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Handersatz: Bionik versus Fleisch und Blut

(Wien, 14-06-2010) Wann ist eine Myoprothese die Therapie der Wahl, wann eine Handtransplantation? Diese Frage stand am Freitag im Zentrum eines Symposiums an der MedUni Wien, an dem Plastische Chirurgen, Ethiker, Prothesenentwickler und PatientInnen auf Einladung von Ao. Univ. Prof. Dr. Oskar Aszmann und Univ. Prof. Dr. Manfred Frey (Abteilung für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie) ihre Erfahrungen diskutierten.

Der Verlust eines Armes oder einer Hand bedeutet einen tiefen Einschnitt in der persönlichen Lebensgeschichte. Die verlorene körperliche Integrität, der Verlust von allgemeinen und spezifischen Handfertigkeiten, vor allem aber der Verlust der persönlichen Unabhängigkeit sind für die Betroffenen nur schwer zu ertragen.

Myoelektrische Prothesen ermöglichen durch rasante Entwicklungen, an denen die MedUni Wien wesentlich beteiligt ist, dass die verlorene Funktion der Hand zunehmend besser kompensiert werden kann. Die neueste Generation wird nach nervenchirurgischen Eingriffen und selektiven Nerventransfers über Elektroden an der Hautoberfläche rein intuitiv angesteuert. Sogar Druck, Temperatur und Vibrationen sind für die PatientInnen spürbar. Gleichzeitig etablieren sich weltweit Handtransplantationsprogramme, die den PatientInnen bei optimalem Erfolg fast gleichwertigen Ersatz für die verloren gegangene Funktion ermöglichen.

„Die High-Tech-Myoprothesen sind grundsätzlich die erste Wahl“, resümiert Aszmann, „insbesonders nach einseitigem Handverlust, da die neue Funktion ohne Risiko getestet werden kann. Die Möglichkeit einer Transplantation bleibt ja damit weiterhin bestehen.“ Die Transplantation einer Hand fordert die lebenslange Einnahme von Immunsuppressiva (Medikamente, die das Immunsystem unterdrücken), damit das neue Gewebe nicht abgestoßen wird. Dadurch entsteht aber auch ein beachtliches Risiko für zum Teil schwere Erkrankungen, wie z.B. Hautkrebs.

Die größte Relevanz hat demnach die Transplantation bei „Ohnhändern“, also PatientInnen die beide Hände verloren haben. Während in Österreich drei der bislang vier Handtransplantationspatienten Ohnhänder waren, zeigt der internationale Überblick, dass mehrheitlich einseitig Handamputierte transplantiert wurden. Zwei Drittel der weltweit insgesamt 64 PatientInnen sind einseitig transplantiert. Gegen dieses Vorgehen sprach sich auch Professor Ulrich Körtner, Vorstand des Instituts für Ethik und Recht in der Medizin aus: „Eine Transplantation muss die ultima ratio – die letzte Option – sein. Es ist fraglich, ob ein Arzt eine Therapie empfehlen soll, die für einen körperlich eingeschränkten aber an sich gesunden Menschen ein gesundheitliches Risiko beinhaltet.“

Ausführlich diskutiert wurde auch die Amputation einer irreversibel funktionslosen aber sonst unversehrten Hand oder Arm (z.B. nach Nervenverletzungen, stumpfen Trauma mit Kompartmentsyndrom oder Starkstromverletzungen), um diese mit einer bionischen Prothese zu ersetzen. Chirurgen und Techniker arbeiten deshalb an Testmöglichkeiten mittels Hybridversorgung, wobei die Funktion der neuen High-Tech-Hand noch vor Abnahme des funktionslosen Armes oder Hand geprüft werden kann.

Kein Zweifel blieb am Grundsatz, dass die Betroffenen selbst umfassend aufgeklärt und beraten werden müssen, und dass schließlich die Initiative für die Transplantation und die damit verbundenen Risiken von ihnen selbst ausgehen muss. Die medizintechnischen Entwicklungen und die klare, vergleichsweise rasche Erfolgsaussicht machen die Myoprothetik zur Standardtherapie, von der in Österreich derzeit jährlich 20 bis 30 PatientInnen profitieren. Die Handtransplantation ist nach wie vor als individueller Heilversuch zu sehen und muss im ethischen Umfeld der jeweiligen Institutionen diskutiert werden.