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Kinder mit Epilepsie profitieren von einer frühzeitigen Operation

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(Wien, 13-11-2017) Kinder, die an einer Epilepsie leiden und denen Medikamente nicht helfen, sollten frühzeitig in ein spezialisiertes Epilepsiezentrum überwiesen werden, empfehlen die AutorInnen einer großen europäischen Studie unter Beteiligung der MedUni Wien, die nun im Top-Journal New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde. Liegt der Anfallsursprung in einem umschriebenen Bereich der Großhirnrinde und ist klar abgrenzbar, kann eine Operation helfen. Abhängig von der jeweiligen Diagnose sind danach bis zu 80 Prozent der Kinder anfallsfrei.

Studienleiter Ingmar Blümcke, Direktor des Neuropathologischen Instituts des Universitätsklinikums Erlangen und Forscher an der FAU Erlangen-Nürnberg, stellt fest: „Je früher Patienten in einem Epilepsie-Zentrum angesehen werden, je besser.“ Unter Leitung des Erlanger Wissenschafters wurden die histopathologischen Charakteristika von 9.523 PatientInnen (2623 Kinder und 6900 Erwachsene) mit pharmakoresistenten Epilepsien ausgewertet. Dazu wurden die Daten epilepsiechirurgischer Eingriffe aus 36 europäischen Zentren in 12 verschiedenen Ländern, darunter auch das pädiatrische Epilepsiezentrum an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der MedUni Wien/AKH Wien, zugeführt. In diesen Epilepsiezentren wird mittels modernster Elektroenzephalografie und hochauflösender Kernspintomografie gezielt nach dem Ursprung der epileptischen Anfälle im Gehirn gesucht.

Die Auswertung der Daten hat gezeigt, dass in 86 Prozent der Fälle zehn typische Hirnschädigungen Ursache der Epilepsie waren, wobei diese jeweils unterschiedlich für Erwachsene und Kinder waren. In Zukunft kann das dazu beitragen, gezielt nach diesen Läsionen zu suchen und damit die Diagnostik zu vereinfachen.

Bei 76 Prozent aller PatientInnen begann die Epilepsie bereits im Kindesalter. Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass Epilepsiechirurgie im Kindesalter aufgrund neuer Techniken sicher und die Erfolgsquote bei diesen PatientInnen am höchsten ist. Dennoch betrug die Latenz zwischen erwiesener Pharmakoresistenz und epilepsiechirurgischem Eingriff bis zu 16 Jahre bzw. wird Epilepsiechirurgie nach wie vor als letzte Behandlungsmöglichkeit nach dem Scheitern jeglicher Arzneimitteltherapie angesehen.

„Moderne Operationstechniken machen die Epilepsiechirurgie in unseren spezialisierten Zentren aber zu einem sehr sicheren Verfahren“, sagt Ingmar Blümcke.

„Die hier veröffentlichten Daten sollen zu einem Umdenken bei potentiellen Zuweisern führen“, erklärt Martha Feucht, Studienleiterin seitens der MedUni Wien, „es empfiehlt sich, Kinder und Jugendliche sofort nach erwiesener Pharmakoresistenz, das heißt einem Versagen des zweiten Antikonvulsivums, an ein spezialisiertes pädiatrisches Epilepsie-Zentrum zuzuweisen. “

36 Epilepsiezenten aus 12 europäischen Ländern haben ihre Behandlungsdaten seit 2006 in die von der EU geförderte European Epilepsy Brain Bank eingegeben, darunter auch der Klinische Spezialbereich Epileptologie der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der MedUni Wien/AKH Wien. Das pädiatrische Epilepsiezentrum an der Kinderklinik hat seit 2010 eine Forschungs-Kooperation mit dem Neuropathologischen Institut Erlangen zur Aufarbeitung histopathologischer Befunde nach epilepsiechirurgischen Eingriffen und ist am europäischen Register (European Epilepsy Brain Bank - EEBB) beteiligt. Die Arbeit wurde teilweise vom Jubiläumsfonds der ÖNB (grant ÖNB-12036, Dr. Feucht) und FWF (grant J3499, Dr. Mühlebner) gefördert.

Rund 50 Millionen Menschen leiden an Epilepsie
Die Weltgesundheitsorganisation der Vereinten Nationen (WHO) schätzt die Zahl der Menschen mit Epilepsie weltweit auf über 50 Millionen. Etwa ein Drittel von ihnen spricht nicht auf Medikamente an. Kann bei diesen PatientInnen eine umgrenzte Gehirnläsion nachgewiesen werden – beispielsweise gutartige Tumoren, Fehlbildungen der Hirnrinde, Narben oder ein Nervenzellverlust im Hippocampus – und steht diese mit dem Anfallsursprung in direktem Zusammenhang, ist ein epilepsiechirurgischer Eingriff möglich. 

 

Service: The New England Journal of Medicine
Histopathological Findings in Brain Tissue Obtained during Epilepsy Surgery
I. Blumcke, R. Spreafico, G. Haaker, R. Coras, K. Kobow, C.G. Bien, M. Pfäfflin, C. Elger, G. Widman, J. Schramm, A. Becker, K.P. Braun, F. Leijten, J.C. Baayen, E. Aronica, F. Chassoux, H. Hamer, H. Stefan, K. Rössler, M. Thom, M.C. Walker, S.M. Sisodiya, J.S. Duncan, A.W. McEvoy, T. Pieper, H. Holthausen, M. Kudernatsch, H.J. Meencke, P. Kahane, A. Schulze‑Bonhage, J. Zentner, D.H. Heiland, H. Urbach, B.J. Steinhoff, T. Bast, L. Tassi, G. Lo Russo, C. Özkara, B. Oz, P. Krsek, S. Vogelgesang, U. Runge, H. Lerche, Y. Weber, M. Honavar, J. Pimentel, A. Arzimanoglou, A. Ulate‑Campos, S. Noachtar, E. Hartl, O. Schijns, R. Guerrini, C. Barba, T.S. Jacques, J.H. Cross, M. Feucht, A. Mühlebner, T. Grunwald, E. Trinka, P.A. Winkler, A. Gil‑Nagel, R. Toledano Delgado, T. Mayer, M. Lutz, B. Zountsas, K. Garganis, F. Rosenow, A. Hermsen, T.J. von Oertzen, T.L. Diepgen, and G. Avanzini, for the EEBB Consortium; n engl j med 377;17 nejm.org