
(Wien, 10-06-2025) Ein Forschungsteam unter der Leitung der Medizinischen Universität Wien hat eine bisher unbekannte Rolle des Enzyms HDAC1 bei einer chronischen Virusinfektion im Tiermodell entdeckt. Die gewonnenen Ergebnisse zeigen, wie HDAC1 die Entstehung bestimmter Immunzellen gezielt unterstützt, um trotz chronischer Infektion und „Erschöpfung“ wichtiger Akteure des Abwehrsystems weiterhin aktiv gegen Viren vorgehen zu können. Diese aktuell im „Journal of Experimental Medicine“ publizierten Erkenntnisse könnten die Entwicklung neuer, präziser Immuntherapien bei chronischen Infektionen wie HIV, Hepatitis B und Hepatitis C ermöglichen.
Die als „T-Zell-Erschöpfung“ bezeichnete langfristige eingeschränkte Funktionalität wichtiger Zellen des Immunsystems ist Gegenstand zahlreicher Forschungen in Zusammenhang mit chronischen Virusinfektionen wie HIV, Hepatitis B und Hepatitis C. Dabei verlieren zentrale Akteure der körpereigenen Abwehr, die sogenannten CD8+-T-Zellen, im Zuge lang andauernder Infektionen schrittweise ihre Fähigkeit zur effektiven Virusbekämpfung. Innerhalb der erschöpften T-Zellen bilden sich allerdings Untergruppen, die unterschiedlich stark geschwächt sind. Bemerkenswert dabei ist, dass eine dieser Gruppen, die sogenannten CX3CR1-positiven Zellen, sogar teilweise ihre Abwehrfunktion behält und trotz chronischer Infektion entscheidend für die – wenn auch eingeschränkte – Kontrolle des Virus ist.
Wie es dazu kommt, dass unterschiedliche Untergruppen von erschöpften CD8+-T-Zellen entstehen, konnte bisher nicht restlos geklärt werden. Die Forschungsteams um Shinya Sakaguchi und Wilfried Ellmeier vom Institut für Immunologie des Zentrums für Pathophysiologie, Infektiologie und Immunologie der MedUni Wien konnten nun mit Hilfe eines Tiermodells erstmals zeigen, dass das Enzym Histondeacetylase 1 (HDAC1) nötig ist, um diese funktionell wichtigen CX3CR1 Zellen zu bilden. Konkret beeinflusst HDAC1 die Struktur des Chromatins – also der Verpackung der Erbinformation – auf eine Weise, die die Aktivierung bestimmter Gene ermöglicht. Dadurch wird die Differenzierung erschöpfter T-Zellen in einen funktionell wichtigen Subtyp gefördert. Fehlt HDAC1, ist die DNA anders verpackt. So kommt es zu einer fehlerhaften Entwicklung dieser Zellen, was dann wiederum zu einer erhöhten Virusmenge im Organismus führt.
„Unsere Erkenntnisse legen nahe, dass gezielte Eingriffe in die Funktion von HDAC1 therapeutisch genutzt werden könnten – etwa durch Wirkstoffe, die dessen Aktivität beeinflussen“, skizziert Shinya Sakaguchi einen potenziell neuen Ansatz für die Entwicklung gezielter Immuntherapien. „T-Zell-Erschöpfung tritt aber auch bei der Immunabwehr gegen Krebszellen auf. Daher mahnen unsere Ergebnisse zugleich auch zur Vorsicht bei der Anwendung von sogenannten Pan-HDAC-Inhibitoren, die in der Therapie bestimmter Krebsarten eingesetzt werden und Tumore direkt angreifen. Diese könnten unbeabsichtigt jene T-Zell-Untergruppe schwächen, die zur Kontrolle des Tumorwachstums notwendig ist“, so Wilfried Ellmeier im Vorfeld weiterer Studien, die die neuen Erkenntnisse auch in menschlichen T-Zellen vertiefen und in ihrer ganzen möglichen Tragweite erfassen sollen.
Publikation: Journal of Experimental Medicine
HDAC1 controls the generation and maintenance of effector-1 like CD8+ T cells during chronic viral infection.
Ramona Rica, Monika Waldherr, Emi Miyakoda, Ana Patricia Kutschat, Marlene Schülein, Jing Zhang, Ricardo Alfredo Orbegozo-Medina, Lisa Sandner, Valentina Stolz, Darina Waltenberger, Thomas Krausgruber, Christoph Bock, Nicole Boucheron, Davide Seruggia, Wilfried Ellmeier* and Shinya Sakaguchi*.
DOI: 10.1084/jem.20240829
https://rupress.org/jem/article/222/8/e20240829/278030/HDAC1-controls-the-generation-and-maintenance-of
Diese Studie wurde vom Wissenschaftsfonds FWF gefördert.