(Wien, 11-12-2020) – Seit Beginn der Pandemie bis Mitte/Ende Oktober 2020 haben rund 349.000 Personen (statistische Schwankungsbreite 282.000 bis 420.000 Personen) in Österreich eine Infektion mit SARS-CoV-2 durchgemacht und damit Antikörper gegen SARS-CoV-2 gebildet. Darunter sind rund 61% behördlich unerkannte Infektionen. Das ergab eine Hochrechnung der Stichprobendaten zu bisher durchgemachten Infektionen auf Basis der gebildeten Antikörper (Seroprävalenz) im Rahmen der bundesweiten COVID 19 Prävalenzstudie, die Statistik Austria und die Medizinische Universität Wien im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und Forschung und in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Roten Kreuz durchgeführt hat.
"Zwischen Mitte und Ende Oktober hatten 4,7% der österreichischen Wohnbevölkerung ab 16 Jahren Antikörper gegen SARS-CoV-2 und damit seit Beginn der Pandemie eine Infektion durchgemacht. Drei von fünf Infizierten blieben dabei behördlich unentdeckt", so Statistik-Austria-Generaldirektor Tobias Thomas.
"Die insgesamt niedrige Prävalenz von neutralisierenden Antikörpern unterstreicht, wie lange es bei der notwendigen Verlangsamung der Virusausbreitung und ohne Impfung dauern würde, bis es in der österreichischen Bevölkerung zum Zustand der sogenannten Herdenimmunität kommen würde", ergänzen die Projektleiter der Medizinischen Universität Wien, Robert Strassl und Lukas Weseslindtner.
Seroprävalenz von SARS-CoV-2-Infektionen lag Mitte/Ende Oktober bei 4,7%
Von 12. bis 14. November 2020 wurde bei 2.229 Personen Blut abgenommen. Bei 92 Proben wurden neutralisierende, also gegen eine Infektion schützende Antikörper gegen SARS-CoV-2 nachgewiesen. Auf Basis wissenschaftlicher Studien, kann davon ausgegangen werden, dass virusspezifische Antikörper nach einem Zeitraum von rund drei Wochen verlässlich nachgewiesen werden können. Dementsprechend spiegelt der Testzeitraum von 12. bis 14. November 2020 die Infektionssituation in Österreich bis Mitte/Ende Oktober wider.
Die Hochrechnung der Stichprobendaten hat ergeben, dass rund 4,7% (95%-KI: mindestens 3,8%, maximal 5,6%) der in Privathaushalten lebenden Bevölkerung ab 16 Jahren bis Mitte/Ende Oktober 2020 eine SARS-CoV-2-Infektion durchgemacht haben und daher Antikörper besitzen.
Ein Abgleich mit den Daten des Epidemiologischen Meldesystems (EMS) zeigt, dass rund 61% der Fälle behördlich unentdeckt sind. Auffallend ist, dass besonders in dieser Gruppe der Anteil an symptomarmen Personen hoch ist (26 von 57 Personen berichten zwischen Mitte Februar und de Oktober kein oder ein Symptom). Dementsprechend geht auch ein Großteil dieser Personen nicht davon aus infiziert gewesen zu sein, obwohl Antikörper nachgewiesen wurden (44 von 57 Personen schätzen diese Möglichkeit als zumindest gering ein).
Die Seroprävalenz ist in Westösterreich (Tirol, Vorarlberg, Salzburg, Oberösterreich, 5,7%, 95%-KI 4,1-7,4%) tendenziell höher als in Ostösterreich (Wien, Burgenland, Niederösterreich, 3,8%, 95%-KI 2,7-4,8%).
Prävalenz von SARS-CoV-2-Infektionen lag Mitte November bei 3,1%
Erste Zwischenergebnisse zum Anteil der infizierten Personen im Zeitraum 12. bis 14. November 2020 wurden bereits präsentiert. Diese Ergebnisse wurden mittlerweile mit den EMS-Daten validiert. Die hochgerechnete Gesamtzahl der SARS-CoV-2-Infektionen von 12. bis 14. November 2020 beträgt 233.000 (3,1% der in Privathaushalten lebenden Bevölkerung ab 16 Jahren). Unter Berücksichtigung der statistischen Schwankungsbreite liegt dieser Wert zwischen 195.000 und 261.000 (95% KI: 2,6%-3,5%) infizierten Personen Mitte November.
