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Closed-Loop-System erleichtert Diabetesmanagement bei Kleinkindern

Mit künstlicher Bauchspeicheldrüse zu mehr Lebensqualität
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(Wien, Innsbruck, Graz, 19-01-2022) Die Diagnose Typ-1-Diabetes bei Kindern im Vorschulalter stellt Eltern vor große Herausforderungen. Ein von der Universität Cambridge entwickeltes „Closed-Loop-System“ – Glukosemanagement per Handy-App, Glukosesensor und Insulinpumpe – kann den Alltag der Betroffenen extrem erleichtern und die Blutzuckereinstellung der Kinder sicher und effektiv verbessern. Das sind die Ergebnisse aus dem soeben abgeschlossenen EU-Projekt KidsAP, an dem auch die Medizinischen Universitäten Wien, Graz und Innsbruck beteiligt waren. Das renommierte Fachjournal New England Journal of Medicine berichtet.

Die Behandlung von Typ-1-Diabetes bei Kleinkindern ist aufwendig und raubt Eltern im wahrsten Sinn des Worts den Schlaf. Nicht nur untertags muss der Blutzucker mehrmals gemessen und je nach Kohlenhydrataufnahme die entsprechende Insulindosis berechnet und verabreicht werden. Auch während der Nacht bedarf es mehrmaliger Blutzucker-Kontrollen und gegebenenfalls einer Insulin- oder Kohlenhydratzufuhr. Kleinkinder haben ausgeprägte Blutzuckerschwankungen, einen sehr geringen Insulinbedarf und ein unvorhersehbares Ess- und Bewegungsverhalten und sind somit gefährdet, gefährlich niedrige Blutzuckerspiegel (Hypoglykämie) und hohe Blutzuckerspiegel (Hyperglykämie) zu haben. Sinkt der Blutzucker zu stark und plötzlich, kann das zu Bewusstlosigkeit und Krampfanfällen führen, ein zu lange anhaltender hoher Blutzuckerspiegel erhöht die Gefahr der akuten schweren Stoffwechselentgleisung und Entwicklung der lebensbedrohlichen diabetischen Ketoazidose.
Moderne Technologien wie die sensorunterstützte Insulinpumpentherapie haben sich bei Kindern bereits bewährt. Bei den bisherigen Systemen ist jedoch die Unterstützung der Eltern, die den Glukosespiegel ihres Kindes laufend überprüfen und dann die von der Pumpe verabreichte Insulinmenge manuell anpassen müssen, notwendig.

Zukunftsweisende Behandlungsmethode
In Verbindung mit künstlicher Intelligenz, einem Algorithmus zur Steuerung des sogenannten „Closed-Loop-Systems“, lassen sich die hohe Belastung der Eltern verringern und das Glukosemanagement erheblich verbessern. Das ist das Ergebnis des von der Universität Cambridge koordinierten und soeben abgeschlossenen internationalen EU-Projekts KidsAP, an dem neben weiteren europäischen Studienzentren auch die Medizinischen Universitäten in Innsbruck (Sabine E. Hofer, Univ.-Klinik für Pädiatrie I), Graz (Elke Fröhlich-Reiterer, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde und Julia Mader, Universitätsklinik für Innere Medizin) und Wien (Birgit Rami-Merhar, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde) maßgeblich beteiligt waren.
Das Closed-Loop-System, das in sieben Studienzentren (Cambridge, Leeds, Luxemburg, Leipzig, Graz, Innsbruck, Wien) an insgesamt 74 Kindern zwischen 1 und 7 Jahren getestet wurde, funktioniert mit einer von Roman Hovorka an der Universität Cambridge entwickelten App (CamAPS FX), die in Kombination mit einem Glukosesensor und einer Insulinpumpe als künstliche Bauchspeicheldrüse fungiert. Basierend auf vorhergesagten oder Echtzeit-Glukosewerten wird die abgegebene Insulinmenge automatisch angepasst. Für die lückenlose Anpassung des Glukose- und Insulinbedarfs muss die Betreuungsperson des Kindes lediglich zu den Mahlzeiten Insulin verabreichen, zu allen anderen Zeiten arbeitet der Algorithmus jedoch von selbst, um den programmierten Glukosezielwert (meist 100 mg/dl) zu erreichen und stabil zu halten. Die Frequenz der blutig gemessenen Werte kann damit deutlich reduziert werden.

Um Sicherheit und Wirksamkeit des Closed-Loop-Systems im Vergleich zur sensorunterstützten Insulinpumpentherapie zu überprüfen, verwendeten die teilnehmenden Kinder 16 Wochen lang das von der App gesteuerte System und anschließend 16 Wochen lang die Kontrollbehandlung mit der herkömmlichen sensorunterstützten Insulinpumpentherapie. Die Auswertung der Daten ergab, dass die Zeit im Glukose-Zielbereich (70-180 mg/dl) signifikant erhöht werden konnte, sodass die Kinder zusätzliche 125 Minuten pro Tag länger im Zielbereich waren. Dies hatte bei ohnedies schon sehr gut eingestellten jungen PatientInnen eine Senkung des HbA1c-Wertes um 0,7 Prozent zur Folge. Dieser Laborwert gibt Auskunft über die Einstellung des Stoffwechsels: je niedriger, desto besser die Prognose und geringer das Risiko für Diabetes bedingte Spätfolgen.  Zusätzlich zu dieser Verbesserung konnte auch die Zeit mit erhöhten Blutzuckerwerten mithilfe des Closed-Loop-Systems um neun Prozentpunkte verringert werden. Diese Verbesserung der Glukoseseinstellung konnten ohne eine Zunahme von Hypoglykämien erfolgen. Das Hypoglykämierisiko war in beiden Untersuchungsarmen gleichwertig niedrig.
Die Leiterinnen der drei österreichischen Studienzentralen berichten zudem von Eltern, die das Closed-Loop-System als „enorme Erleichterung sowohl tags- wie auch nachtsüber“ einstufen.

Hintergrund
Typ-1-Diabetes ist eine Autoimmunerkrankung, die dazu führt, dass die Insulin-produzierenden Zellen der Bauchspeicheldrüse zerstört werden. Mehrmals tägliches Blutzucker-Messen, das Tragen eines kontinuierlichen Glukosesensors und die subkutane Insulin-Gabe gehören neben dem Wissen um die Berechnung von Kohlenhydraten zu den grundlegenden Maßnahmen für einen gut eingestellten Stoffwechsel. Wie in vielen anderen Regionen der Welt wird auch in Österreich ein Anstieg der an Typ-1-Diabetes neuerkrankten Kinder und Jugendlichen beobachtet. Aktuell sind rund 1.600 Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren davon betroffen.


Service: New England Journal of Medicine
Randomized Trial of Closed-Loop Control in Very Young Children with Type 1 Diabetes
DOI: 10.1056/NEJMoa2111673
https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa2111673