Skip to main content English

Diabetes-Therapie: Geschlechtsspezifischer Ansatz von großer Bedeutung

Die Unterschiede zwischen Mann und Frau werden bei der Behandlung vernachlässigt.

(Wien 25-03-2014) Die internationalen Richtlinien für die medikamentöse Therapie von Diabetes mellitus geben vor, welche Faktoren bei der Behandlung zu beachten sind. Faktoren wie das Alter, die Dauer der Erkrankung, die Lebenserwartung, das soziale Umfeld oder begleitende Erkrankungen. „Was in dieser Check-Liste aber fehlt, ist das Geschlecht“, kritisiert Alexandra Kautzky-Willer, Expertin für Gender Medicine an der MedUni Wien, anlässlich der 7. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für geschlechtsspezifische Medizin, die am kommenden Freitag (28. März 2014) in Wien stattfindet.

Diabetes lässt sich medikamentös bereits seit vielen Jahren gut behandeln, immer wieder kommen Medikamentenklassen mit einem neuen Wirkmechanismus hinzu. Bei der Behandlung fehle aber die geschlechtsspezifische Überlegung, so Kautzky-Willer: „Die verschiedenen Medikamente und Therapien haben für Frauen und Männer unterschiedliche Nebenwirkungen und Effekte. Das wird in den meisten Fällen nicht bedacht – oder ist noch unbekannt.“

Eine der neuesten Diabetes-Therapien setzt auf so genannte SGLT2-Hemmer, die dafür sorgen, dass Zucker über den Urin ausgeschieden wird und nur in geringem Ausmaß über die Niere wieder in den Kreislauf aufgenommen wird. Studien haben aber ergeben, dass diese Therapie bei Frauen vermehrt zu Genitalinfektionen (Genitalmykosen) führen kann. „Andererseits ist gerade diese Form der Behandlung bei Frauen wegen des damit verbundenen Gewichtsverlusts besonders beliebt“, sagt die Diabetes-Expertin der MedUni Wien. „Außerdem ist diese neue Medikamentenklasse nicht mit einem Anstieg des Hypoglykämie-Risikos behaftet, was bei Frauen unter Insulintherapie hingegen ein häufigeres Problem als bei Männern darstellt.“

In Entwicklung befindet sich derzeit eine weitere Therapie, die auf dem Enzym der 11β-Hydroxysteroid-Dehydrogenase basiert. Diese Medikamente blockieren die Umwandlung von inaktivem Cortison in aktives Cortisol und beeinflussen somit den Energiehaushalt und Stoffwechsel, darunter auch die Bildung von Leberfett. In einer aktuellen, internationalen Studie, an der die MedUni Wien beteiligt war, konnte nachgewiesen werden, dass bei 20 Prozent der Probandinnen mit Fettleber bei dieser Therapie nach drei Monaten eine Normalisierung des Leberfettgehalts und eine Verminderung des Bauchfetts erreicht werden konnte. Die unerwünschte Nebenwirkung: Bei weiblichen StudienteilnehmerInnen stieg das Testosteron deutlich an.

Kautzky-Willer: „Diese Beispiele allein zeigen, wie wichtig unter dem Schlagwort personalisierte Medizin auch eine geschlechtsspezifische Betrachtung und Auswahl der Therapie ist.“ Die Studie wurde nun im Journal „Lancet Diabetes Endocrinol“ veröffentlicht.

Fettablagerung am Herzen eine Spätfolge von Diabetes
In einer weiteren aktuellen Studie in „PLOS ONE“ untersuchten die Wiener ForscherInnen von der Universitätsklinik für Innere Medizin III, ob sich eine Fettablagerung am Herzen bei Diabetes mellitus bereits im Frühstadium der Erkrankung bei jungen Frauen mit erhöhtem Risiko manifestiert – wie das in der Leber der Fall ist. Das könnte dann nämlich zum höheren Risikoanstieg für kardiale Komplikationen der Diabetikerinnnen im Vergleich zu Diabetikern beitragen. Das Ergebnis: Eine Verfettung des Herzens mit den damit verbundenen erhöhten Risiken für die Entwicklung einer diabetische Kardiomyopathie ist eine Spätfolge von Diabetes und könnte durch eine Lebensstiländerung und Gewichtsverlust verhindert bzw. verzögert werden.

600.000 ÖsterreicherInnen haben Diabetes
Rund 600.000 Menschen in Österreich, und damit rund acht Prozent, haben Diabetes. Das sind die neuesten Zahlen aus dem aktuellen Österreichischen Diabetesbericht 2013 des Gesundheitsministeriums. Frauen mit Diabetes geben häufig eine schlechtere Lebensqualität an als Männer, wobei vor allem das seelische Wohlbefinden schlechter ist. Diabetikerinnen haben auch häufiger Depressionen als männliche Betroffene.

Präventiv bestehen im Frühstadium einige Möglichkeiten, den Ausbruch der Erkrankung bei Diabetes mellitus (Typ II) zu verhindern, da hier Lebensgewohnheiten eine große Rolle spielen. Als Hauptursachen gelten Stress, Rauchen, ein Mangel an Bewegung, ungesunde Ernährung und vor allem Bauch-betontes Übergewicht.

Das gefährliche an Diabetes: Er entsteht schleichend und viele der Betroffenen erfahren davon erst, wenn bereits eine gefährliche Folgeerkrankung wie Herzinfarkt, Schlaganfall, eine Verminderung der Sehfähigkeit oder der Nierenfunktion eingetreten ist. Daher rät Kautzky-Willer, die auch ÖGGSM-Präsidentin ist, dazu, rechtzeitig zur Vorsorgeuntersuchung zu gehen. Das gilt vor allem für Risikogruppen: Menschen über 45, mit Übergewicht, erhöhtem Bauchumfang, mit genetischer Vorbelastung, Bluthochdruck, aber auch mit Herzinsuffizienz oder Fettlebererkrankungen. Bei Frauen mit höherem Risiko wird die Durchführung eines oralen Glukosetoleranztests (OGGT) empfohlen.
 
Termin: 7. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für geschlechtsspezifische Medizin am 28. März 2014
Ärztekammer für Wien, Weihburggasse 10-12, 1010 Wien. Infos: www.gendermedizin.at. Als Keynote-Speakerin kommt Karin Schenck-Gustafsson vom Karolinska Institutet in Stockholm nach Wien. Sie ist eine der renommiertesten Gender-Medizinerinnen weltweit.

Service: PLOS ONE
„Hepatic Rather Than Cardiac Steatosis Relates to Glucose Intolerance in Women with Prior Gestational Diabetes.“ Yvonne Winhofer, Martin Krssak, Peter Wolf, Andrea Tura, Christian-Heinz Anderwald, Lana Kosi, Gert Reiter, Giovanni Pacini, Siegfried Trattnig, Anton Luger, Michael Krebs, Alexandra Kautzky-Willer. PLOS ONE, March 12, 2014.