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Wie Virusinfektionen zu Kachexie führen

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(Wien, 20-05-2019) Viele PatientInnen mit chronischen Krankheiten wie Krebs, AIDS oder Autoimmunerkrankungen leiden an einer rätselhaften Zusatzerkrankung, der Kachexie. Dabei handelt es sich um ein hochkomplexes und noch wenig verstandenes Syndrom, das zu einem unkontrollierbaren Gewichtsverlust führt. Schrumpfende Fettreserven und ein Abbau des Muskelgewebes führen zur körperlichen Schwächung. In einer aktuellen Studie beschreiben WissenschafterInnen des CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften die molekularen Mechanismen der Kachexie bei Virusinfektionen und identifizieren eine überraschende Rolle für Immunzellen.

Kachexie ist ein von vielen Faktoren beeinflusstes Krankheitsbild, das bei PatientInnen mit chronischen Infekten wie HIV, Tuberkulose und Malaria auftritt. Zusätzlich sind 50% bis 80% der KrebspatientInnen von Kachexie betroffen (Argiles JM et al. Nature Reviews Cancer 2014). Aufgrund verringerter Nahrungsaufnahme und eines veränderten Stoffwechsels verlieren PatientInnen ungewollt Körpergewicht und Kraft. Fettreserven und Skelettmuskelmasse werden zunehmend aufgebraucht, was durch Nahrungsmittelergänzung nicht rückgängig gemacht werden kann. Kachexie beeinträchtigt die Lebensqualität erheblich und verschlechtert das Ergebnis laufender Therapien.

Die Forschungsgruppe von Andreas Bergthaler am CeMM hat in Zusammenarbeit mit WissenschafterInnen der Universität Graz, der Medizinischen Universität Wien sowie Partnern aus Deutschland, Schweiz und USA einen Mechanismus erforscht, der erklärt, wie chronische Virusinfektionen zur Kachexie führen können. Die Ergebnisse der Studie wurden im Top-Journal Nature Immunology veröffentlicht.

Die ForscherInnen konnten anhand von Tiermodellen zentrale molekulare Akteure identifizieren, die bei chronischen Infektionen zur Kachexie führen. Der durch die Virusinfektion ausgelöste Gewichtsverlust konnte – ähnlich wie bei Kachexie im Zusammenhang mit Krebs – nur teilweise durch verminderte Nahrungsaufnahme erklärt werden und war durch Nahrungsergänzung nicht zu verhindern.

Die Untersuchungen zeigten darüber hinaus, dass die Virusinfektion zu einer gravierenden Reorganisation der Architektur des Fettgewebes führte. Dies war mit der Aktivierung der Lipolyse verbunden, einer molekularen Kaskade von Prozessen, die der Körper zur Auflösung seiner Fettdepots verwendet. „Überraschend war“, so Hatoon Baazim, Erstautorin der Studie und Doktorandin am CeMM, „dass keiner der Entzündungsmediatoren, von denen bekannt ist, dass sie Kachexie bei Krebs auslösen, in unserer Infektionsstudie eine Rolle spielen.“

Bei der Untersuchung anderer möglicher Mechanismen stellten die WissenschafterInnen fest, dass ein bestimmter Zelltyp des Immunsystems für die Auslösung der Kachexie verantwortlich ist: CD8-T-Zellen. Diese auch T-Killerzellen genannten Immunzellen erkennen normalerweise virusinfizierte Zellen oder Krebszellen und töten sie ab. Die vorliegende Studie konnte nun zum ersten Mal zeigen, dass CD8-T-Zellen für die Auslösung der Kachexie bei Infektionen eine zentrale Rolle zukommt. Dabei spielen zusätzliche Signale des antiviralen Zytokines Typ-I-Interferon, einem körpereigenen Botenstoff des Immunsystems, sowie die Erkennung des Virus durch die CD8 T Zellen eine wichtige Rolle.

Die vorliegende Studie gibt Aufschluss über die komplexen Entzündungsprozesse und Stoffwechselveränderungen bei der infektionsassoziierten Kachexie und stellt für die internationale Forschungsgemeinschaft ein wertvolles Modell bereit, um die molekularen Mechanismen der Kachexie weiter zu erforschen. Dies kann zu einem besseren Verständnis von Infektionen wie AIDS, Tuberkulose oder Malaria und anderen parasitären Erkrankungen, die Kachexie verursachen, beitragen. Andreas Bergthaler: „Darüber hinaus sind wir überzeugt, dass zukünftige Forschungsstudien, die die Kachexie im Zusammenhang von Infektionen und Krebs vergleichend untersuchen, ein Schlüssel dafür sein werden, um dringend notwendige Fortschritte im Verständnis dieser noch immer sehr mysteriösen Krankheit zu erzielen.“ Solche neuen Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung könnten die Entwicklung innovativer Therapiestrategien zur Linderung der Kachexie und der damit verbundenen lebensbedrohlichen chronischen Krankheiten anregen.

Service: Nature Immunology
„CD8+ T cells induce cachexia during chronic viral infection“ - 
Hatoon Baazim, Martina Schweiger, Michael Moschinger, Haifeng Xu, Thomas Scherer, Alexandra Popa, Suchira Gallage, Adnan Ali, Kseniya Khamina, Lindsay Kosack, Bojan Vilagos, Mark Smyth, Alexander Lercher, Joachim Friske, Doron Merkler, Alan Aderem, Thomas H. Helbich, Mathias Heikenwälder, Philipp A. Lang, Rudolf Zechner, Andreas Bergthaler; erschienen in Nature Immunology am 20.5.2019. DOI: 10.1038 / s41590-019-0397-y

Diese Studie wurde gefördert vom European Research Council (ERC), der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, dem Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF), der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und den US National Institutes of Health.