
(Wien/Ann Arbor, Michigan), 14-11-2024) Ein auf Künstliche Intelligenz (KI) gestütztes System namens „FastGlioma“ erlaubt bereits im Laufe einer diffizilen Operation an einem Gehirntumor die Analyse des entnommenen Gewebes. Im Fachblatt „Nature“ stellt das US-amerikanisch-österreichische Team seine neueste Entwicklung vor. Sie erlaubt in wenigen Sekunden genaue Abschätzungen darüber, ob es sich bei eben entnommenem Gewebe um Tumorzellen eines Glioms oder bereits um gesundes Gewebe handelt. Das System wurde unter maßgeblicher Mitwirkung der MedUni Wien entwickelt.
Die Abwägung, wo ein Tumor endet und gesundes Gewebe beginnt, ist gerade im Gehirns wichtig. Wird zu viel entnommen, kann das zentrale Prozesse wie etwa die Sprach- oder Bewegungsfähigkeit beeinträchtigen. Bleiben Krebszellen zurück, erhöht das die Wahrscheinlichkeit einer frühen Rückkehr der Erkrankung bei entsprechend verringerter Überlebensrate. Auch die zunehmende Dauer einer Hirn-OP erhöht das Risiko von Komplikationen für die Patient:innen. Hier also schneller bzw. möglichst umgehend zu verlässlichen Einschätzungen zu kommen, ist dementsprechend entscheidend.
An der Entwicklung eines solchen Ansatzes arbeitet seit Jahren ein Team unter Federführung von Todd Hollon von der University of Michigan (USA) zusammen mit Forschenden von der University of California in San Francisco, der New York University sowie der Universitätsklinik für Neurochirurgie und der Abteilung für Neuropathologie und Neurochemie der Universitätsklinik für Neurologie der Medizinischen Universität Wien.
Am Universitätsklinikum AKH Wien blickt man seit dem Jahr 2020 bereits auf über 500 Operationen mit KI-Histopathologie-Einsatz zurück, erklärten Georg Widhalm und Lisa Körner (beide Universitätsklinik für Neurochirurgie), die das Projekt u.a. mit Thomas Rötzer-Pejrimovsky (Abteilung für Neuropathologie und Neurochemie) vorantreiben. Statt rund einer halben Stunde, bis eine Probe auf herkömmlichem Weg befundet werden kann, geht es im Tandem Mensch-Machine-Learning-System an der Meduni Wien deutlich schneller.
System wurde rund vier Millionen Bildern trainiert
In der aktuellen Studie wurden zahlreiche Proben von Gliomen mit der neuen Technik analysiert. Insgesamt trainierte die KI mit rund vier Millionen Bildern, wie die Forscher:innen in ihrer Arbeit schreiben. Ebenso wurden von der Forschungsgruppe der MedUni Wien neuropathologische und molekularbiologische Analysen durchgeführt: „Diese Daten haben maßgeblich zur Entwicklung der neuen KI ,FastGlioma‘ beigetragen“, so Körner und Widhalm. Das System kann nun innerhalb weniger Sekunden abschätzen, wie stark eine frisch chirurgisch entnommene Probe von Krebszellen durchdrungen ist – die Expert:innen sprechen von „Infiltration“ durch den Tumor. Laut den Forschungsergebnissen übertrifft „FastGlioma“ die standardmäßig bei Operationen eingesetzten Methoden, mit denen die Unterscheidung auf Basis von Bildern oder über fluoreszierende Kontrastmittel ermöglicht wird.
Was nun für den Bereich der Gliome demonstriert wurde, lasse sich in der Folge auch auf andere Hirntumordiagnosen bei Kindern und Erwachsenen übertragen, zeigen sich die Studienautor:innen überzeugt. Immerhin zählt man heute rund 120 verschiedene Tumorarten, die das Gehirn befallen können. So unterstützt würden dementsprechend die Chancen steigen, ein Maximum des Tumors punktgenau sicher zu entfernen: „Dadurch erwarten wir, dass die Prognose bei Hirntumorpatienten in Zukunft verbessert werden kann“, so die Co-Entwickler:innen der MedUni Wien. Die neuen Erkenntnisse würden das große Potenzial zeigen, das KI in der Versorgung von Krebspatient:innen insgesamt hat, schreiben die Forscher:innen in "Nature".
Publikation: Nature
Foundation models for fast, label-free detection of glioma infiltration
Akhil Kondepudi, Melike Pekmezci, Xinhai Hou, Katie Scotford, Cheng Jiang, Akshay Rao, Edward S. Harake, Asadur Chowdury, Wajd Al-Holou, Lin Wang, Aditya Pandey, Pedro R. Lowenstein, Maria G. Castro, Lisa Irina Koerner, Thomas Roetzer-Pejrimovsky, Georg Widhalm, Sandra Camelo-Piragua, Misha Movahed-Ezazi, Daniel A. Orringer, Honglak Lee, Christian Freudiger, Mitchel Berger, Shawn Hervey-Jumper & Todd Hollon
https://doi.org/10.1038/s41586-024-08169-3