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MedUni Wien trauert um Marianne Springer-Kremser

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Zum Ableben von Marianne Springer-Kremser am 26. Februar 2023

Die Medizinische Universität Wien gedenkt ihrer Ehrensenatorin und langjährigen Leiterin der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie, Marianne Springer-Kremser. Sie bekleidete über 20 Jahre einen Lehrstuhl, den seinerzeit die Republik Österreich nicht nur Sigmund Freud, sondern auch Jahrzehnte nach seinem Tod der damaligen noch Medizinischen Fakultät der Universität Wien – aber auch diese sich selbst – beharrlich verwehrte.

Erst im Jahre 1971 waren zwei Persönlichkeiten verantwortlich für eine Wende: Herta Firnberg, die erste Bundesministerin für ein eigenes Ressort für Wissenschaft und Forschung, und Hans Strotzka, der Begründer der Sozialpsychiatrie in Österreich und in den 1970er und 1980er Jahren ein Mitinitiator der Wiener Psychiatriereform. Es wurde im alten AKH – wobei die Jugendstilgebäude zwischen Spitalgasse und Währinger Gürtel gemeint sind – ein Institut für Tiefenpsychologie und Psychotherapie errichtet und Hans Strotzka mit dessen Leitung beauftragt. Als dieser – nach durchgehend erfolgreichen Jahren – im Jänner 1987 emeritierte, übernahm seine damalige Mitarbeiterin Marianne Springer-Kremser zwar die supplierende Institutsleitung, die Notwendigkeit der Psychoanalyse als eigenständige wissenschaftliche Disziplin wurde aber von Neuem hinterfragt. Es dauerte nämlich elf Jahre, bis Marianne Springer-Kremser am 1. Februar 1998 als Ordentliche Universitätsprofessorin und Nachfolgerin von Hans Strotzka bestellt wurde; das Institut selbst hatte nach dessen Übersiedlung in das neue AKH bereits 1994 den Status einer Universitätsklinik erlangt.

Unter Springer-Kremsers Leitung orientierte sich ihr erstes "Herzstück", die psychotherapeutische Ambulanz (die Klinik hatte und hat wohlweislich keine Bettenstation), zunehmend in Richtung Psychoanalyse, demgemäß erfolgte 2006 auch eine Umbenennung der Klinik auf ihren heutigen Namen. Die Ambulanz war auf schwer erkrankte Patienten konzentriert, die anderswo keinen Psychotherapieplatz bekommen oder gar nicht behandelt werden konnten, und diese Funktion hat sie noch heute. Mit dieser Ausrichtung wurde sie auch Basis für psychoanalytische und empirische Forschung, die der Klinik nach außen internationale Reputation ermöglichte, nach innen zahlreichen Teammitgliedern zur Habilitation und damit verbundenen Karriereaspekten verhalf.

Das zweite "Herzstück" war die psychosomatische Frauenambulanz, deren Gründung exakt Springer-Kremsers Qualifikation entsprach, denn sie wurde 1998 als Ordentliche Professorin für Psychiatrie mit besonderer Berücksichtigung von Psychotherapie und Psychosomatik berufen. Als gleichzeitige Konsiliar-Liaison-Ambulanz war diese ihrer Zeit voraus, denn lange bevor eine gendersensible Sichtweise in der Medizin etabliert war, bot diese Ambulanz einen frauenspezifischen Zugang im Verständnis von Beschwerden, Erkrankungen und Behandlungen. Gerade deshalb kam und kommt ihr im Studium, in Diplomarbeiten und Dissertationen eine zentrale Rolle zu. Überhaupt ist es Marianne Springer-Kremser gelungen, Beziehungsprozesse im Arzt-Patienten-Kontakt den Studierenden näherzubringen, und dass diese zur Selbstreflexion im Umgang mit Patienten befähigt werden, wodurch der Psychoanalyse ein Alleinstellungsmerkmal im Medizinstudium zukam und weiterhin zukommt. Springer-Kremsers Umgang und der ihres Teams mit Lernenden wird von diesen als motivierend, bestärkend und herausfordernd beschrieben. Sie konnte deren Beziehung zu Psychiatrie und Psychotherapie zu einer zentralen, wenn nicht bleibenden Erfahrung werden lassen.

Politisch oder innerhalb der Universität hinterfragt wurden die Notwendigkeit und die Eigenständigkeit der Psychoanalyse unter und nach Marianne Springer-Kremsers Wirken jedenfalls nicht mehr; im Gegenteil, die Psychoanalyse ist aus dem klinischen Fächerkanon nicht mehr wegzudenken, die Neuberufung nach Springer-Kremsers Emeritierung nahm nur wenige Monate in Anspruch.

Marianne Springer-Kremsers Rolle innerhalb der Medizinischen Universität Wien reichte aber über ihr Fachgebiet weit hinaus. Ihr Einsatz für die Gleichstellung von Frauen war ein unermüdlicher, denn er reichte in eine Zeit zurück, als Frauen auf Universitäten noch in beträchtlicher Minderheit und von einem Durchdringen der gläsernen Decke – im Sinne der Erlangung von Professorinnenstellen und Leitungspositionen – weit entfernt waren. Der erste sehr rigorose Frauenförderplan der Medizinischen Universität Wien nach ihrer Verselbständigung durch das neue Universitätsgesetz (UG 2002) wurde von ihr verfasst. Sie verschaffte sich immer lautstark Geltung, wenn sie nur in Ansätzen eine Diskriminierung von Frauen witterte, wenn Frauen im Rahmen von Anhörungen in Berufungsverfahren Fragen gestellt werden, die Männern nie gestellt würden, wenn sexuelle Belästigungen gegenüber Mitarbeiterinnen oder Studentinnen verharmlost oder verschwiegen zu werden drohen. Dabei hatte sie bei Gesprächen mit Betroffenen – nicht zuletzt aufgrund ihres Berufes – immer ein sicheres Gespür für die Sache und die Opfer.  

Von vergleichbarer Wachsamkeit war sie, wenn sie glaubte, antisemitische oder dem Nationalsozialismus entlehnte Äußerungen vernommen zu haben. Da noch bis in die 1980er Jahre Professoren mit nachgewiesener NS-Belastung an der – damals noch – Medizinischen Fakultät im Amt waren, war ihr Verhalten mitentscheidend, dass die gesamte Wiener Medizin ihre dunkelste Zeit tatsächlich offenlegen und dokumentieren konnte, letztlich ihre Täterrolle eingestand und der Opfer gedachte.

In diesem Sinne prägte Marianne Springer-Kremser das Gewissen der Medizinische Universität Wien mit. Sie war von ihrem Wesen her wie Seidenpapier, das immer knistert und vibriert. Dadurch leistete sie einen wesentlichen Beitrag zur moralischen Erziehung unserer Universität, die ihr im Rahmen ihrer Emeritierung im September 2009 den Titel einer Ehrensenatorin verlieh. Ganz sie selbst verbat sie sich dabei das Abspielen des "Gaudeamus igitur", sie bezeichnete es sinngemäß als ein dem Burschenleben gewidmetes studentisches Kneipenlied.

Wir, die sie kannten, werden sie nie vergessen.

Wolfgang Schütz