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Wie Immunzellen die Blut-Hirn-Schranke passieren

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(Wien, 05-02-2019) Auf der Suche nach spezifischen Therapien für Multiple Sklerose untersucht ein internationaler Forschungsverbund, wie Immunzellen die Blut-Hirn-Schranke passieren und Entzündungen im Nervengewebe auslösen können. Die Ergebnisse des Zentrums für Hirnforschung der MedUni Wien zeigen, dass zwei Immunzelltypen den entzündlichen Verlauf der Krankheit dominieren und stellen damit eine wichtige Basis für spezifischere Therapien dar.  

Multiple Sklerose (MS) ist die häufigste neurologische Erkrankung im jungen Erwachsenenalter in Westeuropa und den USA. Etwa einer von tausend Menschen erkrankt an der chronischen Entzündung im Zentralnervensystem, die sich verstreut in Gehirn und Rückenmark festsetzt. Es gibt bereits wirksame Therapien, die den Krankheitsverlauf verlangsamen und bestehende Entzündungsherde lange in Schach halten können. Da diese Medikamente breit ins Immunsystem eingreifen, bringen sie jedoch unerwünschte Nebenwirkungen mit sich. Im internationalen Forschungsverbund MELTRA BBB untersuchen spezialisierte Arbeitsgruppen gemeinsam, wie und welche Immunzellen überhaupt ins Gehirn eindringen und eine Entzündung auslösen können. Denn an der Grenze von Blutgefäßen und Nervengewebe verhindert normalerweise die „Blut-Hirn-Schranke“, dass weiße Blutkörperchen und Eiweißstoffe einfach so passieren.

Der Wissenschaftsfonds FWF hat im Rahmen seiner multilateralen Aktivitäten in einer ERA-Net-Kooperation diese integrierte MS-Forschung von 2015 bis 2018 unterstützt. Gefördert wurde die neuropathologische Prüfung der experimentellen Ergebnisse am Zentrum für Hirnforschung der Medizinischen Universität Wien. Die zentrale Frage formuliert Projektleiter Hans Lassmann in diesem Zusammenhang so: „Ist der von Kolleginnen und Kollegen im Labor im Experiment an Mäusen identifizierte Erklärungsmechanismus wesentlich für die Entstehung der MS-Krankheitsherde beim Menschen?“ Therapien zu entwickeln, „die in den MS-spezifischen Entzündungsprozess eingreifen, aber das restliche Immunsystem arbeiten lassen“, definiert der Neuropathologe, der seit vier Dekaden an Multiple Sklerose forscht, als Ziel.

Schutzschirm für das Gehirn
Unser Gehirn ist extrem energiehungrig und stark durchblutet. Durch die Blut-Hirn-Schranke wird das zentrale Nervensystem (d.h. Gehirn und Rückenmark) jedoch von Stoffen abgeschottet, die zwar im Körper zirkulieren, aber in der Leitzentrale nichts verloren haben. Die Schranke bilden die Wände der Blutgefäße in Gehirn und Rückenmark. Sie sind weniger durchlässig als in anderen Organen. Die sogenannten Endothelzellen stehen enger zusammen und verfügen nur über sehr selektive Transportmechanismen. Weiße Blutkörperchen, konkret T-Lymphozyten und B-Lymphozyten, können nur in geringem Ausmaß im Rahmen der Immunabwehr passieren. Sie müssen dafür spezielle Moleküle vorweisen, die an wenigen Checkpoints der Gewebeschranke passgenau andocken. Bisherige MS-Therapien fokussieren auf T-Zellen des Subtyps CD4+. Neue Daten zeigen aber, dass CD8+ T-Zellen und B-Zellen bei MS eine wichtige Rolle spielen.

Abgestimmte Forschungsabläufe
Eng verwoben, gleichsam wie das Gewebe der Blut-Hirn Schranke, sind auch die beteiligten Arbeitsgruppen. Eine Gruppe in Montreal (Kanada) widmete sich zum Beispiel der genauen Form der Pass-Moleküle, die an den Checkpoints der Blut-Hirn-Schranke andocken. In Toulouse (Frankreich) wurde der Pfad der CD8+ T-Zellen ins Gehirn von Mäusen experimentell untersucht. Aufgabe der Neuropathologie in Wien war wiederum, die krankhaften Veränderungen im Nervengewebe aus den Laborversuchen zu bestimmen. Mit althergebrachten und modernen Methoden – vom sukzessiven Einfärben der Gewebeschnitte mit verschiedenen Antikörpern bis zur RNA-Extraktion. So konnten in verschiedenen Stadien des Krankheitsverlaufs die jeweils beteiligten Zelltypen und mögliche freigesetzte Substanzen bestmöglich nachvollzogen werden. Gewebeproben der Labormäuse wurden zudem mit MS-Proben von Menschen aus dem umfangreichen Pathologie-Archiv abgeglichen. Erfahrene Pathologinnen und Pathologen können aus statischen Zuständen dynamische Prozesse ableiten. So kann letztlich gezeigt werden, ob der vermutete Mechanismus im menschlichen Körper stattfindet und somit relevant für klinische Folgestudien ist.

CD8+ im Gewebe auf Abwegen
Es konnte gezeigt werden, dass Subtyp CD8+ T-Zellen bei MS von ihrer gewöhnlichen Rolle in der Immunabwehr abweichen. Nach einer erfolgreich abgewehrten Virusinfektion lagern sich beteiligte CD8+-Zellen als immunologisches Gedächtnis im Gewebe ab. Sie bleiben bis zu einer neuerlichen Infektion im Ruhemodus. An frischen Entzündungsherden der Multiplen Sklerose gehen sie jedoch in einen aktivierten Zustand über, der die Entzündung weiter vorantreibt. Auch die Rolle von B-Zellen wurde untersucht, denen eine wichtige Rolle bei der Schädigung des Nervengewebes zugeschrieben wird. Beide werden nun intensiv weiter beforscht, um sie folglich für spezifischere Entzündungshemmer zu nützen.