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Traditionelle Chinesische Medizin: Großes Vertrauen, wenig Evidenz

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(Wien, 20-03-2023) Die Bevölkerung in Österreich bringt der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) großes Vertrauen entgegen. Auch gemäß Weltgesundheitsorganisation WHO sollen Diagnose- und Therapiemethoden aus der TCM in nationalen Gesundheitssystemen weiter gestärkt werden. Eine aktuelle Publikation der MedUni Wien stellt eine deutliche Divergenz zwischen empfundener und tatsächlicher Wissenschaftlichkeit bei TCM fest. Die Untersuchung wurde im Zuge des Wahlfachs „Komplementärmedizin“ an der MedUni Wien durchgeführt, in dessen Rahmen sich Studierende mit der Abgrenzung von Evidenz und Esoterik bei alternativen Heilmethoden wie TCM beschäftigen. Die Studienergebnisse wurden aktuell in „British Medical Journal open“ publiziert.

Für die Untersuchung des Teams um Harald Sitte (Institut für Pharmakologie der MedUni Wien) wurden 1.382 Menschen in Österreich zu ihrer Anwendung und Einschätzung von Verfahren der Chinesischen Traditionellen Medizin befragt. Um eine repräsentative Stichprobe zu erhalten, wurden die Ergebnisse mit Hilfe von Daten der Statistik Austria gewichtet. Darüber hinaus sorgen statistische Methoden (Netzwerkanalyse, Gaußsche Copula, Bayesanischer Schätzer) für größtmögliche Stichhaltigkeit der Umfrage-Ergebnisse.

Demnach haben 60 Prozent der Frauen und 40 Prozent der Männer in der befragten Gruppe schon einmal Verfahren der TCM angewendet. Trotz mangelnder klinischer Evidenz halten 65 Prozent der Frauen und 50 Prozent der Männer TCM für wissenschaftlich fundiert. „Interessant dabei ist, dass die empfundene Wissenschaftlichkeit von TCM mit dem Vertrauen in die Methode selbst korreliert“, verdeutlicht Erstautor Michael Eigenschink (Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der MedUni Wien).

Bereits 2020 hatte das Team eine kritische Untersuchung der wichtigsten Prämissen der Traditionellen Chinesischen Medizin publiziert. Dabei wurde die mangelnde bzw. fehlende Evidenz grundlegender TCM-Konzepte wie Qi, Meridiane, Akupunktur, Puls- und Zungendiagnostik sowie traditionelle Kräuterbehandlung festgestellt. Kritisch beleuchtet wurde dabei etwa auch die Verwendung von pharmakologisch wirksamen Substanzen, die nicht nach denselben strengen Richtlinien reguliert werden wie konventionelle Pharmazeutika. Aspekte wie dieser finden sich im Bewusstsein der Bevölkerung ebenso wenig wie der schwierige ethische Hintergrund der Anwendung von tierischen Bestandteilen (z. B. Pangolin-Schuppen).

Die in der Untersuchung festgestellte Divergenz zwischen der empfundenen und tatsächlichen Evidenz von TCM orten die MedUni Wien-Forscher:innen auch in den aktuellen politischen Entscheidungen zur Stärkung von TCM im Gesundheitssystem. „Politische Verantwortungsträger:innen sollten Achtsamkeit gegenüber der Wissenschaftlichkeit walten lassen“, betont Studienleiter Harald Sitte. Im Sinne der Mündigkeit von Patient:innen bei der Entscheidung für oder gegen die Anwendung komplementärmedizinischer Heilmethoden sei es besonders wichtig, über die fehlende bzw. mangelnde Evidenz zu informieren.

Wahlfach „Komplementärmedizin“ an der MedUni Wien
Das Wahlfach „Komplementärmedizin: Esoterik und Evidenz“ wird seit dem Sommersemester 2019 an der MedUni Wien angeboten, um Studierenden für die Abgrenzung von Wissenschaftlichkeit und Profitstreben zu sensibilisieren.

Publikation: British Medical Journal Open
Cross-sectional survey and Bayesian network model analysis of traditional Chinese medicine in Austria: investigating public awareness, usage determinants and perception of scientific support
Michael Eigenschink, Luise Bellach, Sebastian Leonard, Tom Eric Dablander, Julian Maier, Fabian Dablander, Harald H Sitte
Doi: 10.1136/bmjopen-2021-060644
https://bmjopen.bmj.com/content/13/3/e060644