(Wien, 04-01-2018) Die bionische Rekonstruktion, bei der die leblose durch eine mechatronische Hand ersetzt wird, gibt PatientInnen nach Unfällen wieder Hoffnung. Doch nicht jede/r passt in dieses Programm – es müssen gewisse psychologische Voraussetzungen erfüllt werden. Das Forschungsteam um den Chirurgen Oskar Aszmann von der Universitätsklinik für Chirurgie der MedUni Wien veröffentlichte nun erstmalig das Wiener Konzept einer strukturierten psychologischen Evaluierung, die es erlaubt, festzustellen, ob sich ein Patient bzw. eine Patientin aus psychologischer Sicht für eine bionische Handrekonstruktion eignet.
Im Rahmen von Unfällen kann es zu schwerwiegenden Verletzungen der Nerven kommen, die den Arm und die Hand versorgen. Wenn die Funktion dieser Nerven nicht innerhalb weniger Monate nach dem Unfall wiederhergestellt wird, „stirbt“ die Muskulatur der Hand ab, sie wird zum funktions- und gefühllosen Anhängsel. Die bionische Rekonstruktion, bei der die leblose durch eine mechatronische Hand ersetzt wird, gibt solchen PatientInnen wieder Hoffnung. Doch nicht jede/r passt in dieses Programm – es müssen gewisse psychologische Voraussetzungen erfüllt werden.
Von Nervenwurzelausrissverletzungen sind besonders häufig junge Motorradfahrer betroffen. Der Arm wird gewaltvoll vom Körper weggeschleudert und durch den beträchtlichen Zug kommt es zu einem Ausreißen einzelner Nervenwurzeln aus dem Rückenmark. Die Leitungsbahn Gehirn – Rückenmark – Nerv wird unterbrochen, der/die PatientIn kann die Hand weder bewegen noch fühlen.
In den meisten Fällen kann durch eine zeitnahe Nervenrekonstruktion eine Funktion in der Schulter und im Ellenbogen wiederhergestellt werden. Die Muskeln der Hand überleben diese Zeit ohne Nervenversorgung jedoch meistens nicht. Für solche PatientInnen wurde im Jahr 2015 an der Medizinischen Universität Wien von Oskar Aszmann das Konzept der Bionischen Rekonstruktion vorgestellt. Hier werden frische Muskeln in den Unterarm transplantiert, welche den verbliebenen Nerven als Signalverstärker dienen. Die funktionslose Hand wird dann durch eine mechatronische ersetzt. Mit einer solchen Handprothese können Betroffene oft nach jahrelanger Funktionslosigkeit wieder kräftig zugreifen und anpacken.
Die Bionische Rekonstruktion beinhaltet jedoch die Amputation der funktionslosen Hand, was einen gravierenden Eingriff in die körperliche Integrität darstellt. Vorab muss deshalb geklärt werden, ob sich ein/e PatientIn der Tragweite dieser Entscheidung bewusst ist und abschätzen kann, mit welchem Rehabilitationsaufwand die Wiederherstellung der Handfunktion, wenn auch mechatronisch, einhergeht. Aus diesem Grund haben Laura Hruby und Anna Pittermann, beide aus dem Team um Aszmann, ein psychosoziales Assessment entwickelt, das jeder Patient vor der bewusst geplanten Amputation durchlaufen muss.
Das Assessment besteht aus mehreren Fragebögen und einem zweistündigen Interview mit der erfahrenen klinischen Psychologin Anna Pittermann. Es wird abgefragt, inwieweit der Unfall, der zur Nervenverletzung geführt hat, verarbeitet wurde, welche Erwartungen der Patient bzw. die Patientin an eine Prothese hat und ob diese realistisch sind.
„Immer wieder“, so Hruby, „sehen wir Patienten, die Cyborg-ähnliche Fantasien mitbringen, was vor allem durch verzerrte Medienberichte bedingt ist. Sie müssen ausreichend darüber aufgeklärt werden, dass eine Handprothese kein Wunderding ist. Das psychosoziale Assessment hilft dabei, einerseits Patienten mit übersteigerten Erwartungen frühzeitig zu erkennen, ungeeignete Personen gegebenenfalls vom Programm auszuschließen und andererseits bei psychologischen Problemen Hilfe anzubieten bzw. gemeinsam Strategien zu entwickeln, diese Defizite zu überwinden.“
Neben dem psychosozialen Assessment beinhaltet die Publikation im international renommierten medizinischen Fachjournal PLOS One neue Ergebnisse, wie sich die bionische Rekonstruktion positiv auf das Körperbild und die Lebensqualität der betroffenen PatientInnen auswirkt.
Service: PLOS one
The Vienna psychosocial assessment procedure for bionic reconstruction in patients with global brachial plexus injuries.
Hruby LA, Pittermann A, Sturma A, Aszmann OC. PLOS One (PONE-D-17-22987R2). 03 January 2018.