(Wien, 14. Oktober 2021) Mehr als 40.000 allogene hämatopoetische Stammzelltransplantationen werden weltweit jährlich durchgeführt, zumeist bei Betroffenen von Leukämie oder mit anderen Erkrankungen des blutbildenden Systems. Sehr häufig kommt es dabei zur sogenannten Spender-gegen-Empfänger-Reaktion, einer entzündlichen Erkrankung, die unterschiedliche Organe betreffen kann und durch eine ungewünschte Abwehrreaktion der Spenderzellen und körpereigenen T-Zellen entsteht. WissenschafterInnen an CeMM, MedUni Wien und LBI-RUD unter der Leitung von Georg Stary zeigen nun, wie diese körpereigenen, gewebsständigen T-Zellen über das Blut in andere Organe, beispielsweise den Darm, kommen und dort zur Entzündung beitragen. Die Studie liefert wichtige Ansätze für eine bessere Therapie bei Stammzelltransplantation und neue Diagnosemöglichkeiten. Sie ist nun im Journal of Experimental Medicine erschienen.
Stammzelltransplantationen stellen vor allem bei Leukämie-Patientinnen und Patienten eine wichtige, lebensnotwendige Behandlungsmethode dar. Laut Transplant-Jahresbericht 2020 wurden allein in Österreich 630 dieser Transplantationen im Jahr 2019 durchgeführt. Dabei werden erst durch Chemotherapie und Bestrahlung sämtliche Blutzellen des betroffenen Patienten bzw. der Patientin abgetötet, um dann durch gesunde Knochenmarks- oder Blutstammzellen eines Spenders ersetzt zu werden. Bei rund der Hälfte der PatientInnen kommt es nach der Transplantation zu entzündlichen Hauterkrankungen mit schwerwiegenden Folgen. T-Zellen-vermittelte Abstoßungsreaktionen sind eine der Haupttodesursachen nach hämatopoetischer Stammzelltransplantation. In einer vorausgehenden Studie konnte ein ForscherInnenteam um den Dermatologen Georg Stary am CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW, der Medizinischen Universität Wien sowie dem Ludwig Boltzmann Institute for Rare and Undiagnosed Diseases bereits einen Mechanismus identifizieren, der Auslöser für diese Spender-gegen-Empfänger-Reaktion (Graft-versus-host disease, GVHD) ist. In Hautproben von PatientInnen im Verlauf der Transplantation konnte Stary damals gemeinsam mit Studienautorin Johanna Strobl (MedUni Wien) zeigen, dass T-Zellen der Empfänger im Gewebe der Haut überleben und für die entzündlichen Reaktionen verantwortlich sind.
Gewebeansässige T-Zellen der Haut wandern ins Blut
In ihrer aktuellen Studie zeigen Strobl und Co-Autorin Laura Marie Gail (CeMM/LBI-RUD) mithilfe des neu entwickelten Modells nun, dass diese gewebsständigen T-Zellen der Haut bei stammzelltransplantierten Menschen im Blut wiederzufinden sind. „Durch die Abwanderung der entzündlichen, gewebsständigen T-Zellen der Haut in den Blutkreislauf besteht das Risiko, die Hautentzündung auch in andere Organe weiterzutragen. Besonders im Darm, der häufig von GVHD betroffen ist, konnten wir erstaunlich viele Zellen finden, die ursprünglich aus der Haut kamen“, so die Studienautorinnen.
Deaktivierung der T-Zellen möglicher Ansatz zur Therapieverbesserung
Für ihre Studie untersuchten Strobl, Gail und Stary im Blut zirkulierende T-Zellen anhand von Proben stammzelltransplantierter Patientinnen und Patienten. Durch eine besondere Tracking-Methode konnten die WissenschafterInnen genau unterscheiden, welche T-Zellen vom Spender und welche von der Patientin bzw. dem Patienten selbst waren. Forschungsgruppenleiter Stary erklärt: „Nachdem durch die Chemotherapie bereits alle Blutzellen abgetötet waren, konnten wir darauf schließen, dass die entdeckten T-Zellen nur aus dem Gewebe kommen können. Anhand verschiedenster Marker ließen sich diese bis zur Haut zurückverfolgen.“
Die Studie gibt wichtige Hinweise darauf, wie Hauterkrankungen und in weiterer Folge auch Entzündungen in anderen Organen nach Stammzelltransplantationen vermieden werden können. Ein Ansatz könnte sein, die gewebeansässigen T-Zellen im Körper vor einer Transplantation zu deaktivieren.
Blutprobe statt Biopsie
Die Studie gibt zudem Hinweise auf einen weiteren wichtigen diagnostischen Aspekt: Die StudienautorInnen konnten beobachten, dass die zirkulierenden T-Zellen bei stammzelltransplantierten Menschen je nach Krankheitsbild vermehrt im Blut nachweisbar sind. Dementsprechend ist vorstellbar, bei Haut- oder Gewebserkrankungen statt der aufwendigen und oft unangenehmen Probenentnahme der betroffenen Stelle eine Blutanalyse durchzuführen und den Phänotyp der T-Zellen im Blut, die ursprünglich aus der Haut kamen, auszuwerten. „Dieser Vorgang wäre eine Art „Liquid Biopsy“ bei Entzündungsreaktionen im Gewebe“, so die StudienautorInnen.
Service: Journal of Experimental Medicine
Human resident memory T cells exit the skin and mediate systemic Th2-driven
inflammation.
Johanna Strobl*, Laura Marie Gail*, Lisa Kleissl, Ram Vinay Pandey, Valerie Smejkal, Julian Huber, Viktoria Puxkandl, Ruth Dingelmaier-Hovorka, Denise Atzmüller, Thomas Krausgruber, Christoph Bock, Philipp Wohlfarth, Werner Rabitsch, Georg Stary;
*geteilte ErstautorInnen; erschienen in der Zeitschrift Journal of Experimental Medicine am 13. Oktober 2021. DOI: 10.1084/jem.20210417