Heidelberg-Vortrag Oliver Obst/1

Oliver Obst (obsto@uni-muenster.de)
Wed, 28 Sep 1994 13:21:17 +0100 (CET)


Date: Wed, 28 Sep 1994 13:21:17 +0100 (CET)
From: "Oliver Obst" <obsto@uni-muenster.de>
Message-Id: <48079.obsto@wwupop.uni-muenster.de>
To: medibib-l
Subject: Heidelberg-Vortrag Oliver Obst/1

Sehr geehrte Medibibler,
hier folgt nun der erste Teil meines Vortrags. Um rege Rueckmeldung wird
gebeten.

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Dr. Oliver Obst:

Internet und Medizin: Durchbruch zur 8. Dimension?

Gliederung:

1. Was ueberhaupt ist das INTERNET? )
2. Demonstration einiger Internetanwendungen } 1. Teillieferung
Gopher: CancerNet )
Telnet: National Library of Medicine
Anonymous ftp: NLM Publications
E-Mail: MEDLIB-L
3. Brauchen wir das Internet?

1. Was ueberhaupt ist das Internet?
Seit das Internet, oft auch als Information Superhighway oder
Datenautobahn bezeichnet, Objekt der Neugierde des Spiegels, der ZDF-
Kultursendung Aspekte, und vieler anderer Medien geworden ist, vom WDR-
Computerclub ganz zu schweigen, ist es salopp ausgedrueckt "mega-in".
Dies gilt aber nur fuer den Namen, denn was das Internet ist und
m"glicherweise fuer die Zukunft der Bibliothekarszunft (und der
menschlichen Gesellschaft ueberhaupt) bedeutet, kann sich wohl kaum einer
so richtig vorstellen. Erklaerungsmodelle und Zukunftprognosen nehmen
deshalb auch leicht kuriose Zuege an, wie jeder selbst feststellen wird,
wirft er einen Blick in ein Trend-Buch mit dem bezeichnenden Titel:
"Thinking Robots, an aware Internet and Cyberpunk Librarians".
Doch bleiben wir fuer die naechsten 20 Minuten auf dem Boden der
Tatsachen. Das Internet ist ein globales Computernetz von Universitaeten,
Regierungsstellen, Unternehmen und Privatpersonen. Es basiert auf einem
Kommunikationsprotokoll, das TCP/IP gennant wird (Transmission Protocol
/ Internet Protocol). Jeder, dessen Computer direkt an das Internet
angeschlossen ist, kann damit Daten an andere Computer des Internet
senden und empfangen. Er kann E-Mail verschicken und sich als Benutzer
eines anderen Computers 'einloggen'.
Die Palette der M"glichkeiten, die das Internet anbietet, die
sogenannten "Internetdienste", (oft auch Internetanwendungen genannt und
teilweise identisch mit dem Begriff Internetprotokolle) ist auf den
ersten Blick wirklich erschlagend. Namen wie Gopher, World Wide Web
(WWW), Telnet, Wide Area Information Servers (WAIS), Anonymous FTP (File
Transfer Protocol), Newsgroup, BITNET, USENET sind Ihnen vielleicht
schon einmal begegnet, m"gen Ihnen aber noch nicht allzuviel sagen.
Ich will im folgenden versuchen, das zu aendern und wenigstens einige der
genannten Namen mit Leben zu fuellen. Ich werde mich dabei auf die fuer
die Medizin (und fuer uns Medizinbibliothekare) besonders wichtigen
Dienste beschraenken.

