(Wien, 17-11-2023) Rund sieben Prozent der Kinder in Österreich kommen als Frühgeborene zur Welt, also vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche (SSW). Je früher ein Kind geboren wird, desto unreifer sind seine Organfunktionen und umso höher ist das Risiko, dass es erkrankt oder eine bleibende Beeinträchtigung erleidet. Bei extrem unreif geborenen Kindern (Geburt vor der 28. SSW) geht es häufig sogar um Leben und Tod und sie benötigen rund um die Uhr eine optimale medizinische und pharmazeutische Behandlung. Diese anspruchsvolle Aufgabe wird am Universitätsklinikum AKH Wien von einem interdisziplinären Team geleistet, in das Ärzt:innen, Pflegekräfte und Apotheker:innen ihre Expertise einbringen.
Auf den neonatologischen Intensivstationen von AKH Wien und MedUni Wien werden Kinder behandelt, die so früh zur Welt gekommen sind, dass sie teils weniger als 500 Gramm wiegen und kaum so groß wie die Hand eines Erwachsenen sind. Noch vor wenigen Jahren hätten viele dieser Patient:innen keine Überlebenschance gehabt. Durch moderne Therapieansätze und interdisziplinäre Zusammenarbeit konnte die Grenze der Überlebensfähigkeit von extrem unreifen Frühgeborenen inzwischen auf 22 bis 23 Schwangerschaftswochen gesenkt werden. In Wien überleben auf den von Angelika Berger geleiteten Frühgeborenen-Intensivstationen von MedUni Wien und AKH Wien inzwischen weit über 80 Prozent aller extrem Frühgeborenen und ebenfalls weit über 80 Prozent zeigen im Verlauf eine günstige neurologische Entwicklung. „Solche Erfolge sind nur durch eine sehr gute fachliche Zusammenarbeit und den großen persönlichen Einsatz von Ärzt:innen, Krankenhausapotheker:innen und Pflegekräften möglich“, hält Angelika Berger fest.
Tägliche individuelle Infusions-Sets für jedes Frühgeborene aus der Anstaltsapotheke
Der Aufwand, um die kleinen Patient:innen bestmöglich versorgen zu können, ist groß – nicht nur direkt auf den Intensivstationen, wo zu jeder Tages- und Nachtzeit ca. drei Fachkräfte pro Frühgeborenem benötigt werden. So stellen in der von Martina Anditsch geleiteten Anstaltsapotheke des AKH Wien Pharmazeut:innen und pharmazeutisch kaufmännische Assistent:innen jeden Tag in Handarbeit und mit Hilfe von automatisierten Pumpsystemen alle planbaren Infusionen für die nächsten 24 Stunden her – ganz individuell für jede:n Patient:in. Ein „Set“ an Infusionen umfasst pro Frühgeborenes bis zu 15 Perfusoren (Spritzen für Infusionspumpen) oder mehr sowie eine Vielzahl an Schläuchen („Lines“), Stegen und Verbindern.
Ein wichtiger Bestandteil dieser individuell angepassten „Sets“ ist die parenterale Ernährung. Dabei wird der noch unterentwickelte Körper des Frühgeborenen mit Aminosäuren, Fett, Glucose sowie wichtigen Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen durch Infusionen über das Blutgefäßsystem versorgt. Dieses Vorgehen soll so weit wie möglich die natürliche Versorgung mit Nährstoffen im Mutterleib kompensieren. Je nach Laborwerten wird die Zusammensetzung von den Ärzt:innen fortlaufend angepasst (z.B. Zugabe von mehr Natrium bei niedrigen Werten) und von den Apotheker:innen zusätzlich geprüft. Außerdem enthalten die „Sets“ Infusionen, mit denen Medikamente kontinuierlich über 24 Stunden verabreicht werden können („Bypässe“) und Kurzinfusionen zur Verabreichung bestimmter Arzneimittel über kürzere Zeiträume (z.B. Antibiotika oder Schmerzmittel).
