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HIV als komplexes Betreuungsszenario

Galt eine HIV-Infektion bis in die 90er Jahre noch als Todesurteil, werden heute über 90 Prozent der PatientInnen erfolgreich therapiert. Schwierig ist die Therapie aber bei „late presenters“, jenen Menschen die lange nichts von ihrer Krankheit wissen. Wir haben Aids-Spezialist Prof. Armin Rieger zu dieser und weiteren Fragen rund um das Thema HIV/Aids in Österreich interviewt.

(Wien, 19-07-2010) 1995 kamen 300 HIV-Patienten zur regelmäßigen Betreuung ins AKH, heute fünfzehn Jahre später tun dies bereits 1200 Patienten. Galt eine HIV-Infektion bis in die 90er Jahre noch als Todesurteil, werden heute über 90 Prozent der Patienten erfolg-reich therapiert. Schwierig ist die Therapie aber bei „late presenters“, jenen Menschen die lange nichts von ihrer Krankheit wissen und deren Abwehrsystem bereits schwer geschädigt ist. Laut Schätzungen etwa jeder vierte Betroffene.

Wir haben Aids-Spezialist Prof. Armin Rieger zu dieser und weiteren Fragen rund um das Thema HIV/Aids in Österreich interviewt.

Wie können die sogenannten „late presenters“ zu einem Aids Test zu einem früheren Zeitpunkt motivieren werden?
Wir brauchen eine ständige Präsenz des Themas in den Medien. Der Life Ball ist wichtig und erregt einmal im Jahr Aufmerksamkeit, aber wir brauchen an den restlichen 364 Tagen ebenfalls den Fokus darauf. Aids zieht sich heute durch alle Einkommen- Bildungs- und Berufsschichten. Gerade Menschen mit heterosexueller Orientierung als auch in der Generation 50 plus fehlt es an Sensibilisierung, diese Menschen fühlen sich sicher, weil sie sich nicht zu den „typischen“ Risikogruppen zählen. Ein „barrierefreier“ sprich niedrig-schwelliger Zugang zu HIV-Tests wäre hier ein weiterer wichtiger Schritt. Umso früher die Krankheit erkannt wird, umso leichter ist sie zu behandeln und umso geringer ist die Wahrscheinlichkeit einer unwissentlichen Weitergabe der Infektion.

Warum würden Sie PatientInnen mit HIV-Verdacht bzw. Infektion den Gang ins AKH empfehlen?
Weil wir über zwanzig Jahre Erfahrung verfügen und eine hoch spezialisierte Aids-Ambulanz mit dem gesamten diagnostischen Repertoire eingerichtet haben. Ein Ärzteteam steht unseren Patienten von Montag bis Freitag zur Verfügung, für berufstätige Patienten am Dienstag bereits ab 07.00 Uhr früh. Wir sind zwar eine Terminambulanz, Termine sind aber nicht zwingend notwendig. Ein umfassendes Sprachangebot ist bei uns fixer Bestandteil, ebenso wie der Zugang zu klinischen Psychologen, Ernährungsberatung und einer Sozialarbeiterin. In unserem fixen Ärzteteam sind neben Fachärzten für Dermatologie und Venerologie sowie Kollegen in Ausbildung auch zwei erfahrene Allgemeinmediziner im Einsatz. Darüber hinaus werden unsere Patienten von einem jahrelang erfahrenen Pflegepersonal betreut. All diese Faktoren sorgen für höchste Betreuungsqualität bei gleichzeitiger Gewährleistung einer Langzeit-Therapietreue.

Wie sieht heute die Lebensqualität eines durchschnittlichen Aids-Patienten aus?
Moderne HIV Therapeutika haben bereits ein sehr gutes Verträglichkeitsprofil, es gibt Patienten-freundliche Koformulierungen und viele Betroffene können heute ein nahezu nebenwirkungsfreies Leben führen. Unter den Patienten finden sich zum Beispiel Ärzte, Piloten und Manager, Menschen quer durch alle Berufsgruppen – und viele unserer Patienten üben ihren Beruf auch weiterhin aus.

Klingt nach einer medizinischen Erfolgsstory. Wo liegen die Probleme?
Die größte Crux ist nach wie vor, dass die Krankheit in weiten Teilen der Gesellschaft totgeschwiegen wird und der Umgang mit Betroffenen oft weniger von Sachlichkeit als vielmehr von Irrglauben und Ängsten bestimmt wird. HIV-Patienten werden immer noch stigmatisiert, mit allen negativen Auswirkungen auf den Erfolg ihrer medizinischen Behandlung. Unser laufender Erkenntnisgewinn konzentriert sich derzeit auf den idealen Zeitpunkt des Beginns antiretroviraler Therapien bzw. auf die erwünschten und unerwünschten Langzeitwirkungen der individuellen Substanzen.

Sie befassen sich seit über 15 Jahren mit Aids, warum?
Diese Infektion betrifft im Wesentlichen jedes Organsystem und kann in ihrem Verlauf ein höchst unterschiedliches Spektrum an Pathologien aus verschiedensten Fachdisziplinen aufweisen. Diese klinische Vielfalt, das Arbeiten mit, damals zumeist, jüngeren Patienten aus allen sozialen Schichten und die Möglichkeit in den letzten Jahren quasi hautnah eine der spannendsten und erfolgreichsten medizinischen Entwicklung mit verfolgen zu dürfen, waren die Hauptgründe mich auf diese Erkrankung zu konzentrieren.

Mit welchen damit verbundenen Herausforderungen?
Dem veränderten Bedarf an Betreuungsszenarien gerecht zu werden. Einerseits sehen wir nach wie vor Patienten mit schwersten opportunistischen Pathologien, fast ausschließlich als Folge einer zu späten Diagnose der Grunderkrankung. Andererseits haben wir ein wachsendes Kollektiv von überwiegend ambulanten Patienten zu betreuen, die eine zunehmende Kooperation mit anderen Fachdisziplinen erfordern. Patienten sind aufgrund ihrer Lebenserwartung nicht mehr von Organtransplantationen ausgeschlossen und eine HIV Infektion ist heute kein Grund mehr auf Familienplanung und Kinderwunsch zu verzichten. Aufgrund der Komplexität einer HIV Infektion und ihrer Behandlung, aber auch den damit verbundenen Ängsten werden viele Patienten über unsere Aids-Ambulanz betreut. HIV Zentren spielen also oftmals auch die Rolle eines Primary Care Providers.

Welche Rolle spielt die Kommunikation im Umgang mit Ihren Patienten?
Wir müssen uns in die Lebenswelt unserer Patienten versetzen und zentrale fachliche Begriffe und Prozesse auf ein verständliches Maß übersetzen und diese Menschen in Entscheidungsprozesse einbinden. Die von uns verordneten Medikamente müssen in die Tagesstruktur unserer Patienten passen, um ein fester Bestandteil ihres Lebens zu werden. Dafür müssen unsere Patienten verstehen, warum sie welches Medikament wann und wie einzunehmen haben und welche Folgen das Absetzen eines Medikaments haben kann. Dieser Herausforderung müssen wir uns täglich stellen.

Vielen Dank für das Gespräch!