
(Wien, 10-12-2024) In einer umfassenden Analyse zeigt ein Forschungsteam der MedUni Wien in Zusammenarbeit mit der Gesundheit Österreich GmbH, dass die Zahl der Spitalsaufnahmen wegen Depressionen in Österreich deutliche regionale Unterschiede und ein Stadt-Land-Gefälle aufweist. Die Forscher:innen werteten dazu die Spitalsaufnahmeraten pro 1.000 Einwohner:innen aller österreichischen Gemeinden über fünf Jahre aus. Wie die Studie verdeutlicht, hängen die Aufnahmeraten signifikant von zwei Faktoren ab: der Nähe zu Spitälern und der Verfügbarkeit von psychiatrischer Versorgung im niedergelassenen Bereich. Das bedeutet, dass Einwohner:innen von Gemeinden mit eigenen Spitälern oder mit Spitälern in Nachbargemeinden statistisch gesehen häufiger wegen Depression stationär behandelt werden. Die Ergebnisse weisen auf mögliche Diskrepanzen zwischen dem Bedarf der Patient:innen und der medizinischen Versorgungsstruktur hin und wurden kürzlich im Fachjournal „Health Policy“ publiziert.
In der Studie untersuchten Michael Berger und Judit Simon von der Abteilung für Gesundheitsökonomie am Zentrum für Public Health der MedUni Wien die Daten von 93.302 Krankenhausepisoden zwischen 2009 und 2014 aus 2114 Gemeinden. Die Ergebnisse zeigen, dass die Einweisungsraten aufgrund von Depressionen in Gemeinden mit Krankenhausversorgung signifikant höher sind als in Gemeinden ohne Krankenhäuser. Besonders auffällig sind die Unterschiede zwischen städtischen, vorstädtischen und ländlichen Gebieten. In Vorstadtgemeinden sind die Einweisungsraten aufgrund von Depressionen um bis zu 13 Prozent höher als in ländlichen Gemeinden, was auf einen möglichen Einfluss des Krankenhausangebots auf die Nachfrage nach stationären Behandlungen hinweist. In Gemeinden mit Krankenhäusern ist die Rate der Depressionseinweisungen um bis zu zwölf Prozent höher als in solchen ohne Spitalsversorgung.
Die Analyse zeigt auch einen räumlichen „Spillover“-Effekt: Ein Krankenhaus in einer Gemeinde hat nicht nur Auswirkungen auf die Inanspruchnahme in der eigenen Gemeinde, sondern auch auf benachbarte Gemeinden. Dieser Effekt ist selbst bei allgemeinen Krankenhäusern ohne eigene psychiatrische Stationen zu beobachten, was darauf hindeutet, dass die Verfügbarkeit von Krankenhausressourcen in der Region die Patient:innenströme über Gemeindegrenzen hinweg beeinflusst. „Diese geografische Ausdehnung der Inanspruchnahme zeigt, dass das Vorhandensein von Krankenhäusern eine starke Rolle bei der Entscheidung spielt, ob Patient:innen mit Depressionen stationär behandelt werden, selbst wenn keine spezifischen psychiatrischen Betten zur Verfügung stehen“, verdeutlicht Studienautor Michael Berger.
Die Ergebnisse legen auch nahe, dass die hohe Zahl an Krankenhauseinweisungen aufgrund von Depressionen in bestimmten Regionen nicht allein durch den tatsächlichen Bedarf an stationärer Versorgung erklärt werden kann, sondern auch durch die Struktur des Gesundheitsangebots. Eine mangelnde ambulante Versorgung und die geografische Konzentration von Krankenhäusern in städtischen und vorstädtischen Gebieten führen möglicherweise zu einer ineffizienten Verteilung der Gesundheitsressourcen. Die Autor:innen schließen aus den Ergebnissen, dass eine bessere Verknüpfung von stationären und ambulanten Gesundheitseinrichtungen sowie eine gezielte Förderung der psychiatrischen Versorgung dazu beitragen könnte, die Zahl vermeidbarer Krankenhauseinweisungen zu senken. „Die Förderung des rechtzeitigen Zugangs zur Versorgung im niedergelassenen Bereich und zu Behandlungen im Frühstadium kann die Belastung der Patient:innen und der öffentlichen Haushalte durch vermeidbare Krankenhausaufenthalte verringern und eine Lücke im ungedeckten Bedarf für die Versorgung gefährdeter Bevölkerungsgruppen schließen“, betont Studienautorin Judith Simon.
Publikation: Health Policy
Urban-rural disparities in hospital admissions for depression in Austria: A spatial panel data analysis.
Michael Berger, Martin Zuba, Judit Simon
https://doi.org/10.1016/j.healthpol.2024.105209