
(Wien, 15-01-2025) In einer Studie der Medizinischen Universität Wien wurde die Entwicklung der Nutzung verschiedener Ebenen des österreichischen Gesundheitssystems zwischen 2006 und 2019 untersucht. Durch die Analyse von drei umfassenden Bevölkerungsbefragungen der Statistik Austria konnte gezeigt werden, dass alle Gesundheitseinrichtungen eine steigende Zahl an Patient:innenbesuchen aufweisen. Auch Hausärzt:innen wurden wieder vermehrt aufgesucht. Die Inanspruchnahme der vielfach überlasteten und kostenintensiveren Spitäler und Fachärzt:innen verringerte sich dadurch jedoch nicht. Die Studienergebnisse wurden im „European Journal of Public Health“ veröffentlicht.
Das Forschungsteam des Zentrums für Public Health und der Universitätsklinik für Notfallmedizin der MedUni Wien untersuchte die Nutzung von Gesundheitseinrichtungen auf Basis der Österreichischen Gesundheitsbefragungen der Statistik Austria aus den Jahren 2006/07, 2014 und der zuletzt durchgeführten von 2019 mit insgesamt mehr als 46.000 Teilnehmer:innen. Dabei hatte man u.a. erhoben, ob die Teilnehmer:innen jeweils im Jahr vor Durchführung der Bevölkerungsbefragung mindestens einmal Allgemeinmediziner:innen, Fachärzt:innen oder Spitalsambulanzen aufgesucht hatten oder stationär behandelt worden waren. Weiters wurde abgefragt, ob die Sekundärversorgungsebene (Spitäler, Fachärzt:innen) ohne begleitenden Hausärzt:innenbesuch (primäre Versorgungsebene) in Anspruch genommen wurde.
Über den Untersuchungszeitraum von 13 Jahren konnte gezeigt werden, dass es in allen Versorgungsebenen zu einem Anstieg an Konsultationen gekommen ist, insbesondere im Bereich der Sekundärversorgung. „Interessanterweise wurden Hausärzt:innen zuletzt wieder verstärkt aufgesucht“, berichtet Studienautor Roland Kraxner vom Zentrum für Public Health der MedUni Wien, selbst niedergelassener Allgemeinmediziner. Zudem stellte das Forschungsteam fest, dass die Zahl der Patient:innen in der Sekundärversorgung ohne vorherige Hausärzt:innenbesuche zwischen 2014 und 2019 wieder abnahm. Die vermehrte Nutzung der Primärversorgung führte jedoch nicht zu einer geringeren Inanspruchnahme von Fachärzt:innen und Spitälern.
In einem Land wie Österreich, in dem der Zugang zu allen Versorgungsebenen frei gewählt werden kann, ist das Verständnis des Nutzungsverhaltens von Einrichtungen der Primär- und Sekundärversorgung von entscheidender Bedeutung. Die öffentlichen Gesundheitsausgaben in Österreich gehören zu den höchsten in der Europäischen Union, während die Zahl der gesunden Lebensjahre unter dem EU-Durchschnitt liegt. Der so genannte „Best Point of Service“-Ansatz ist eine der Kernaussagen der laufenden Gesundheitsreform in Österreich. Gemeint ist damit „der richtige Ort, um die beste Behandlung zum richtigen Zeitpunkt und zu den aus gesellschaftlicher Sicht niedrigsten Kosten zu erbringen“. Dieses Konzept zielt auf eine Stärkung der Primärversorgung ab, etwa durch die Einrichtung von multidisziplinären Primärversorgungszentren als erste Anlaufstelle im Gesundheitssystem, um Konsultationen in höheren Versorgungsebenen zu reduzieren. „Je nach Bundesland werden bisher aber nur null bis 8,72 Prozent der österreichischen Bevölkerung in einem solchen multiprofessionellen Zentrum betreut“, so Kraxner.
Fazit der Studie: Die Ergebnisse der Analyse zeigen einen anhaltenden Trend zu einem Anstieg der Nutzung von Gesundheitseinrichtungen, insbesondere im sekundären Bereich. Während die Hausärzt:innenbesuche zwischen 2006/07 und 2014 zurückgingen, ist zwischen 2014 und 2019 ein leichter Anstieg zu beobachten, was jedoch nicht zu einer Verringerung der Konsultationen in der Sekundärversorgung geführt hat. Die Inanspruchnahme aller Leistungen der sekundären Gesundheitsversorgung war im Jahr 2019 für fast alle demografischen Untergruppen so hoch wie nie zuvor während des gesamten Beobachtungszeitraums. „Diese Ergebnisse sollten vor dem Hintergrund der laufenden strukturellen Gesundheitsreformen in Österreich, insbesondere im Bereich der Primärversorgung, betrachtet werden. Die Auswirkungen dieser Reformbemühungen spiegeln sich in den Daten noch nicht wider. Einmal mehr ist die koordinierende Rolle der Allgemeinmediziner:innen zur Versorgung der Patient:innen am ,Best Point of Service‘ hervorzuheben“, betont Roland Kraxner.
Publikation: European Journal of Public Health
Access points to different levels of health care over 13 years. Utilization behaviour in a changing health care system. Results of a three-wave cross-sectional series in Austria.
Roland Kraxner, Thomas Dorner, Dominik Roth, Kathryn Hoffmann.
doi: 10.1093/eurpub/ckae180
https://academic.oup.com/eurpub/advance-article/doi/10.1093/eurpub/ckae180/7907600