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Studie: Entscheidungstheorie als Instrument für die Präzisionsmedizin

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(Wien, 27-04-2022) Diagnostik und Therapie erfordern im klinischen Alltag oftmals komplexe Entscheidungen, in denen viele Aspekte und Informationen simultan betrachtet werden müssen. Am Beispiel der personalisierten Therapie von Brustkrebs zeigt eine Studie der MedUni Wien den Nutzen der Entscheidungstheorie als wertvolle Erweiterung der konventionellen Statistik in der Präzisionsmedizin auf. Die Forschungsarbeit wurde kürzlich im Journal of Personalized Medicine publiziert.

Um die mögliche Bedeutung der Entscheidungstheorie für Diagnose und Therapie von Brustkrebs zu untersuchen, nahmen die ForscherInnen um Studienleiter Wolfgang Schreiner (Institut für Biosimulation und Bioinformatik der MedUni Wien) den Hormonrezeptor-Status ins Blickfeld. Dieser für die Wahl der im Einzelfall einzuleitenden Brustkrebs-Therapie relevante Marker wird bisher mittels Immunhistochemie bestimmt. Im Rahmen der Forschungen fügten die Wissenschafter nun Genexpression als weitere Methode hinzu und formulierten beide Instrumente gemäß der Entscheidungstheorie als Evidenzen. Dadurch werden nicht nur Wahrscheinlichkeiten, sondern auch deren Unsicherheiten explizit quantifiziert – laut den ForscherInnen ein entscheidender Schritt zur Verbesserung von Diagnositk und Therapie der Präzisionsmedizin.

Evidenz statt Wahrscheinlichkeiten
Die klassische Statistik orientiert sich an Eigenschaften, die „tatsächlich“ vorliegen. Am Beispiel des Hormonrezeptor-Status bei Brustkrebs ist das etwa rezeptorpositiv oder -negativ, Faktoren, die mit Wahrscheinlichkeiten bewertet werden, die sich zu eins addieren (ppos+pneg=1). Die Entscheidungstheorie, wie sie etwa bei selbstfahrenden Autos bereits angewandt wird, fokussiert hingegen nicht die „Wirklichkeit“, sondern das Resultat einer Messung: positiv, negativ oder ungewiss. Diese Ergebnisse werden relativiert mit drei Gewichten (Massen), die sich ebenfalls zu eins addieren: mp+mn+mu=1. Je größer die Ungewissheit (mu), desto weniger zählen die beiden anderen Gewichte der eigentlich aussagekräftigen Diagnosen mp und mn. „Bei einer öffentlichen Wahl entspricht die Ungewissheit den Nicht-Wählern“, erläutert Wolfgang Schreiner. „Selbst wenn eine der beiden Optionen klar überlegen ist, zum Beispiel positiv:negativ =3:1, sollten gute PolitikerInnen dieses Ergebnis nur dann ernst nehmen, wenn auch die Wahlbeteiligung genügend hoch war – und damit die Ungewissheit genügend klein.“ Ebenso sei ein Ergebnis ‚Rezeptor positiv‘ nur dann verlässlich, wenn mu ausreichend klein ist: Deshalb sollte, so resümieren die ForscherInnen, diese Ungewissheit stets mitbestimmt werden, sodass eine Evidenz vorliege anstelle von Wahrscheinlichkeiten.


Entscheidungsverhalten als Algorithmus abbilden
Ein weiterer Vorteil der Entscheidungstheorie als Erweiterung der konventionellen Statistik liegt darin, dass sich Evidenzen nach exakt definierbaren Regeln zusammenführen lassen. Diese können mathematisch so ausgestaltet werden, dass sie Widersprüche eher aus der Welt schaffen (=risikobereit) oder aber betonen (=vorsichtig). Dadurch lässt sich das Entscheidungsverhalten im klinischen Alltag – angepasst an die jeweilige Situation – in Entscheidungsalgorithmen abbilden. Entscheidungstheorie erlaubt es auch, die Diagnosen bei mehr als zwei Möglichkeiten besonders realitätsnah abzubilden. Dadurch könnte – um beim Beispiel Brustkrebs zu bleiben – die Relevanz eines histologischen Befundes wesentlich klarer als bisher abgeschätzt werden, sollte er gewisse Unschärfen enthalten. „Insgesamt eröffnet die Entscheidungstheorie auf Basis von Evidenzen also weitreichende Verbesserungen der Diagnostik und Therapieselektion in der Präzisionsmedizin“, betont Wolfgang Schreiner.

Service: Journal of Personalized Medicine
Decision Theory versus Conventional Statistics for Personalized Therapy of Breast Cancer
Kenn, M. Karch, R. Cacsire Castillo-Tong, D., Singer, C.F., Kölbl, H., Schreiner W.