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Erste Restitution nach Provenienzforschung

An der Medizinischen Universität Wien kommt es als Ergebnis der laufenden Provenienzforschung des Hauses zur ersten Rückstellung. In einer Feierstunde wurden heute rund 40 Bücher aus dem Besitz des ehemaligen Professors Carl Julius Rothberger seiner Tochter Bertha Gutmann zurückgegeben. An dem Festakt nahm auch die Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich, Hannah Lessing, teil.

(Wien, 30-09-2010) An der Medizinischen Universität Wien kommt es als Ergebnis der laufenden Provenienz-forschung des Hauses zur ersten Rückstellung. In einer Feierstunde wurden heute rund 40 Bücher aus dem Besitz des ehemaligen Professors Carl Julius Rothberger seiner Tochter Bertha Gutmann zurückgegeben. An dem Festakt nahm auch die Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich, Hannah Lessing, teil.

„Der MedUni Wien ist es ein besonderes Anliegen, Provenienzforschung aktiv und effektiv zu betreiben“, so Rektor Wolfgang Schütz. „Die Medizinische Fakultät hat während des Nazi-Regimes sehr viele jüdische Mitglieder des Hauses enteignet und ihnen ihre Venia Docendi aberkannt. Es ist uns daher sehr wichtig, auch noch nach 70 Jahren den Nachfahren das endlich zugeordnete Gut zurückzuerstatten.“

Seit 2007 wird an der Universitätsbibliothek der Medizinischen Universität Wien
im Auftrag des Rektorates der Medizinischen Universität Wien ein
Provenienzforschungsprojekt zum Thema „NS-Raub an der Medizinischen Universität Wien“ zur Eruierung von NS-Raubgut und dessen Restitution an die vormaligen Eigentümer/Erbberechtigten/Rechtsnachfolger durchgeführt. Als erstes konnten dabei 39 Bücher aus dem Besitz des an der Medizinischen Fakultät Wien tätigen Prof. Carl Julius Rothberger ermittelt werden. Aufgrund des nachweisbaren Umstandes, dass Rothberger und seine Familie der NS-Verfolgung ausgesetzt waren, wurde im Jahr 2009 in einem Restitutionsgutachten von Dr. Mentzel an das Rektortat/Rechtsabteilung der Medizinischen Universität Wien empfohlen, die im Gutachten angeführten und in weiterer Folge noch eruierbaren Bücher aus der Provenienz Carl Julius Rothberger zu restituieren.

Carl Julius Rothberger an der Medizinischen Fakultät Wien
Prof. Rothberger wurde am 13. März 1938 aufgrund der NS-„Rassengesetze“ verhaftet. Über Intervention des damaligen Dekans der Medizinischen Fakultät, Eduard Pernkopf, kam er wieder frei. Seine Ehe wurde als „privilegierte Mischehe“ definiert, da seine Frau als „Arierin“ klassifiziert wurde, was ihn aber nur notdürftig vor der Verfolgung durch die Nationalsozialisten schützte. Trotzdem blieben ihm viele Diskriminierungen nicht erspart.

Laut seiner vom 30. Juni 1938 vorgenommenen Vermögensanmeldung bei der Vermögensverkehrsstelle (VVSt.) war er im Besitz einer medizinischen Bibliothek, die sich nach seinen Angaben an seinem früheren Arbeitsplatz am „Universitätsinstitut“ befand. In einem nach dem November 1938 eingebrachten schriftlichen Nachtrag zur Vermögensanmeldung präzisierte Carl Julius Rothberger: „Der Vollständigkeit halber gebe ich noch bekannt, dass meine oben ad III c) angegebenen Bücher im Wert von RM 1.000.- sich noch im Universitätsinstitut befinden und mir tatsächlich nicht zur Verfügung stehen [...]“.

Da das „Gesetz über die Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30. April 1939 „privilegierte Mischehen“ von dessen Bestimmungen ausnahm, war es der Familie Rothberger möglich, in der eigenen Wohnung in Wien 1, Augustinerstraße, im Philipphof, zu bleiben. Am 13. März 1945 starb Prof. Rothberger zusammen mit seiner Frau bei einem der letzten Bombenangriffe auf Wien.

Biographie Carl Julius Rothberger
Carl Julius Rothberger wurde 1871 in Wien geboren. Er stammte aus einer Wiener jüdischen Familie, sein Bruder Heinrich Rothberger emigrierte 1938 vor der Verfolgung der Nationalsozialisten über Cuba nach Montreal. Carl Julius Rothberger war mit Leopoldine, geborene Wohlfahrt verheiratet. Rothberger begann 1891 mit dem Studium der Medizin in Wien. Nach seiner Promotion 1897 arbeitete er im Bakteriologischen Laboratorium des k.k. Militär-Sanitäts-Comités, danach im Bakteriologischen Laboratorium der Krankenanstalt Rudolfsstiftung unter dem damaligen Vorstand Richard Paltauf und ab 1898 an der I. Medizinischen Universitätsklinik bei Hermann Nothnagel. Am 1. Oktober 1899 trat er in das Institut für allgemeine und experimentelle Pathologie ein, das damals noch unter der Leitung von Philipp Knoll (1841-1900) stand. Hier arbeitete er zunächst als Demonstrator und ab 1901 als unbesoldeter Assistent. 1904 habilitierte er sich für allgemeine und experimentelle Pathologie. Ab 1908 stand für Rothberger die Elektrokardiographie im Mittelpunkt der Forschungen. Im April 1912 wurde Rothberger zum ao. Prof. für allgemeine und experimentelle Pathologie ernannt. Nach dem Tod Paltaufs 1924 ging die Leitung des Institutes auf Rothberger über, ohne dass er jemals zum Vorstand ernannt wurde.

1936 wurde Rothberger im Alter von 65 Jahren frühzeitig pensioniert und das Extraordinariat aus dem Dienstpostenplan der Universität Wien gestrichen. Als Grund für die Pensionierung führte das zuständige Bundesministerium für Unterricht Sparzwänge an. Auf seinen Wunsch hin erlaubte ihm das Ministerium, bis 1941 – den gesetzlich vorgesehener Pensionsantrittstermin – unentgeltlich als Honorar-Professor am Institut weiter zu arbeiten.

Bild: vlnr: Mag.a Hannah Lessing, Generalsekretärin des Nationalfonds der Republik Österreich, Bertha und Anne Gutmann (Tochter und Enkelin von Carl Julius Rothberger), Univ. Prof. Dr. Wolfgang Schütz, Rektor der MedUni Wien

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