(Wien, 30-09-2019) Ein ForscherInnenteam der MedUni Wien rund um die EndokrinologInnen und Gender-MedizinerInnen Michael Leutner und Alexandra Kautzky-Willer sowie der Abteilung für komplexe statistische Systeme um Peter Klimek und Caspar Matzhold in Kooperation mit dem Complexity Science Hub Vienna konnte erstmalig anhand von mehreren Millionen Datensätzen zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen der Potenz und Dosierung von Statinen mit einer Diagnose von Osteoporose gibt. Zentrales Ergebnis: Je höher die Dosierung, desto größer die Wahrscheinlichkeit einer Osteoporose. Die Studie wurde im Topjournal „Annals of the Rheumatic Diseases“ publiziert.
Der Fokus in der Erforschung von Statinen lag bisher primär im Bereich der Prävention und Behandlung von kardiovaskulären Erkrankungen. Wissenschaftlich belegt ist, dass es unter Statin-Therapien durch die cholesterinsenkende Wirkung zu einer signifikanten Risikoreduktion von kardiovaskulären Ereignissen kommt. Die bahnbrechenden Ergebnisse von Statinen im Bereich der Prävention und Therapie von kardiovaskulären Erkrankungen haben dazu geführt, dass die Zielwerte von LDL-Cholesterin bei HochrisikopatientInnen von der Fachgesellschaft auf unter 55mg/dl gesenkt wurden. Jedoch war aber kaum erforscht worden, inwieweit sich diese niedrigen Konzentrationen von Cholesterin auf die Synthese von lebensnotwendigen Hormonen wie Sexualhormonen und mit damit zusammenhängenden Erkrankungen wie Osteoporose auswirken.
Statine sorgen generell für eine selektive Hemmung der 3-Hydroxy-3Methyl-Glutarat-CoA-Reduktase (HMG-CoA-Reduktase). Dadurch kommt es zu einer eingeschränkten Cholesterin-Synthese. Damit ist eine therapeutische Senkung des Cholesterinspiegels möglich. Kautzky-Willer: „Cholesterin ist der Grundbaustein für die Synthese von Sexualhormonen wie Östradiol und Testosteron, aber auch von Mineralo- und Glukokortikoiden wie Aldosteron und Cortisol. Aus früheren Studien geht hervor, dass niedrige Konzentrationen von Sexualhormonen – und hier vor allem der Abfall von Östrogen in der Menopause – maßgeblich für den Anstieg von Osteoporose bei Frauen verantwortlich sind. Dies resultiert hauptsächlich daraus, dass die niedrigen Konzentrationen von Östrogen zu einer gesteigerten Knochenresorption führen und damit die Knochenmineraldichte abnimmt. Auch für Testosteron konnte ein ähnlicher Zusammenhang mit der Knochendichte gefunden werden.“
Auf Basis dieses biochemischen Hintergrundes wurde der Zusammenhang von unterschiedlich potenten Statinen und deren Dosierungen mit der Diagnose von Osteoporose untersucht. „Aus den Gesundheitsdaten von mehr als 7,9 Millionen ÖsterreicherInnen aus den Jahren 2006 und 2007 haben wir jene herausgefiltert, die über mindestens ein Jahr hinweg regelmäßig Statine eingenommen haben“, erklärt Caspar Matzhold (MedUni Wien und Complexity Science Hub Vienna/CSH), der in dieser Studie für die Aufbereitung und statistische Analyse der Daten zuständig war. „Wir konnten daraus die tägliche Dosierung von Statinen ableiten und verschiedene Dosierungsgruppen bilden.“ In den Gruppen mit niedrigen Statin-Dosierungen gab es weniger Osteoporose-Fälle, als für diese Bevölkerungsgruppe zu erwarten war, so Studien-Erstautor Michael Leutner: „Dosierungen bis 10 mg der üblichen Wirkstoffe wie Lovastatin, Pravastatin, Simvastatin oder Rosuvastatin waren mit einem niedrigeren Risiko verbunden, die Diagnose von Osteoporose zu haben, verglichen mit jenen PatientInnen, die keine Statin-Therapie erhalten hatten.“
Höhere Dosierung, mehr Osteoporose-Fälle
Alexandra Kautzky-Willer, Studienleiterin und korrespondierende Autorin, fügt hinzu: „Interessanterweise wendet sich das Blatt jedoch ab einer Dosierung von 20 mg für Simvastatin, Atorvastatin und Rosuvastatin – ab diesen Dosen fanden wir in der Statin-Gruppe eine Überrepräsentation von Osteoporose-Fällen. Dieser Trend bleibt auch bestehen, nachdem das erhöhte Osteoporose-Risiko durch Übergewicht und andere Vorerkrankungen herausgerechnet worden war.“ Untermauert werden konnten die Ergebnisse in einer geschlechtsspezifischen Analyse, die eine ähnliche Dosisabhängigkeit von Statinen mit der Diagnose von Osteoporose bei beiden Geschlechtern ergab.
Neue Einsichten durch interdisziplinäre Kooperation
„Möglicherweise könnte es durch die noch effektivere Cholesterinsenkung unter höheren Dosierungen von Statinen zu einer potenteren Hemmung der Synthese von Sexualhormonen und dadurch zu einer vermehrten Knochenresorption kommen, was in weiterer Folge zu einer Abnahme der Knochenmineraldichte führen könnte“, erklären die AutorInnen. „Wir haben schon in früheren Studien gesehen, wie hilfreich solche großen Datensätze sind, um medizinische Hypothesen zu prüfen“, ergänzt Peter Klimek, Leiter des Datenanalyse-Teams an der MedUni Wien und dem CSH. „Die enge Kooperation zwischen den ExpertInnen mit medizinischem Fachwissen und uns, die wir das methodische Wissen für den Umgang mit Big Data haben, werden ganz neue Einsichten möglich.“
Daraus lässt sich folgendes Resümee schließen: Vor allem HochrisikopatientInnen für Osteoporose wie postmenopausale Frauen unter einer Statin-Therapie sollten regelmäßigen Kontrollen des Knochenstoffwechsels unterzogen werden. Durch die neuartigen Ergebnisse ist man dem Ziel einer personalisierten und individualisierten Medizin ein deutliches Stück nähergekommen. Die Studie wurde durch Service: den WWTF (MA16-045) unterstützt.
Service: „Annals of the Rheumatic Diseases“
Diagnosis of osteoporosis in statin-treated patients is dose-dependent. Michael Leutner, Caspar Matzhold, Luise Bellach, Carola Deischinger, Jürgen Harreiter, Stefan Thurner, Peter Klimek, Alexandra Kautzky-Willer. Link zur Studie: https://ard.bmj.com/content/early/2019/09/25/annrheumdis-2019-215714.