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Inkubatoren auf der Intensivstation erzeugen Geräusche und können das Gehör von Frühgeborenen schädigen

Kooperationsstudie der MedUni Wien misst Pegel und Frequenzen von Geräuschen in Brutkästen
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(Wien, 27-03-2023) Eine Auswertung der üblichen Geräusche auf der Neugeborenen-Intensivstation ergab, dass die Inkubatoren zwar einige Geräusche dämpfen, aber auch einen dröhnenden Effekt bei niedrigen Frequenzen verursachen. Die Auswirkungen einer lauten Umgebung auf der Neugeborenen-Intensivstation sind zwar schon früher untersucht worden, nicht aber die Auswirkungen der Inkubatoren, in denen Frühgeborene in den ersten Lebenswochen/-monaten untergebracht sind. Ein Team der MedUni Wien gemeinsam mit Kolleg:innen aus Wien sowie aus Hamburg, München und Osnabrück fand heraus, dass die Inkubatoren zwar einige Geräusche dämpfen, andere aber verstärken und so das Gehör der Babys schädigen können.

Für gefährdete Frühgeborene ist ein Inkubator auf der Neugeborenen-Intensivstation (NICU) ein Lebensretter, aber die Folgen können ein Leben lang anhalten. Studien haben gezeigt, dass die Neugeborenen-Intensivstation eine laute Umgebung ist und dass Säuglinge, die sich dort aufhalten, häufiger an Hörstörungen leiden, was zu Verzögerungen beim Spracherwerb führen kann. Wissenschafter:innen der MedUni Wien, der Universität Wien, Universität für Musik und darstellende Kunst Wien sowie aus Hamburg, München und Osnabrück untersuchten die Rolle des Inkubators, eines unterschätzten Elements in der Geräuschkulisse, die Babys während ihrer Zeit auf der Neugeborenenintensivstation umgibt.

"Die Motivation unseres multidisziplinären Forschungsteams ist die Frage, warum viel mehr Frühgeborene an Hörstörungen leiden", sagt Christoph Reuter von der Universität Wien, corresponding Author der in Frontiers in Pediatrics veröffentlichten Studie. "Wir glauben, dass das, was wir in unseren Studien gemessen haben, eine der Hauptursachen sein könnte. Um jedoch zu verstehen, wie man Frühgeborene vor solchen Lärmpegeln schützen kann, sind genaue Informationen über die Umgebung erforderlich."

Hintergrundlärm
Frühgeborene erleben Lärm in Inkubatoren ganz anders als in der Gebärmutter. Fruchtwasser dämpft Geräusche von außerhalb der Gebärmutter, und die meisten Geräusche, die in der Gebärmutter zu hören sind, sind tieffrequente Geräusche und fast keine abrupten Geräusche. Im Gegensatz dazu sind die Geräusche im Inkubator viel weniger gedämpft, haben viele hochfrequente Komponenten und abrupt ansteigende Geräusche sind nicht die Ausnahme. Zwar wurden empfohlene Lärmgrenzwerte festgelegt, doch in der Realität, insbesondere wenn Brutkästen bedient oder geöffnet werden, kann der Lärm im Inneren meist weit über diese Grenzwerte hinaus ansteigen.   

"Unsere Studie konzentrierte sich auf verschiedene reale Geräusche und deren Pegel sowie auf deren Klangcharakteristiken, und zwar mit zwei Hauptzielen", sagt Matthias Bertsch von der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Mitautor der Studie. "Erstens die Beschreibung der Umgebung auf der Neugeborenen-Intensivstation und im Inkubator, zweitens die Bewusstseinsbildung durch die Präsentation von interaktivem Material aus realen Situationen."

Um die Qualität der Geräusche und ihre Auswirkungen auf Neugeborene zu untersuchen, platzierte das Team eine Simulationspuppe in einem mit Messmikrofonen ausgestatteten Inkubator im Pädiatrischen Simulationszentrum der Medizinischen Universität Wien. Verschiedene Geräusche aus der Neugeborenen-Intensivstation wurden abgespielt, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Inkubators aufgezeichnet und analysiert, um festzustellen, wie sie durch den Inkubator verändert wurden. Dabei wurden sowohl gewichtete Dezibelwerte (die an das menschliche Hörvermögen angepasst sind und häufig für Messungen an Inkubatoren verwendet werden) als auch ungewichtete Dezibelwerte ermittelt.

Ein Ohr für die Geräuschkulisse des Inkubators
Das Team stellte fest, dass der Inkubator die meisten Geräusche dämpfte, aber auch bestimmte Geräusche in seinem Hohlraum zum Schwingen brachte, wodurch ein dröhnender Effekt entstand und der Geräuschpegel um bis zu 28 Dezibel anstieg. Geräusche, die im Inneren des Inkubators oder bei der Handhabung des Inkubators auftraten, waren viel lauter als Geräusche, die außerhalb des Inkubators auftraten, wurden aber von Personen außerhalb des Inkubators nicht so laut wahrgenommen.

"Als geschlossene Kästen haben Inkubatoren in der Regel eine Eigenresonanz bei etwa 100 Hz, d.h. in diesem Bereich sind Geräusche im Inneren des Inkubators besonders laut", so Vito Giordano von der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Medizinischen Universität Wien, Senior-Autor der Studie. "Geräusche von außen klingen im Inneren des Inkubators aufgrund dieser Resonanz tonaler, dröhnender und dumpfer, aber auch weniger rau oder laut."  

Die Wissenschafter:innen fanden auch heraus, dass die gemessenen ungewichteten Dezibelwerte viel höher waren als die gewichteten Dezibelwerte. Sie stellten fest, dass die gewichteten Pegel die Lärmpegel, denen Frühgeborene ausgesetzt waren, deutlich unterschätzten, da die normalerweise verwendete Gewichtung nur Geräusche bei niedrigeren Pegeln genau wiedergibt und für die Ohren von Erwachsenen konzipiert ist, die in anderen Frequenzbereichen empfindlich sind.

"Unsere Ergebnisse sind nicht auf alle auf dem Markt befindlichen Inkubatoren verallgemeinerbar", warnte Reuter. "Außerdem haben wir in einem Simulationsraum unter idealen Bedingungen gemessen und nicht unter Alltagsbedingungen, wo der von der Umgebung erzeugte Schall noch lauter wäre."

Das Team wies darauf hin, dass es nicht darum geht, Babys jeglichen Schall zu entziehen: Sie sollten in der Lage sein, die Dinge zu hören, die um sie herum geschehen, um sich selbst zu entwickeln. Es wird jedoch unterschätzt, wie wichtig es ist, den Schall bei der Gestaltung und Verwendung von Inkubatoren zu berücksichtigen. Der Lärm auf der Neugeborenen-Intensivstation sollte als potenzielles Risiko für das Gehör der Patient:innen betrachtet werden, so die Autoren.
10.3389/fped.2023.1147226