
(Wien, Graz, 16-10-2025) Ein Forschungsteam der Medizinischen Universität Wien und der Medizinischen Universität Graz hat eine bislang unbekannte genetische Ursache für erbliche Optikusatrophie entdeckt, eine degenerative Erkrankung des Sehnervs, die mit einem schleichenden Verlust des Sehvermögens verbunden ist. Die aktuell im Fachmagazin „Genetics in Medicine“ publizierten Ergebnisse eröffnen neue Möglichkeiten für die genetische Diagnostik dieser Erkrankung und liefern wichtige Ansätze für die künftige Erforschung der zugrunde liegenden Krankheitsmechanismen.
Ausgangspunkt der Forschungsarbeit war die genetische Untersuchung einer großen österreichischen Familie, in der sieben Personen über drei Generationen hinweg an einer Optikusatrophie litten. Mittels genomweiter Sequenzierung konnte dabei eine bisher nicht beschriebene Variante im PPIB Gen (Peptidylprolyl-Isomerase B) entdeckt werden. Dieses Gen enthält die Bauanleitung für ein Enzym, das dabei hilft, dass Proteine im Körper ihre richtige Struktur annehmen und fehlerhaft strukturierte Proteine abgebaut werden.
In kultivierten Zellen von Betroffenen zeigte das Forschungsteam, dass diese Genvariante die Funktion der Mitochondrien – der „Energiekraftwerke“ der Zellen – beeinträchtigt. Eine gestörte mitochondriale Funktion ist bei den meisten bekannten Formen der erblichen Optikusatrophie nachweisbar. Durch die Analyse archivierter Genomdaten konnten in acht weiteren Familien insgesamt zwölf zusätzliche Betroffene identifiziert werden, die dieselbe genetische Veränderung tragen. „Damit ist es uns gelungen, das PPIB Gen als neues Optikusatrophie-Gen zu beschreiben“, fasst Studienleiter Wolfgang M. Schmidt vom Zentrum für Anatomie und Zellbiologie der MedUni Wien das Ergebnis der Forschungsarbeit zusammen. „Die Identifizierung dieser genetischen Variante schafft die bisher in vielen Fällen fehlende Möglichkeit einer genetischen Diagnose“, ergänzt Co-Studienleiter Thomas P. Georgi von der Universitäts-Augenklinik der Med Uni Graz. Das ist wichtig, um betroffene Familien gezielt beraten und die medizinische Betreuung der Betroffenen individuell anpassen zu können.
60 Prozent der Betroffenen ohne genetische Diagnose
Die Optikusatrophie ist eine degenerative Erkrankung des Sehnervs, die zu einer allmählichen Schädigung der sogenannten retinalen Ganglienzellen führt – jener Nervenzellen, die visuelle Signale von der Netzhaut an das Gehirn weiterleiten. Erste Symptome sind meist eine verringerte Sehschärfe, Störungen der Farbwahrnehmung oder zentrale Gesichtsfeldausfälle. Die Erkrankung kann vererbt werden; derzeit sind rund 20 Formen der Optikusatrophie bekannt. Bei den meisten Varianten liegt eine Störung der mitochondrialen Funktion vor. Trotz der Fortschritte in der genetischen Diagnostik bleibt die genaue genetische Ursache bei rund 60 Prozent der Betroffenen bislang ungeklärt.
Mit der vorliegenden Arbeit – einer Zusammenarbeit zwischen dem Zentrum für Anatomie und Zellbiologie der MedUni Wien, der Universitätsklinik für Augenheilkunde und Optometrie der MedUni Wien, des Zentrums für Krebsforschung der MedUni Wien sowie der Universitäts-Augenklinik der Med Uni Graz – kann diese Lücke nun in Hinblick auf das PPIB Gen gefüllt werden. Zukünftige Studien sollen klären, wie genau die PPIB Variante den Zellstoffwechsel beeinflusst und ob weitere genetische Veränderungen in diesem Gen mit Optikusatrophie in Zusammenhang stehen.
Publikation: Genetics in Medicine
A recurrent missense variant in the PPIB gene encoding peptidylprolyl isomerase B underlies adult-onset autosomal dominant optic atrophy.
Katharina Valentin, Monika Kustermann, Mona R. Schneider, Haleh Aminfar, Kathrin Vollnhofer, Andreas Wedrich, Christoph Stapf, Martin Bertich, Markus Ritter, Theresa Mendrina, Daniel Valcanover, Walter Berger, Margret Eckhard, Andy Sombke, Stephanie V. Lilja, Amina Paquay, Bernhard Rosensteiner, Iris Schmidt, Reginald E. Bittner, Thomas P. Georgi, Berthold Pemp, Wolfgang M. Schmidt.
https://doi.org/10.1016/j.gim.2025.101595
The article is published in "Genetics in Medicine, an official journal of the American College of Medical Genetics and Genomics (ACMG)".