Geschichte
Das Internet begann 1969 als ARPAnet des amerikanischen
Verteidigungsministeriums. Computerwissenschaftler sollten ein
Kommunikationssystem erstellen, das auch nach einem Atomkrieg noch
funktionieren wuerde. In den Siebzigern erlangte es Entwicklungsreife, in
den Achtzigern war es die Spielwiese von Computerfreaks, und jetzt in
den Neunzigern - den letzten zehn Jahren vor der Jahrtausendwende -
erobert es die Welt, wird kommerziell und veraendert die Art, wie wir
miteinander reden. Weltweit ueber 2 Millionen angeschlossene Computer,
Wachstumsrate 15% monatlich(!), ueber 100 Millionen Benutzer bis 1998,
keine Frage, wir stehen momentan mitten in einer durchgreifenden
Veraenderung der menschlichen Kommunikation. Gerne wird an den Beginn
des Zeitalters Gutenbergs erinnert, und wie dieses vereinfacht auch das
Internet den Zugang zu Informationen auf dramatische Art und Weise. Das
hat nicht nur Vor- sondern auch Nachteile, wie ich oben schon angedeutet
habe und wie Sie - unten - noch sehen werden.

Anhand einiger Beispiele aus der Medizin will ich die Internetdienste
Gopher, Telnet, Anonymous FTP und E-Mail erklaeren.

2. Demonstration einiger Internetanwendungen

Mit Hilfe der im folgenden vorgestellten M"glichkeiten des Internet
k"nnen diese vier Fragen beantwortet werden:

A. Gibt es schon ein geprueftes Therapieschema gegen das Non-Hodgkin-
Lymphom bei Kindern? Wenn ja, haette ich auch gerne eine
Patienteninformation dazu.

B. Gibt es ein Buch ueber Allergie gegen Gummihandschuhe und wo k"nnte
ich es eventuell finden?

C. Ich ben"tige eine Literaturliste ueber die Gesundheitsbeeintraechtigung
amerikanischer Soldaten waehrend des Golfkriegs.

D. Wann erscheint denn nun endlich die 5. Auflage der NLM
Klassifikation?

A.
Wenden wir uns zuerst der Frage A. zu.
1991 wurde ein neuer Internetdienst mit Namen "Gopher" eingefuehrt. Mit
Hilfe dieser Software bieten mittlerweile, 3 Jahre nach der Einfuehrung,
ca. 6.000 Institutionen weltweit Informationen hierarchisch strukturiert
an. Den zentralen Giopher der BRD in Clausthal-Zellerfeld rufe ich auf,
indem ich auf dem UNIX-Computer unseres Rechenzentrum einfach "gopher"
eingebe. Ich erhalte nach einigen Sekunden folgendes Menue:

1--------------------------------------------------------------------
Root gopher server: gopher.tu-clausthal.de

1. Neue Eintraege/
2. --------------
3. TU Clausthal - Forschung und Lehre/
4. Rechenzentrum/
5. Universitaetsbibliothek/
6. Verwaltung/
7. Weitere Informationen aus der Hochschule/
8. Student-Gopher/
9. --------------
10. Infosysteme in Deutschland (Information Services in Germany)/
-> 11. Aus aller Welt (Gopher, WAIS, Archie, FTP, Whois, ...)/
---------------------------------------------------------------------

Bei den Punkten 1-9 handelt es sich offenbar um lokale Informationen,
aber bei Punkt 10 und 11 wird es spannend. Wir wandern mit der
Pfeiltaste (Cursortaste) bis vor Menuepunkt 11 und geben <enter> ein, um
uns diesen Punkt mal genauer anzuschauen. Wir erhalten folgendes Menue:

2--------------------------------------------------------------------
Aus aller Welt (Gopher, WAIS, Archie, FTP, Whois, ...)

1. Andere Gopher-Systeme/
2. Gateway: Anonymous FTP/
3. Gateway: Archie (Suche in FTP-Archiven)/
4. Gateway: Usenet/News/
5. Gateway: WAIS - Wide Area Information Server/
6. Gateway: Whois/
7. Listserv/
8. Phone Books--Other Institutions/
9. United States Geographic Name Server/
10. United States Telephone Area Code/
-> 11. Veronica (search menu items in most of GopherSpace) <?>
---------------------------------------------------------------------

