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MedUni Wien Studie zeigt Verhinderung von Suiziden durch Medien

Dass manche Suizidberichte weitere Suizide auslösen können, sogenannte Imitationseffekte, ist bereits seit langem bekannt. Ein ForscherInnenteam der MedUni Wien konnte jetzt im Rahmen einer Studie erstmals zeigen, dass auch der gegenteilige Effekt eintreten kann.

(Wien, 14-09-2010) Dass manche Suizidberichte weitere Suizide auslösen können, sogenannte Imitationseffekte, ist bereits seit langem bekannt. Ein ForscherInnenteam der MedUni Wien konnte jetzt im Rahmen einer vor kurzem veröffentlichten Studie erstmals zeigen, dass auch der gegenteilige Effekt eintreten kann.

Der Nachahmungseffekt bei der Berichterstattung über Suizide wird in der Literatur als Werther-Effekt bezeichnet, zurückgehend auf einige Fälle von Imitationssuiziden nach dem Erscheinen von Goethes Werk „Die Leiden des jungen Werthers“ im Jahr 1774. Ein ForscherInnenteam am Zentrum für Public Health der Medizinischen Universität Wien hat jetzt im Rahmen einer Studie diesen Effekt empirisch abgesichert, indem jene Berichte, die mit signifikanten Veränderungen der Suizidraten einhergehen, charakterisiert wurden. Diese Analyse hat darüber hinaus zu einem weiteren höchst bemerkenswerten Ergebnis geführt: Nicht alle Berichte über Suizid scheinen ein Gefahrenpotential in sich zu tragen; vielmehr fanden die ForscherInnen auch eine Klasse von Berichten, die einen suizidprotektiven Effekt haben könnte.

In der Studie, die jetzt auch im British Journal of Psychiatry publiziert und durch die Österreichische Akademie der Wissenschaften mitfinanziert wurde, zeigte das ForscherInnenteam um Univ. Lektor Dr. Thomas Niederkrotenthaler, dass Berichte über Betroffene, die Krisensituationen konstruktiv und ohne suizidales Verhalten bewältigen konnten, mit einer Senkung der Suizidraten in der Woche nach Erscheinen des Artikels assoziiert waren.  Dieser Effekt war in jenen Regionen, in denen die Berichte von vielen Menschen gelesen wurden, am stärksten ausgeprägt.

“Ein derartiger präventiver Effekt wurde unter ExpertInnen bereits seit einiger Zeit diskutiert, jedoch gab es bisher keine empirischen Studien dazu. Wenn es so ist - und davon ist heute zweifelsfrei auszugehen - dass manche sensationsträchtigen Berichte über Suizide weitere Suizide auslösen können, die ohne Berichterstattung nicht passiert wären, so ist es auch plausibel anzunehmen, dass andere Berichte, die zeigen wie man eine Krise, in der auch Suizidalität eine Rolle spielt, konstruktiv bewältigen kann, beitragen können Suizide zu verhindern” erklärt Niederkrotenthaler.  “Und für diesen Effekt haben wir nun einen emprischen Hinweis gefunden.”

Basierend auf Papageno’s bewältigter suizidaler Krise in Mozart’s Zauberflöte (Papageno beschäftigt sich darin intensiv mit Suizidplänen und -vorbereitungen als er den Verlust seiner geliebten Papagena befürchtet; er wird jedoch in letzter Minute durch die Drei Knaben davon überzeugt dass er die Kraft hat Papagena für sich zu gewinnen) nannte das ForscherInnenteam den hier auftretenden Effekt “Papageno Effekt”.

Die Ergebnisse rund um die Effekte medialer Berichterstattung ist damit um eine wichtige Facette reicher: “Neben dem Werther Effekt könnte es auch einen suizidpräventiven Papageno-Effekt medialer Berichte geben. Es kommt darauf an, was man daraus macht - das scheint auch für die Gestaltung von medialen Berichten über Suizidalität zu gelten” so Niederkrotenthaler weiter. „Es ist zweifelsohne noch weitere wissenschaftliche Arbeit notwendig, um die Evidenzbasis des nun erstmals beschriebenen Papageno Effekts zu prüfen, doch die neue Richtung der Hypothesenbildung scheint klar vorgegeben: Medienberichte können nicht nur weitere Suizide auslösen, sondern auch Suizide verhindern. Diesen positive Effekt auf die Bevölkerung in der Suizidberichterstattung entsprechend herauszuarbeiten ist sicher eine journalistische Herausforderung, aber zweifellos von großer Bedeutung für die Suizidprävention”,  so Niederkrotenthaler abschließend.


Zur Person:
Univ. Lektor Dr. Thomas Niederkrotenthaler, geb. 1978, schloss sein Medizinstudium an der MedUni Wien 2005 ab. Von 2006 bis 2009 erhielt er ein DOC-team Stipendium der Österreichischen Akademie der Wissenschaften für interdisziplinäre Forschung und absolvierte das PhD-Programm Mental Health and Behavioral Medicine an der MedUni Wien, 2007 bis 2009 erfolgte zusätzlich der Abschluss Master in Public Health Sciences (sogenannter Master in Suicide Prevention) am Karolinska Institute, Schweden. Seit 2010 ist Niederkrotenthaler Universitätsassistent am Zentrum für Public Health (Abteilung für Allgemein- und Familienmedizin) der MedUni Wien.
Neben seinen bisher 5 "top" publizierten Originalarbeiten als Erstautor (Sachgebiet Public Health) zeichnet Niederkrotenthaler auch für zahlreiche Coautorenschaften und ist zudem Co-chairman der Media & Suicide Task Force der International Association of Suicide Prevention (IASP).
Außerdem ist er Gründungsmitglied der „Wiener Werkstätte für Suizidforschung“ (www.suizidforschung.at), einer interdisziplinären ForscherInnengruppe mit mehr als 20 junior und senior scientists, die sich mit biologischen, sozialen, psychologischen und kulturellen Fragestellungen hinsichtlich Suizid bzw. Suizidprävention beschäftigen. Zu seinen Aufgaben zählt außerdem die Mitarbeit bei der Entwicklung und Umsetzung des österreichischen Suizidpräventionsplans.


» Aktuelle Publikation im British Journal of Psychiatry:
The role of media reports in completed and prevented suicide-Werther versus Papageno effects.
Niederkrotenthaler T, Voracek M, Herberth A, Till B, Strauss M, Etzersdorfer E, Eisenwort B, Sonneck G. BJP 2010; 197:234-243.

» Aktueller Medienleitfaden zur Berichterstattung über Suizid (PDF)