Informationen zur Methodik, Definitionen:
COVID-19-Prävalenz: Anteil der Bevölkerung ab 16 Jahren in Privathaushalten, bei dem zum Testzeitpunkt eine Infektion mit SARS-CoV-2 feststellbar ist.
PCR-Analysen: Um aktuelle SARS-CoV-2-Infektionen festzustellen wurden Proben, die durch Nasen-Rachen-Abstrich entnommenen wurden, mittels PCR (Polymerase-Ketten-Reaktion) analysiert (2.263 Personen). Außerdem wurden Blutproben (2.229 Personen) abgenommen und serologisch auf Antikörper untersucht, ob die getesteten Personen bereits zuvor eine Infektion durchgemacht hatten.
Seroprävalenz: Anteil der Bevölkerung, der bereits eine Infektion durchgemacht und Antikörper entwickelt hat.
Studiendesign: Bei einer Stichprobengröße von 7.823 in Privathaushalten wohnhaften Personen ab 16 Jahren beantworteten rund 2.711 Personen bis Ende Oktober einen Fragebogen. Davon vereinbarten 2.504 Personen einen Termin für eine umfangreiche Coronavirus-Testung (Nasen-Rachen-Abstrich, Antikörperschnelltest und Blutabnahme) bei einer der 53 Teststationen des Roten Kreuzes. Zwischen 12. und 14. November wurden die Testungen österreichweit durchgeführt.
Detektion von Antikörpern: Das Testverfahren für die Detektion von Antikörpern war sehr aufwendig: Zunächst wurden zwei hochsensitive, laborbasierte serologische Verfahren angewendet, um das Blut auf SARS-CoV-2-spezifische Antikörper zu untersuchen. Beide Verfahren, jeweils ein ELISA (Enzyme-linked Immunosorbent Assay) und ein CLIA (Chemiluminescent Immunoassay), zeichnen sich durch eine hohe Spezifität und Sensitivität aus. Die Verfahren benutzen zudem unterschiedliche Zielantigene und weisen verschieden "Arten" von Antiköperklassen nach. Dies erhöhte die Sensitivität der Testung nachweislich. Um höchste Spezifität der Testung zu gewährleisten, und um eine Einschätzung bezüglich in der Bevölkerung bereits vorhandener (durch Antikörper vermittelter) Immunität gegen SARS-CoV-2 zu treffen, wurde jede in der First-Line-Testung grenzwertige oder positive Probe mit einem Neutralisationstest nochmals bestätigt. Der Neutralisationstest ermöglicht es SARS-CoV-2 neutralisierende Antikörper bei einer nahezu 100%igen Spezifität (Ausschluss von falsch-positiven Ergebnissen in herkömmlichen Bindungstests) nachzuweisen. Zusätzlich wurde ein Antikörper-Schnelltest unmittelbar nach der Blutabnahme durchgeführt, um dessen Nutzen für Seroprävalenzstudien dieser Art zu evaluieren. Dabei wurde die laborbasierte Antikörpertestung und die mittels Neutralisationstest gesicherten Antikörper-positiven Proben als Referenz verwendet, um die Sensitivität des Antikörper-Schnelltests, zu evaluieren.
Hochrechnung: Die Hochrechnung der Stichprobendaten der COVID-19 Prävalenzstudie erfolgte nach den Merkmalen Alter, Geschlecht, Bundesland, Urbanisierungsgrad, Haushaltsgröße, Bildung, Staatsbürgerschaft, Vorerkrankungen (Eckdaten der Gesundheitsbefragung), Risikogebiet (laut relativem Anteil der positiv gemeldeten Personen auf Gemeindeebene) und der Anzahl an bekannten bereits vor dem Testzeitraum positiv auf SARS-CoV-2 getesteten Personen laut EMS. Die Schätzung der Konfidenzintervalle (KI) erfolgte mittels Bootstrapverfahren (Rescaled bootstrap for stratified multistage sampling).