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Lithium-Medikamente: Keine Rückstände im Trinkwasser

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(Wien, 19-09-2016) Studien belegen, dass im Trinkwasser enthaltenes Lithium die Suizidrate senkt. Dieses Wissen hält auch dann, wenn Arzneirückstände von Lithiumverschreibungen berücksichtigt werden, wie eine aktuelle Untersuchung für Österreich im Rahmen eines Projekts des Wissenschaftsfonds FWF in Kooperation mit der MedUni Wien zeigt.

Kann das wirklich sein oder handelt es sich um einen Zufall, dachte der Mediziner Nestor Kapusta, als er von einer japanischen Studie erfuhr, die festgestellt hatte, dass sich der Gehalt von Lithium im Trinkwasser auf die Suizidrate auswirkt. Was bedeutet, dass in Regionen, wo sich mehr von dem Leichtmetall im Wasser nachweisen lässt, weniger Suizidfälle verzeichnet werden. – Das war 2009. Inzwischen ist die Forschung weiter und mehrere Studien weltweit bestätigen diesen Zusammenhang, der von großer Bedeutung für die Suizidprävention sein könnte.

Geografische Untersuchungen starten
Forscherinnen und Forscher der Suicide Research Group an der Universitätsklinik für Psychoanalyse und Psychotherapie der Medizinischen Universität Wien haben einen wesentlichen Beitrag zu diesen Erkenntnissen geleistet, und konnten den Einfluss von Lithium aus natürlichen Quellen auf die Suizidrate auch für Österreich belegen. In ihrer jüngsten Untersuchung hat sich ein Team um Nestor Kapusta in einem Projekt des Wissenschaftsfonds FWF nun auch die Auswirkungen der Verschreibungsrate von Lithium, das seit Langem in der Therapie von affektiven Erkrankungen eingesetzt wird, auf den Trinkwassergehalt näher angesehen.

Über 6.000 Trinkwasserproben
„Wir konnten bereits 2011 nachweisen, dass der Zusammenhang von Lithium im Trinkwasser und Suizid auch dann signifikant blieb, wenn sozioökonomische und andere Faktoren wie zum Beispiel Arbeitslosigkeit, das Pro-Kopf-Einkommen, die medizinische Betreuungsdichte oder Geschlechterverteilung der Regionen berücksichtigt werden“, so Kapusta. In dieser groß angelegten Studie der MedUni Wien hatte ein interdisziplinäres Team den Zusammenhang der Lithiumwerte von 6.460 Trinkwasserproben mit den Suizidraten in allen österreichischen Bezirken untersucht.

Offene Frage: Medikamentenrückstände
Es sei aber die Frage offengeblieben, so der Wissenschafter, ob die in Österreich verschriebenen Lithium-Medikamente, die vor allem zur Behandlung von wiederkehrenden Depressionen und bipolaren (manisch-depressiven) Erkrankungen seit Jahrzehnten erfolgreich eingesetzt werden, einen Einfluss haben könnten. Denn einerseits werden diese vergleichsweise hoch dosierten Medikamente von Risikopersonen eingenommen, was bekanntermaßen die suizidpräventive Wirkung erhöht, andererseits werden sie ausgeschieden und gelangen wie auch andere Medikamente ins Trinkwasser. „Die Dosierung in der Therapie ist um ein Tausendfaches höher als der natürliche Gehalt im Wasser“, erklärt Kapusta. So könnten Rückstände in diesem Fall aber eine positive Auswirkung auf die Bevölkerung haben.

Bisheriges Wissen bleibt aufrecht
Um die Auswirkungen der Lithiumverschreibungen auf das Vorkommen des Leichtmetalls im Trinkwasser zu eruieren, haben der Suizidforscher und sein Team auf Basis der bisherigen Ergebnisse nun auch die geografischen Verschreibungsdaten aller Lithium-Medikamente in Österreich herangezogen. – Mit dem Ergebnis, dass der Lithiumgehalt im Trinkwasser durch Verschreibungen so gut wie nicht beeinflusst wird. Auch die Suizidraten blieben im statistischen Mittel, ergänzt durch die Einberechnung der Verschreibungen, gleich. „Damit bleibt unser bisheriges Wissen aufrecht, dass Lithiumvorkommen im Trinkwasser eher aus natürlichen Quellen stammt und Auswirkungen auf die Suizidrate hat“, erklärt Kapusta.

Lithium kein Allheilmittel
Für die Medizin spricht es dafür, weiter an Lithium zu forschen und zu eruieren, welchen Einfluss auch Mikro-Dosen, wie sie im Trinkwasser vorkommen, auf den menschlichen Organismus haben. Gleichzeitig warnt Nestor Kapusta davor, Lithium als Wundermittel zu titulieren, wie es manche Berichte darstellen. Denn Suizid sei immer ein Phänomen, bei dem viele Faktoren zusammenkommen. Auch von der Überlegung das Spurenelement dem Trinkwasser beizumengen, hält Kapusta derzeit nichts. „Wir wissen nicht, wie sich solche geringen Dosen  bei Schwangeren und Kindern auswirken. Lithium hat auch einen Einfluss auf die Schilddrüsenfunktion. Da wäre weitere Grundlagenforschung nötig, um zu verstehen ob Beimengungen unbedenklich sind.“

Forschung sieht Potenzial
Dass Lithium jedenfalls das Interesse der Forschung geweckt hat, zeigen laut Kapusta viele laufende Untersuchungen. So wurde festgestellt, dass bereits geringe Mengen des Leichtmetalls bei neurodegenerativen Erkrankungen wie etwa Alzheimer die Erkrankung verlangsamen, indem es das Absterben der Gehirnzellen hemmt. Auch Nestor Kapusta und sein Team stellen derzeit gemeinsam mit der Kollegin Gerda Egger vom Klinischen Institut für Pathologie und Daniel König  von der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Untersuchungen an bestimmten Gehirnzellen, den Neuroblastomzellen, an. „Es gibt Studien an Einzellern, die zeigen, dass Lithium über die Regulation eines Enzyms, des GSK-3, deren Lebensdauer um 5 Prozent verlängert. Das sind erstaunliche Wirkungen eines einfachen natürlich in der Umwelt vorkommenden Ions“, so Kapusta.

Lithiumvorkommen und Suizidraten in Österreich
Lithium, abgeleitet von „lithos“ (Stein), zählt zur Gruppe der Alkalimetalle und ist vor allem bekannt durch seine Verwendung in Batterien. Lithium kommt in der Natur nur in geringen Mengen vor. In Form seiner Salze ist sein Gehalt in manchen Heil- und Mineralwässern erhöht. In Österreich hat der Alpenraum besonders niedrige Werte, wie etwa in Tirol. In Tiefebenen, wo sich das Wasser ansammelt und Lithium besser aus dem Gestein gelöst werden kann, steigt der Wert. Vergleichsweise hohe Werte sind etwa in Mistelbach, im Raum Wien, in Graz und Linz zu finden. In Wien sind zwölf Mikrogramm Lithium in einem Liter Wasser gemessen worden. Das ist etwas mehr als im Österreich-Schnitt. Die höchsten Suizidraten sind in der Steiermark und in Kärnten zu verzeichnen. Im Burgenland, in Wien und Vorarlberg sind sie am niedrigsten.