(Wien, 03-09-2024) Studien zeigen, dass Patient:innen unmittelbar und bis zu einem Jahr nach der Entlassung aus einer stationären psychiatrischen Behandlung ein erhöhtes Suizidrisiko aufweisen. Ein Forschungsteam der MedUni Wien hat nun die Daten von 18.425 Patient:innen analysiert, die über einen Zeitraum von 15 Jahren an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie von MedUni Wien und AKH Wien behandelt wurden. Die kürzlich im „Journal of Affective Disorders“ publizierten Ergebnisse zeigen auf, dass eine intensive Nachsorge an der Klinik zwar zu einem Rückgang der Suizidrate geführt hat, der Bedarf an gezielter Prävention aber weiterhin hoch ist.
Die Studie bestätigt, dass männliche Patienten nach der Entlassung aus der stationären psychiatrischen Versorgung ein signifikant höheres Suizidrisiko aufweisen. „Ein Grund dafür könnte in der bei Männern verminderten Bereitschaft Hilfe in Anspruch zu nehmen liegen“, sagt Erstautor Daniel König-Castillo (Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Klinische Abteilung für Sozialpsychiatrie). Bei der Analyse der Daten konnte keine Korrelation zwischen dem Alter der Patienten und dem Suizidrisiko festgestellt werden, was darauf hindeutet, dass dieses erhöhte Risiko für Männer altersunabhängig besteht.
Als besonders auffällig erwies sich in der Studie das deutlich und signifikant erhöhte Suizidrisiko bei Patient:innen mit affektiven Störungen wie z.B. Depressionen und Bipolar Affektiven Störungen (vormals bekannt als „manisch-depressiv“) oder neurotischen und somatoformen Störungen (Angst- und Zwangserkrankungen sowie z.B.: Schmerzstörungen). Doch auch bei Menschen mit Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis, Persönlichkeitsstörungen und körperbezogenen Störungen war das Risiko – wenn auch nicht signifikant im Vergleich zu dem Risiko der Gruppe von Patient:innen mit Substanzkonsumstörungen – erhöht. Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung spezifischer psychiatrischer Erkrankungen für die Einschätzung des Suizidrisikos nach der Entlassung aus einer stationären Behandlung und heben die Notwendigkeit hervor, bei diesen Patient:innen besonders sorgfältig auf Anzeichen suizidalen Verhaltens zu achten.
Dauer des Krankenhausaufenthalts nicht entscheidend
Im Gegensatz zu verschiedenen früheren Studien konnte das Forschungsteam der MedUni Wien in seiner umfassenden Untersuchung keinen Zusammenhang zwischen der Dauer des stationären Aufenthalts und dem Suizidrisiko nach der Entlassung feststellen. Dies deutet darauf hin, dass andere Faktoren, wie die Schwere der Erkrankung oder die fehlende soziale Unterstützung nach der Entlassung eine größere Rolle spielen könnten.
Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass die Suizidrate bei Patient:innen nach der Entlassung aus der stationären Behandlung an der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der MedUni Wien in der untersuchten Periode von Jahr zu Jahr zurückging. „Das lässt darauf schließen, dass die Versorgungsstrukturen in den letzten Jahren zunehmend effizienter darin geworden sind, Suizidgefährdung zu erkennen und Suizide durch umfangreiche Nachbetreuung zu verhindern“, so Daniel König-Castillo. Trotz dieses Rückgangs bleibt das Risiko für Suizid in dieser Gruppe signifikant höher als in der Allgemeinbevölkerung. Die Notwendigkeit, dieses Risiko durch gezielte Präventionsstrategien weiter zu minimieren, um das Überleben der Patient:innen zu sichern, bleibt daher nach wie vor hoch. Diese Bemühungen umfassen eine intensive Nachsorge, die unmittelbar nach der Entlassung beginnt, sowie die Entwicklung spezieller Screening-Tools, die dabei helfen können, gefährdete Patient:innen zu identifizieren.
Publikation: Journal of Affective Disorders
Suicide risk after discharge from in-patient psychiatric care: A 15-year retrospective cohort study of individual patient data.
Daniel König , Andreas Gleiss, Benjamin Vyssoki, Christine Harrer, Armin Trojer , Magdalena Groemer, Sabine Weber, Alexander Glahn, Lea Sommer, Stephan Listabarth, Andreas Wippel.
DOI: https://doi.org/10.1016/j.jad.2024.03.046