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Opioide löschen eine Gedächtnisspur für Schmerz

(Wien 12-01-2012) Ein Forscherteam der MedUni Wien an der Abteilung für Neurophysiologie (Zentrum für Hirnforschung) hat eine bisher unbekannte Wirkung von Opioiden entdeckt: Die jetzt im Top-Magazin „Science“ veröffentlichte Studie unter der Leitung von Ruth Drdla-Schutting und Jürgen Sandkühler zeigt, dass Opioide nicht nur Schmerzen vorübergehend lindern, sondern bei entsprechender Dosierung eine Gedächtnisspur für Schmerz im Rückenmark löschen und damit eine wichtige Ursache für chronische Schmerzen beseitigen können.

(Wien 12-01-2012) Ein Forscherteam der MedUni Wien an der Abteilung für Neurophysiologie (Zentrum für Hirnforschung) hat eine bisher unbekannte Wirkung von Opioiden entdeckt: Die jetzt im Top-Magazin „Science“ veröffentlichte Studie unter der Leitung von Ruth Drdla-Schutting und Jürgen Sandkühler zeigt, dass Opioide nicht nur Schmerzen vorübergehend lindern, sondern bei entsprechender Dosierung eine Gedächtnisspur für Schmerz im Rückenmark löschen und damit eine wichtige Ursache für chronische Schmerzen beseitigen können.

Die WissenschafterInnen bildeten in-vivo einen operativen Eingriff experimentell nach, wobei Schmerzfasern kontrolliert erregt wurden. Sandkühler: „Obwohl die tiefe Narkotisierung jede Schmerzempfindung verhindert, konnten wir im Rückenmark eine synaptische Langzeitpotenzierung beobachten. Trotz Narkose gab es also eine Gedächtnisspur für Schmerzen und ein Schmerzverstärker hat sich eingeschaltet.“ Durch die hochdosierte, intravenöse Gabe eines Opioids über eine Stunde – normalerweise werden Opioide in mittlerer Dosierung über einen längeren Zeitraum verabreicht – konnte die Potenzierung vollständig aufgehoben werden. Sandkühler: „Die Gedächtnisspur für Schmerzen wurde also wieder gelöscht und der Schmerzverstärker ausgeschaltet.“

Die so genannte Gedächtnisspur wird durch verschiedene Mechanismen ausgelöst, dazu zählt insbesondere die Potenzierung der Erregungsübertragung an den Kontaktstellen (Synapsen) zwischen den Nervenzellen. Das nennt man synaptische Langzeitpotenzierung. Durch dieses Schmerzgedächtnis kommt es dazu, dass die Schmerzverstärkung viel länger andauern kann als die eigentliche Schmerzursache – bis hin zu chronischen Schmerzen.

Paradigmenwechsel in der Schmerztherapie?
Derzeit wird in dem vom Wiener Wissenschafts-, Forschungs-, und Technologiefonds (WWTF) geförderten Projekt untersucht, wie man diese neue Entdeckung klinisch nutzen kann. Dazu erhalten ProbandInnen oder SchmerzpatientInnen über einen Zeitraum von 60 Minuten eine hohe Dosis eines Opioids. „Sollte sich unser Ansatz unter klinischen Bedingungen bewähren, würde dies einen Paradigmenwechsel in der Schmerztherapie einläuten. Weg von der vorübergehenden, rein symptomatischen Schmerztherapie hin zu einer an den Schmerzmechanismen orientierten, nachhaltigen Beseitigung einer Schmerzursache durch Opioide.“

Die Wirkung der Opioide (Morphin oder morphinähnliche Substanzen) basiert auf ihrer Bindung an spezifische Bindungsstellen, die µ-Opiatrezeptoren (MOR), die sich auf den Nervenzellen befinden, die Schmerzinformation verarbeiten. Bislang war angenommen worden, dass Opioide die Schmerzen nur lindern können, solange sie an MOR gebunden sind und so Erregungen im schmerzverarbeitenden System unterdrücken. Drdla-Schutting: „Sobald das Medikament abgesetzt wird, verschwindet auch die schmerzlindernde Wirkung.“ In der klinischen Praxis werden Opioide daher in mittleren Dosierungen kontinuierlich verabreicht, um eine dauernde Bindung an MOR zu erreichen.

Dadurch können Schmerzen zwar hochwirksam gelindert, deren Ursachen aber nicht beseitigt werden. Durch die neue, hochdosierte Kurzzeittherapie mit Opiodien werden dagegen zelluläre Veränderungen, die beim Schmerzgedächtnis eine wichtige Rolle spielen, wieder rückgängig gemacht und so möglicherweise eine der Ursachen für chronische Schmerzen beseitigt.

Service: Science
Erasure of a Spinal Memory Trace of Pain by a Brief, High-Dose Opioid Administration.” Ruth Drdla-Schutting, Justus Benrath, Gabriele Wunderbaldinger, Jürgen Sandkühler. SCIENCE, Vol. 335 no. 6065 pp. 235-238 DOI: 10.1126/science.1211726