Skip to main content English

Reste von Gewebeproben von NS-Opfern in der Sammlung des ehemaligen Neurologischen Instituts in Wien gefunden

MedUni Wien setzt sich für Aufarbeitung des dunklen Kapitels der Medizingeschichte ein
Alle News
Bild: PID Wien
2002 erfolgte am Wiener Zentralfriedhof die feierliche Beisetzung von Gehirnpräparaten mehrerer hundert Opfer vom Spiegelgrund.

(Wien, 30-05-2025) Im Rahmen eines an der MedUni Wien durchgeführten Forschungsprojekts zur Geschichte der Hirnforschung im Nationalsozialismus wurden im Archiv der Abteilung für Neuropathologie und Neurochemie der Universitätsklinik für Neurologie der MedUni Wien (ehemals Neurologisches Institut) mikroskopische Schnitte und in Paraffin eingebettete Gewebeproben identifiziert, die von Opfern der sogenannten NS-„Euthanasie“ stammen. Möglich wurde dieser Fund durch die vollständige digitale Erschließung der historischen Sammlung.

Konkret handelt es sich um Präparate von insgesamt neun Kindern. Sechs von ihnen verstarben in der Wiener „Kindereuthanasie“-Anstalt Am Spiegelgrund. Die Gewebeproben von drei weiteren, in der Brandenburger Anstalt Görden ermordeten Kindern stammen aus einer wissenschaftlichen Zusammenarbeit der 1950er Jahre zwischen dem damaligen Neurologischen Institut in Wien und dem Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Gießen, wo sich zahlreiche Präparate von Opfern der NS-„Euthanasie“ befanden. Bereits im Jahr 2002 wurden am Wiener Zentralfriedhof menschliche Überreste von NS-Opfern, die zu wissenschaftlichen Zwecken aufbewahrt worden waren, bestattet. Eine weitere Beisetzung erfolgte 2003 in Görden. Nun ist auch für die zuletzt entdeckten Gewebeproben eine würdige Bestattung vorgesehen.

„Der aktuelle Fund erinnert uns schmerzhaft daran, dass medizinische Wissenschaft nie losgelöst von ethischen Grundsätzen betrieben und betrachtet werden darf“, betont Markus Müller, Rektor der Medizinischen Universität Wien. „Die MedUni Wien stellt sich ihrer Vergangenheit und setzt sich aktiv für die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels der Medizingeschichte ein. Als Institution, die auf wissenschaftliche Integrität setzt, engagieren wir uns für einen respektvollen Umgang mit den Opfern.“

Auch Romana Höftberger, Leiterin der Abteilung für Neuropathologie und Neurochemie der Universitätsklinik für Neurologie der MedUni Wien, unterstreicht die Notwendigkeit, aus der Vergangenheit Konsequenzen zu ziehen: „Durch die Aufarbeitung der Rolle der Neuropathologie in der Forschung an NS-belastetem Gewebe und die Aufklärung der individuellen Motive sowie persönlichen Umstände der beteiligten Wissenschafter:innen ergeben sich unverändert aktuell sowohl die Chance als auch der Imperativ, aus der Geschichte zu lernen und entschieden gegen unethisches Verhalten in der Medizin aufzutreten.“ Für Herwig Czech vom Institut für Ethik, Sammlungen und Geschichte der Medizin der MedUni Wien ist die Entdeckung auch in einem größeren wissenschafts-historischen Kontext zu sehen: „Die Forschung an menschlichen Überresten aus NS-Unrechtskontexten auch noch Jahrzehnte nach dem Krieg ist ein bedrückendes Kapitel, das viele wissenschaftliche Institutionen bis heute beschäftigt – das zeigen unsere Forschungen über die Geschichte der Max-Planck-Gesellschaft, aber auch dieser aktuelle Fund.“