(Wien, 19-12-2022) Anhand von mehreren Millionen Datensätzen zeigte eine Forschungsgruppe der MedUni Wien und des Complexity Science Hub (CSH) bereits 2019, dass es einen Zusammenhang zwischen der Dosierung von Statinen und der Diagnose von Osteoporose gibt. Diese Erkenntnis konnte nun in einer präklinischen Studie bestätigt werden, welche aktuell im Fachjournal Biomedicine and Pharmacotherapy publiziert wurde.
Statine gehören zu den am häufigsten verschriebenen Medikamenten. Je höher die Dosierung, desto größer das Osteoporoserisiko: Das war das zentrale Ergebnis der vorangegangenen Big-Data-Analyse von 2019. Diese Erkenntnis wurde jetzt in präklinischen Untersuchungen bestätigt. "Damit konnte erstmalig der Zusammenhang zwischen einer hohen Dosis von Statinen und Osteoporose im Tiermodell nachgewiesen werden", sagen Alexandra Kautzky-Willer und Michael Leutner von der Universitätsklinik für Innere Medizin III, Abteilung für Endokrinologie und Stoffwechsel, der MedUni Wien.
Das Forscher:innenteam fand 2019 in einer Big-Data-Analyse heraus, dass hohe Dosen von Statinen mit einem erhöhten Risiko für Knochenschwund (Osteoporose) einhergehen, wogegen niedrige Dosen sogar mit einem geringeren Risiko für Osteoporose verbunden waren. Damals wurde eine Gesundheitsdatenbank mit mehr als 7,9 Millionen Österreicher:innen durchsucht. 353.502 Österreicher:innen nahmen zu dem Zeitpunkt Statine ein, bei 11.701 von ihnen wurde Osteoporose diagnostiziert. Ein entsprechender Zusammenhang konnte auch in der aktuellen Studie durch die Big-Data-Analyse bestätigt werden, wo Patient:innen mit einer hochdosierten Statintherapie vier- bis sechsmal häufiger die Diagnose einer Osteoporose gestellt bekamen.
Bei der aktuellen Studie untersuchten die Forscher:innen mithilfe einer detaillierten 3D-Bildgebungstechnik in Kooperation mit dem Knochenspezialisten Peter Pietschmann auch die Knochenqualität von Mäusen und stellten fest, dass eine langfristige hochdosierte Statintherapie sowohl bei männlichen als auch bei weiblichen ovarektomierten Mäusen nachteilige Auswirkungen auf die Knochen hat. Sowohl im trabekulären, als auch im kortikalen Bereich des Femurs zeigte sich ein signifikant niedrigeres Knochenvolumen bei den Mäusen die eine Hochdosis-Statintherapie erhielten. „Auch in der kortikalen Dicke des Femurs und im Wirbelkörper L4 spiegelten sich nachteilige Wirkungen einer hochdosierten Simvastatintherapie wider“, sagt Michael Leutner, Erstautor der Studie. Clemens Fürnsinn, hauptverantwortlich für die Durchführung der Mausexperimente, betont deren Bedeutung als Nachweis eines direkten Kausalzusammenhanges zwischen Statineinnahme und dem Verlust an Knochenqualität.
Die neuen Erkenntnisse könnten sich auf künftige Behandlungen auswirken: "Unsere Ergebnisse geben unweigerlich Anlass zur Besorgnis über Osteoporose als mögliche Nebenwirkung einer hohen Statin-Dosierung und fordern eine Überwachung des Knochenstoffwechsels bei solchen Patient:innen", sagt Alexandra Kautzky-Willer. „Aktuell untersuchen wir basierend auf unseren Ergebnissen aus 2019 und den Mausmodellen den Zusammenhang von cholesterinsenkenden Medikamenten und Osteoporose in einem translationalen Projekt, das eine klinische Studie, Mausmodelle und Big Data Analysen umfasst, um mehr Informationen über diesen Zusammenhang zu gewinnen“, erklärt Leutner.
Behandlung hoher Cholesterinwerte hat oberste Priorität
Nach Ansicht von Leutner und Kautzky-Willer soll die Behandlung hoher Cholesterinwerte oberste Priorität haben, da diese eng mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen und folglich mit der Sterblichkeitsrate verbunden sind. "Es muss jedoch noch nachgewiesen werden, ob neuere cholesterinsenkende Medikamente, die nicht zu den Statinen gehören (wie PCSK9-Hemmer - neuere und wirksamste Medikamente zur Behandlung hoher Cholesterinwerte mit nachgewiesenen kardiovaskulären Vorteilen), bessere Auswirkungen auf den Knochenstoffwechsel beim Menschen haben. Wenn dies der Fall ist, sollte die Behandlung auf den Einzelnen zugeschnitten sein", sagen Leutner und Kautzky-Willer.
Bei einer hohen Dosierung von Statinen sollte der Knochenstoffwechsel vor allem bei Hochrisikopatient:innen, wie Frauen nach der Menopause, genau überprüft werden, raten die Autor:innen der Studie. „Auch die Kalzium- und Vitamin-D-Spiegel sollten bei Patient:innen unter einer Hochdosis-Statintherapie regelmäßig kontrolliert werden", erklärt der Erstautor der Studie Michael Leutner.
Peter Klimek, Co-Autor der Studie und Leiter des Datenanalyse Teams, weist außerdem darauf hin, dass diese neuen Erkenntnisse zeigen, wie wichtig ein multidisziplinärer Ansatz in der biomedizinischen Forschung ist. Aus der Sicht von Big Data zeigen die Ergebnisse, dass es möglich ist, konkrete wissenschaftliche Erkenntnisse über neue unerwünschte Wirkungen für einige der am häufigsten verschriebenen Medikamente zu gewinnen.
Publikation: Biomedicine and Pharmacotherapy
Simvastatin therapy in higher dosages deteriorates bone quality: consistent evidence from population-wide patient data and interventional mouse studies;
Leutner Michael, Butylina Maria, Matzhold Caspar, Klimek Peter, Cuhaj Carina, Bellach Luise, Baumgartner-Parzer Sabina, Reiter Birgit, Preindl Karin, Kautzky Alexander, Stimpfl Thomas, Thurner Stefan, Pietschmann Peter, Fürnsinn Clemens, Kautzky-Willer Alexandra
DOI: https://doi.org/10.1016/j.biopha.2022.114089