Im vergangenen Jahr haben die Mitarbeiter:innen der Abteilung i.v.-Service (i.v. = intravenös) der Apotheke im Universitätsklinikum AKH Wien über 6.000 dieser „Sets“ für kleine Patient:innen her- und zusammengestellt. Neben den beiden Neugeborenen-Intensivstationen werden von dem i.v.-Service auch die neonatologischen Intermediate-Care-Station sowie Neugeborene und Kinder auf weiteren ausgewählten Stationen der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde von MedUni Wien und AKH Wien mit individuellen Infusionen versorgt. Das Service wird laufend ausgebaut.
Höchste Hygienestandards bei der Her- und Zusammenstellung der Infusionen nötig
Besonders herausfordernd bei der Her- und Zusammenstellung dieser „Sets“ sind die hohen Hygienerichtlinien, da gerade bei extrem Frühgeborenen das Immunsystem noch stark unterentwickelt ist und Krankheitserreger schwer abwehren kann. Daher werden die Perfusoren von dem Team der Krankenhausapotheke in speziellen Reinräumen individuell für jede:n Patient:in befüllt und steril verschweißt auf die Stationen transportiert. Dort werden die Perfusoren in einer sogenannten Laminar-Air-Flow-Werkbank unter aseptischen Bedingungen zu den jeweiligen „Sets“ zusammengestellt und zu den Infusionspumpen gebracht, die sich neben den Brutkästen der kleinen Patient:innen befinden.
Als Arzneimittel-Spezialist:innen stehen die Apotheker:innen des i.v.-Service den Ärzt:innen und Pflegekräften in klinisch-pharmazeutischen Fragestellungen beratend zur Seite. So erarbeiten sie beispielsweise Listen, aus denen auf den Stationen jederzeit ersichtlich ist, welche Wirkstoffe mit anderen kompatibel sind, in welchen Konzentrationen Wirkstoffe mindestens einen Tag bei Raumtemperatur stabil bleiben (so lange hängt ein Infusionsset an der Patientin bzw. am Patienten), welche Wirkstoffe vor Licht geschützt werden müssen und in welchem Verhältnis bestimmte Verdünnungen vorgenommen werden müssen. Die Schulung von Pflegekräften im Bereich des aseptischen Arbeitens gehört ebenfalls zu ihren Tätigkeiten. Zudem erledigt die Abteilung wichtige logistische Aufgaben wie die Bestellung, Kontrolle und Verteilung von benötigten Medikamenten und Medizinprodukten für die Stationen.
Apotheke im Universitätsklinikum AKH Wien bald die größte Krankenhausapotheke in Europa
Die Abteilung i.v.-Service umfasst derzeit sechs Pharmazeutinnen und zehn pharmazeutisch-kaufmännische Assistent:innen (PKAs). Insgesamt sind in der Anstaltsapotheke des Universitätsklinikums AKH Wien über 200 Personen beschäftigt. Gemeinsam sorgen sie dafür, dass die tausenden Patient:innen auf den verschiedenen Stationen zu jeder Zeit zuverlässig mit den richtigen Arzneimitteln, Diagnostika, Medizinprodukten und speziellen Ernährungsmitteln versorgt werden und die Arzneimitteltherapiesicherheit zu jeder Zeit gewährleistet ist.
Pro Tag verteilen die Mitarbeiter:innen der Apotheke rund 15.000 Arzneimittelpackungen an die Stationen des Universitätsklinikums AKH Wien. Derzeit wird die Anstaltsapotheke im laufenden Betrieb baulich erweitert und zur größten Krankenhausapotheke in ganz Europa ausgebaut. Rund 200.000 Arzneimittel-Packungen sollen dann künftig vor Ort für die Patient:innen gelagert werden können.
Video: Patientenzentrierte Spitzenmedizin am CCP der MedUni Wien & AKH Wien–Fall frühgeborener Zwillinge