
(Wien, 17-06-2025) Alwin Köhler, Leiter der Max Perutz Labs und Professor für Molekularbiologie an der Medizinischen Universität Wien, erhält einen hochdotierten Advanced Grant des Europäischen Forschungsrats (ERC). Mit dieser prestigeträchtigen Förderung will Köhler erforschen, wie Zellen Kernporen in ihre Kernhülle einbauen, ohne diese zu beschädigen – ein Vorgang, der für das Leben aller höher entwickelten Organismen essenziell ist und bei dem Störungen krankheitsrelevant sein können. Im Zentrum seiner Forschung steht ein faszinierendes zelluläres Strukturelement: der sogenannte Kernporenkomplex.
Der Kernporenkomplex (engl. nuclear pore complex, NPC) ist eines der größten und komplexesten Bauteile der Zelle. Er durchspannt die Hülle des Zellkerns und regelt präzise, welche Moleküle – etwa Boten-RNAs, Proteine oder regulatorische Faktoren – ein- oder austreten dürfen. Doch diese Poren sind mehr als nur ein Filter: Sie formen aktiv die Kernhülle mit, indem sie Membranen verbiegen, verschmelzen und stabilisieren. Wie es Zellen gelingt, dabei die empfindliche Doppelmembran des Kerns intakt zu halten, ist bis heute weitgehend ungeklärt.
Kernporen entstehen nicht spontan – sie müssen sich gezielt in die Hülle des Zellkerns einfügen, ohne dabei Lecks zu verursachen. Dafür, so Alwin Köhlers Hypothese, braucht es ein präzises Zusammenspiel zwischen Eiweißbausteinen und bestimmten Lipiden in der Kernmembran. Lipide wirken nicht nur als strukturelle Komponenten, sondern beeinflussen auch maßgeblich die Biegsamkeit und Stabilität von Membranen. Veränderungen im Lipidstoffwechsel könnten daher entscheidend dafür sein, ob und wie Kernporen korrekt gebildet werden.
„Wir wissen inzwischen viel über den strukturellen Aufbau der Kernporen“, sagt Alwin Köhler. „Aber wie sie in lebenden Zellen tatsächlich entstehen – wie Eiweiße und Lipide zusammenarbeiten, um diese komplexe Struktur zu erzeugen – das ist noch ein großes Rätsel.“
Störungen in der Funktion oder Bildung von Kernporen stehen im Zusammenhang mit einer Reihe von Erkrankungen – etwa bei altersbedingten Zellveränderungen, Virusinfektionen oder bestimmten Krebsarten. Ein besseres Verständnis ihrer Entstehung könnte daher neue therapeutische Ansätze eröffnen.
Im neuen ERC-Projekt wird das Team um Alwin Köhler künstliche Membransysteme nutzen, um die Entstehung von Kernporen unter kontrollierten Bedingungen nachzustellen. Parallel dazu werden sie erforschen, welche Lipide und Enzyme an der Innenseite der Kernmembran aktiv sind – ein bislang kaum untersuchtes Feld der Zellbiologie. Durch die Kombination aus Strukturbiologie, hochauflösender Lipidanalyse und innovativen bildgebenden Verfahren will das Projekt grundlegende Prinzipien der Bildung komplexer Membranstrukturen im Zellinneren aufdecken.
Die Förderung in Höhe von 2,5 Millionen ist bereits Alwin Köhlers dritter ERC-Grant an der Medizinischen Universität Wien – nach einem Starting Grant und einem Consolidator Grant. Er ist Mitglied der European Molecular Biology Organization (EMBO), der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sowie Moore Distinguished Scholar am California Institute of Technology (Caltech). In den vergangenen Jahren hat seine Arbeitsgruppe zentrale Beiträge zur Zellkernforschung geleistet – von der Organisation des Erbguts bis hin zu neuen Erkenntnissen, wie Zellen extremem Stress standhalten.
Das neue Projekt knüpft an diese Arbeiten an, erweitert sie aber um eine grundlegende Frage der Zellorganisation: „Wie schafft es eine Zelle, eine Kernpore genau dort und genau dann zu bauen, wo sie gebraucht wird – und zwar mit den richtigen Bausteinen?“, so Alwin Köhler. „Diese einfache Frage führt uns zu fundamentalen Prinzipien des Lebens und eröffnet neue Möglichkeiten, Erkrankungen des Lipidstoffwechsels besser zu verstehen.“