahnen, dabei finden sich dort auch komplizierte Nervenstrukturen, die einen Großteil des Bewegungsmusters steuern", erklärte Frank Rattay vom Institut für Analysis und Scientific Computing der TU Wien gegenüber der APA. Bestes Beispiel dafür ist der bekannte Fluchtreflex von geköpften Hühnern. Auch ohne Kopf können sie eine Zeit lang umherlaufen oder fliegen - die Bewegungen dafür werden vom Rückenmark gesteuert.

Diese "Prozessoreigenschaft" des Rückenmarks haben sich auch die Mathematikerin Ursula Hofstötter und der Physiker Karen Minassian in ihrem Projekt zunutze gemacht. Die beiden Wissenschafter, die am Institut für Analysis und Scientific Computing der TU Wien sowie am Zentrum für Medizinische Physik und Biomedizinische Technik der Medizinischen Universität Wien tätig sind, konnten beschreiben, wie das Rückenmark rhythmische, schreitähnliche Beinbewegungen selbstständig steuert und kontrolliert.

Hoffnung Hautelektrode
Schon bisher wusste man, dass auch Menschen mit Querschnittslähmung im Rückenmark noch immer Nervenverbände, sogenannte Lokomotionszentren, haben, die den Grundrhythmus für Beuge- und Streckbewegungen beim Gehen erzeugen können. Durch Implantation von stimulierenden Elektroden kann das Rückenmark derart angeregt werden, dass zyklische Bewegungen in den gelähmten Beinen erzeugt werden.

Hofstötter und Minassian haben nun herausgefunden, dass man ganz ohne Operation auch von außen, über Stimulation mittels einer Hautelektrode im Lendenwirbelbereich, diesen Mustergenerator im Rückenmark ansprechen kann. Sendet man derart ein Signal von etwa acht Hertz, wird das Muster für das Durchstrecken der Beine aktiviert, bei 25 bis 30 Hertz läuft ein schrittähnliches Muster ab.

Wie Rattay betonte, ist die dadurch ausgelöste Kraftentwicklung noch nicht vergleichbar mit jener beim gesunden Menschen. Für die Unterstützung der Rehabilitation erwarten sich die Wissenschafter durch die Stimulation aber "drastische Verbesserungen". Erste Resultate seien vielversprechend. Patientengruppen, die aus bisherigen Trainingsmethoden kaum Nutzen ziehen konnten, etwa Personen mit kompletter Querschnittslähmung, sollten von der neuen Technik ganz besonders profitieren, erwarten sich die Wissenschafter, die bei ihrer Arbeit u.a. mit dem Shepherd Center in Atlanta, laut TU die größte Einrichtung für querschnittsgelähmte Patienten in den USA, zusammenarbeiten.
(APA)

In diesem interuniversitären und interdisziplinären FWF/Brainpower Forschungsprojekt wird die Biomedizinische Technik bzw. Meß- und Stimulationstechnik vom Zentrum für Medizinische Physik und Biomedizinische Technik der MedUni Wien zur Verfügung gestellt, die TU bringt außer der Projektleitung Simulation und Modeling sowie Datenanalyse ein, die klinischen Daten kommen vom Sozialmedizinischen Zentrum Baumgartner Höhe.