(Wien 13-01-2012) Menschen verhalten sich auch ohne vorgegebene Regeln grundsätzlich sozial und eher mitfühlend und „gut“ als aggressiv. Das ist das Resultat einer Studie des Instituts für Wissenschaft Komplexer Systeme an der MedUni Wien unter der Leitung von Stefan Thurner und Michael Szell. Sie analysierten das Verhalten von mehr als 400.000 TeilnehmerInnen des „Virtual Life“-Spiels „Pardus“ im Internet. Das Ergebnis: Nur zwei Prozent aller Handlungen sind aggressiv, obwohl das Spiel zum Beispiel kriegerische Attacken mit Raumschiffen ganz einfach ermöglichen würde.
In der Studie wurden Millionen von menschlichen Interaktionen ausgewertet: Handlungen wie Kommunikation, Freundschaften schließen und beenden, Handel von Gütern, schlafen, bewegen, aber auch Feindschaften, Angriffe und Bestrafung. Das Spiel gibt keinerlei Regeln vor, jeder kann mit seinem Avatar – also mit seiner seiner „Spielfigur“ in der virtuellen Welt – leben, wie es ihm beliebt. „Und dennoch wird keine Anarchie gelebt“, sagt Thurner. „Die Teilnehmer organisieren sich selbst als soziale Gruppe mit gutem Willen. Fast alle Aktionen sind positiv.“
„Genau so tickt der Mensch“
Die Interaktionen wurden von den ForscherInnen in ein „Alphabet“ gegossen, „ähnlich wie man vor 15 Jahren den genetischen Code der DNA aufgeschlüsselt hat“, so Thurner. „Daraus ergab sich ein Muster, das wiedergibt, wie der Mensch tickt.,“ Allerdings besteht durchaus ein hohes Aggressionspotenzial: Wenn einem eine negative Aktion zuteil wird, schnellt die Wahrscheinlichkeit, dass der Spieler oder die Spielerin in der Folge ebenfalls aggressiv handelt, auf mehr als das zehnfache, nämlich auf etwa 30 Prozent.
Gruppendynamische Prozesse in der Gesellschaft prognostizieren
Thurner und sein Team konnten anhand der Muster auch darlegen, dass das Spiel durchaus ein Abbild der Realität ist. „Zum Beispiel konnten wir Maßzahlen für Kommunikationsnetzwerke eins zu eins übernehmen. Eine weitere Maßzahl ist, dass fast niemand mehr als 150 Freunde hat – die sogenannte Dunbar number. Egal ob in der realen oder virtuellen Welt.“ Die Studie wurde jetzt im Fachmagazin „Public Library of Science One (PLoS One)“ publiziert.
Fernziel ist es, mit diesen Maßzahlen und den in virtuellen Welten erforschten Verhaltensmustern „Phasenübergänge in Gesellschaften“ frühzeitig zu erkennen, um gruppendynamische gesellschaftliche Prozesse vorhersagen zu können und im Fall der Fälle frühzeitig darauf reagieren zu können. „Es könnte zum Beispiel sein, dass durch bestimmte Umstände der verzehnfachte Aggressionslevel flächendeckend also systemisch für längere Zeit bestehen bleibt, was einer drastischen Radikalisierung in Gesellschaften gleichkommt. Darauf könnte man dann frühzeitig reagieren.“ Ein aktuelles Beispiel für einen derartigen Phasenübergang in der Gesellschaft sei der relativ überraschende „arabische Frühling“ mit seinen vielen Protesten, Aufständen und Revolutionen gewesen, die bekanntlich gegen die in vielen Ländern herrschenden totalitären Regime gerichtet waren.
Service: Public Library of Science One
“Emergence of good conduct, scaling and Zipf laws in human behavioral sequences in an online world.” Stefan Thurner, Michael Szell, Roberta Sinatra. PLoS ONE 7(1): e29796. doi:10.1371/journal.pone.0029796.