(Wien, 15-10-2015) ExpertInnen des Zentrums für Public Health der MedUni Wien realisieren interaktive Shows zu psychotherapeutischen wie genetischen Fragestellungen als ein neues Format partizipativer künstlerisch-wissenschaftlicher Forschung. Gemeinsam mit dem Publikum setzen sie sich auf Bühnen, in Museen und auf wissenschaftlichen Konferenzen mit Andersartigkeit, mit Körperpolitik sowie dem Spekulativen in Kunst und Wissenschaft auseinander. Die federführende Gruppe „Arts in Medicine“ am Zentrum für Public Health wurde von der Ars Electronica ausgezeichnet und vom wissenschaftlichen Top-Journal „Lancet Psychiatry“ eingeladen, in einer Serie über das unkonventionelle Format zu berichten.
In disziplinenübergreifenden Kooperationen des Programms ‚Arts in Medicine’ am Zentrum für Public Health (Programmleiter: Klaus Spiess) mit der Universität der Künste Berlin (Fellow: Lucie Strecker, künstlerische Leitung), dem Medical Museion der Universität Kopenhagen (Postdoc Jens Hauser, Theorie der BioArt), der Sektion Arts and Psychiatry der World Psychiatric Association (Chair: Hans-Otto Thomashoff) und dem Fachbereich Zellbiologie/ Genetik der Universität Salzburg (Arbeitsgruppe Mark Rinnerthaler) führen die ExpertInnen wissenschaftlich-künstlerische Grundlagenforschung durch und entwickeln diese als partizipatorische Performances weiter, bei denen sie Erfahrungen, Wissen und sinnliches Erleben mit Fachpublikum teilen. Dabei führen die Performances Praktiken US-amerikanischer Reality-Shows, des Wiener Aktionismus und von absurdem britischen Humor weiter.
Die Wiener ExpertInnen präsentierten ihre vom bmukk, der MA 7 Kultur, der Einstein-Stiftung und vom 7. EU-Forschungsrahmenprogramm geförderten Arbeiten bereits im Tanzquartier Wien, beim Biofiction Festival im Naturhistorischen Museum Wien sowie international und erhielten dafür Preise des FWF und des ‚„Performing Science’-Wettbewerbs“ des Zentrums für Medien und Interaktivität der Justus-Liebig-Universität Gießen.
Für eine aktuelle Arbeit wurden sie nun mit dem Prix Ars Electronica, einem der weltweit bedeutendsten Preise im Bereich der elektronischen Kunst und Kultur, ausgezeichnet und von Lancet Psychiatry eingeladen, ihre Arbeit in einer Serie über Kunst-Performances zu veröffentlichen.
Therapie als Performancekunst: „Sherapy“
Der aktuelle Beitrag im Lancet – ‘Trust/Credibility is always at stake’ –beschreibt eine Anwendung der Forschungen am World Psychiatric Association (WPA) Congress in Form einer Intervention der US Künstlerin Ann Liv Young: Young stellte ‚Sherry’, eine von ihr erschaffene Kunstfigur, einem psychiatrischen Fachpublikum vor, mit dem sie ‘Sherapy’ (She-Therapy) praktizierte. Young – selbst ausgebildete Therapeutin – schauspielt Psychotherapie und therapiert gleichzeitig. Die damit verbundene Verwirrung hat sie zu einer Kunstform entwickelt. Diese spielt mit der Theaterhaftigkeit der Echtheit und der Echtheit des Theaterhaften und stellt das Vertrauen des Publikums an der Glaubwürdigkeit des laufenden Prozesses in Frage. Young zeigt damit das Erleben der Unsicherheit von PatientInnen gegenüber PsychotherapeutInnen auf, die nicht nur ihre professionelle Rolle einnehmen, sondern auch gleichzeitig private Personen sind. Das bewusste Spiel mit Doppeldeutigkeit stellt nicht nur eine therapeutische, sondern auch eine ästhetische Strategie dar, und Young verweist mit dieser Doppeldeutigkeit auf die vorgetäuschte Echtheit von Auftritten in Politik, Gender und Medien.
Service: The Lancet Psychiatry
Trust—credibility is always at stake: Ann Liv Young's Sherapy at the World Psychiatric Association Congress. Klaus Spiess, Lucie Strecker, Ann Liv Young
Daten als Ware: „Spit-Party“
Eine weitere Performance ist die so genannte „Spit-Party“. Dazu gibt es bereits eine Arbeit, die die Gruppe im Fachbereich führenden Journal ‚Performance Research’ publiziert hat. Dabei griffen die ExpertInnen dokumentarisch Werbeparties auf US-Fashion Shows auf, bei denen prominente Stars Speichel für eine genetische Risikoanalyse spendeten und dafür mit dem Slogan ‚Genetics is Fashion‘s Natural Extension’ warben. In einer Reinszenierung dieser Werbeparties durch die ExpertInnen des Zentrums für Public Health konnte das Publikum die mittels PCR (Polymerase Chain Reaction) live auf der Bühne aus seinem Speichel gewonnenen und projizierten Genbanden durch wechselseitige Küsse manipulieren, damit sein eigenes ‚Kunstwerk’ gestalten, aber gleichzeitig die individuelle DNA forensisch unverwertbar machen. Klaus Spiess: „Noch bevor die ‚Direct to Consumer Genetics’ von der US-amerikanischen FDA (US Food and Drug Administration) Ende 2014 suspendiert wurde, konnte sich das europäische Publikum so kritisch mit dem Spannungsfeld zwischen dem erstrebenswerten freien Fluss von Information und dem Schutz von Daten sowie deren riskantem Warencharakter befassen.“
Link: http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/13528165.2014.947136
Andersartiges Erinnern: „Die Stunde des Analysehundes“
Die nächste Lancet-Publikation widmet sich Erinnerungsarchiven und wurde im Rahmen der Sigmund Freud Ausstellung im Belvedere/21er Haus gemeinsam mit dem Choreographen Daniel Aschwanden erarbeitet. Mit DNA aus im Londoner Freud Museum ausfindig gemachten Haaren von Sigmund Freuds Chow, wurde versuchsweise ein sogenanntes „Zeitgeber Gen“’ in lebende Hefezellen kloniert. Das Gen des Hundes, dessen Bellen jahrelang Freuds Sitzungen beendet hatte figurierte nun, co-reguliert durch die mit Sensoren erfasste Körperwärme des Publikums, als Zeitgeber für eine psychotherapeutische Gruppensitzung im Museum.
» Performance im 21er-Haus
» Link zum Prix Ars Electronica mit der ausgezeichneten Arbeit der ZPH Gruppe
» Website des Zentrums für Public Health