Wieder werden uns diverse Menuepunkte angeboten, Sie erkennen vielleicht
schon jetzt, daá man sich mit Hilfe dieser Menues mehr oder weniger durch
saemtliche derartig zur Verfuegung gestellte Information hindurch-
"hangeln" kann (sei es nach Australien oder Amerika). Hinter den Punkten
2 bis 6 erkennen Sie einige der "Internetdienste" wieder, die ich
anfangs erwaehnt habe. Wir halten uns nicht daran auf und waehlen
zielstrebig Punkt 11 aus. VERONICA ist ein leistungsstarkes Werkzeug,
das die Menuepunkte aller Gopher der Welt nach Stichworten durchsuchen
kann. Veronica erspart uns also das durchhangeln, wir kommen solcherart
direkt zu der ben"tigten Information. Hinter dem Menuepunkt steht ein
Fragezeichen, es zeigt, das es sich an diesen Menuepunkt kein weiteres
Menue anschlieát, sondern eine Suche durchgefuehrt werden kann. In die
sich "ffnende Suchmaske geben wir unseren Suchbegriff ein:

3--------------------------------------------------------------------
Veronica (search menu items in most of GopherSpace) - Koeln:

*************************
* childhood non-hodgkin *
*************************
---------------------------------------------------------------------

Nach weniger als einer Minute erhalten wir zwei Treffer angezeigt. Dies
ist stark idealisiert, normalerweise muá man entweder mit Null oder mit
sehr, sehr vielen Treffern rechnen. [Veronica versteht Boole'sche
Operatoren und die Trunkierung "*", zwei W"rter hintereinander werden
automatisch mit "and" verknuepft.]

4--------------------------------------------------------------------
1. Lymphoma / Childhood Non-Hodgkin's (for Doctors)
2. Lymphoma / Childhood Non-Hodgkin's (for Patients)
---------------------------------------------------------------------

Unter Punkt 1 stehen die gesuchten Therapieschemata, Punkt 2 sind die
dazugeh"rigen Patienteninformationen. wir waehlen mit der Pfeiltaste aus
und mit <enter> bekommen wir die Informationen auf dem Bildschirm
angezeigt, mit s fuer save k"nnen wir sie lokal abspeichern.

Wer stellt diese wertvollen Informationen so kostenlos zur Verfuegung?
Sind diese Therapieanleitungen unbedenklich?

Durch unsere Suche sind wir auf das sogenannte CancerNet gestoáen. Es
handelt sich im wesentlichen um die PDQ, die Physician Desk Query, die
hier vom National Institute of Cancer (NCI) im Internet bereitgestellt
werden. [Das CancerNet laeát sich selbstverstaendlich auch anzapfen, wenn
man nur ueber die M"glichkeit von "E-Mail" verfuegt. Informationen beim
Autor.]

Wir k"nnen auch den Gopher des NCI direkt anwaehlen, indem wir auf UNIX-
Betriebssystemebene "gopher helix.nih.gov" eingeben (Voraussetzung ist
ein vorhandener Gopher-Client, den es uebrigens auch fuer DOS/Windows
gibt) und erhalten folgendes Menue:

5--------------------------------------------------------------------

**************************************************************
* Cancer Net des National Institute of Cancer *
**************************************************************

Root gopher server: helix.nih.gov

1. PDQ Table of Contents List
2. PDQ Treatment Information for Physicians
3. PDQ Treatment Information for Patients
4. PDQ Cancer Screening Information
5. PDQ Supportive Care Information
6. Breast Cancer Prevention Trial (BCPT) Info
7. PDQ Database Information
8. Other NCI Information
9. Design of Clinical Trials
10. Monthly Updates
11. Fact Sheets from the NCI
12. PDQ Drug Information
13. Search CancerNet Database
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Wuerde man nun Menuepunkt 2 anwaehlen, k"nnte man sehen, daá das NCI nicht
nur zu den Non-Hodgkin Lymphomen, sondern zu einer Vielzahl von weiteren
Krebsarten Informationen bereithaelt. Punkt 3 enthaelt die entsprechende
Patientenaufklaerung.
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