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Die Kluft zwischen Theorie und Praxis: Weshalb Medikamente nicht immer wie erwartet wirken

Medikamente wirken nicht. Oder sie zeigen unerwünschte Nebenwirkungen. Eine unter Beteiligung der MedUni Wien entstandene Publikation in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Nature Reviews Drug Discovery“ zeigt nun Lösungen für dieses häufig auftretende, medizinische Problem.

(Wien, 14-07-2011) Medikamente wirken nicht. Oder sie zeigen unerwünschte Nebenwirkungen. Eine unter Beteiligung der MedUni Wien entstandene Publikation in der aktuellen Ausgabe des Wissenschaftsmagazins „Nature Reviews Drug Discovery“ zeigt nun Lösungen für dieses häufig auftretende, medizinische Problem.

Wirkung und etwaige Nebenwirkungen von Medikamenten werden vor ihrer Zulassung streng geprüft. Bei diesen eingehenden Untersuchungen stellen die Arzneimittelbehörden sicher, dass die Vorteile eines Medikamentes die Risiken überwiegen. Allerdings gibt es immer wieder Fälle, bei denen Medikamente nicht die bei der Zulassung angenommenen und aus den Studien zu erwartenden Ergebnisse erzielen. Oft ist die Wirkung von Medikamenten im medizinischen Alltag geringer als angenommen oder es kommt zu – teils schweren – unerwünschten Nebenwirkungen. Das muss nicht so sein, wie eine kürzlich in „Nature Reviews Drug Discovery“ veröffentlichte internationale Publikation unter Beteiligung der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der MedUni Wien zeigt.

Medikamente halten nicht immer, was sie versprechen
Die WissenschafterInnen untersuchten den sogenannten „Efficacy-Effectiveness Gap”, also die Kluft zwischen Theorie und Praxis beim Einsatz von Medikamenten. Worum es in der Studie konkret geht, erklärt Brigitte Blöchl-Daum, stellvertretende Leiterin der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der MedUni Wien und Korrespondenz-Autorin der Studie: „Erstens wollten wir zeigen, weshalb Medikamente im medizinischen Alltag nicht immer das halten, was sie versprechen. Und zweitens, wie wir dieses Problem beheben können.“

Bündel von Ursachen für unterschiedliche Wirkung von Medikamenten verantwortlich
Für die unterschiedliche Wirkung von Medikamenten konnten die AutorInnen der Studie mehrere Ursachen feststellen. Sozusagen an der Basis stehen die einzigartige Biologie und das individuelle Erbgut jedes Menschen. Blöchl-Daum: „Vereinfacht gesagt ist jeder von uns anders und kann deshalb auch anders auf ein Medikament reagieren.“ Hinzu kommen weitere Faktoren, die unmittelbar mit der einzelnen Person verbunden sind. Dazu zählen insbesondere Begleiterkrankungen, Faktoren wie Body-Mass-Index oder Alter sowie die Einnahme anderer – auch pflanzlicher – Heilmittel. „Ein weiteres Problem ist an sich banal, aber wesentlich, nämlich die falsche Dosis. Medikamente können nicht wirken, wenn sie nicht genommen werden. Oder sie wirken anders, wenn sie überdosiert werden. Und schließlich werden immer wieder einfach die falschen Medikamente verschrieben“, so Blöchl-Daum.

Zwei Möglichkeiten, um den „Efficacy-Effectiveness Gap“ zu schließen
Wenn die Erwartungen (efficacy) nicht der Realität (effectiveness) entsprechen, gibt es zwei Möglichkeiten, um diese Kluft zu schließen: Entweder senkt man die Erwartungen auf das Realitätsniveau – das heißt die Arzneimittelbehörden verlangen vor der Zulassung sogenannte „Effectiveness Trials“, also Studien, die der klinischen Realität entsprechen. Oder man hebt die Realität auf das Niveau der Erwartungen. Das würde bedeuten, dass Medikamente nur exakt gemäß der Zulassung verschrieben und vom Patienten angewandt werden dürfen.

Empfehlung der Studie: The right drug, at the right dose, at the right time, to the right patient
Wenn die wissenschaftliche Gültigkeit der Studien belegt ist und trotzdem ein wesentlicher „Efficacy-Effectiveness Gap“ besteht, geht es laut der Studie um ein medizinisches Versorgungsproblem. Für Blöchl-Daum sind in diesem Zusammenhang zwei Fragen entscheidend: „Wer ist für ein Medikament geeignet? Und zu welchem Zeitpunkt und in welcher Dosis? Aus unserer Sicht gibt es dazu eine Reihe von Lösungen. Sogenannte Biomarker helfen, ein individuelles Nutzen-/Risiko-Profil zu erstellen. Außerdem sollten ein Medikament zunächst jene Menschen bekommen, die vermutlich am meisten profitieren. Wünschenswert wären darüber hinaus eine enge Zusammenarbeit zwischen Zulassern, Zahlern und Verschreibenden sowie eine gestaffelte Zulassung von Medikamenten.“

Demnach könnten die Zulassungsbehörden helfen, die Verschreibungsqualität zu verbessern. Mögliche Maßnahmen wären Risiko-Management-Pläne und ein schneller Zugang zu allen wesentlichen Informationen, z.B. durch ein sogenanntes Effectiveness-Label, also einen deutlichen Hinweis auf die Wirksamkeit des Medikaments. Um die richtige Einnahme der Medikamente zu garantieren, empfehlen die WissenschaftlerInnen darüber hinaus neue Ansätze. Zum Beispiel die Erinnerung an die Medikamenteneinnahme mittels SMS, den Einsatz von Medikamentenverpackungen, die PatientInnen mit Licht oder Ton an die Einnahme erinnern, oder essbare Sensoren, die bei Kontakt mit Magensäure ein Signal auslösen, das gespeichert und übertragen wird, um entsprechend reagieren zu können.

Einfache Möglichkeit zur Verbesserung der Volksgesundheit
Den Sinn solcher Innovationen erklärt Blöchl-Daum folgendermaßen: „Die Entwicklung eines neuen Medikamentes ist teuer und zeitintensiv. Deshalb sind sämtliche Maßnahmen, die die Effectiveness verbessern und auf Efficacy-Niveau bringen, eine äußerst sinnvolle Investition. Relativ einfach lässt sich so die Volksgesundheit verbessern.

“ Bridging the efficacy-effectiveness gap: a regulator's perspective on addressing variability of drug response. Eichler HG, Abadie E, Breckenridge A, Flamion B, Gustafsson LL, Leufkens H, Rowland M, Schneider CK, Bloechl-Daum B. Nat Rev Drug Discov. 2011 Jul 1;10(7):495-506.