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Sucht-Verlangen ist auch noch nach dem Tod nachweisbar

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(Wien, 21-12-2016) Bei chronisch kranken Personen mit einer Suchterkrankung (wie z. B. Heroin) verändert sich im Belohnungszentrum des Gehirns ein Protein mit dem Namen FOS-B: Es wird genetisch verändert, abgespalten und verkürzt. Diese Veränderung unter dem Reiz der Droge bedingt, dass das Protein stabiler wird und daher länger in dieser Gehirnregion bleibt als in seiner Ursprungsform – sogar viele Wochen nach Absetzen der Droge.  Dadurch bleibt ein Verlangen nach diesen Reizen bestehen. Dieses Sucht-Verlangen ist in einer Art „Gedächtnis“-Funktion gespeichert und erstaunlicherweise sogar bis nach dem Tod nachweisbar. Das haben nun WissenschafterInnen der MedUni Wien vom Department für Gerichtsmedizin nachgewiesen. 

FOS-B ist ein Transkriptionsfaktor im Gehirn, der gemeinsam mit anderen Molekülen im Rahmen der sogenannten Signaltransduktion (Reizübertragung auf die Zellen) beteiligt ist, genetische Informationen zwischen den Zellen zu transportieren und auch daran, ob bestimmte Gene aktiv werden oder nicht. FOS-B selbst ist ein Teil des Aktivierungsproteins AP1. Durch die ständige Versorgung durch Drogen wie Heroin wird FOS-B zu Delta-FOS-B, das bei chronischem Konsum immer mehr angeregt wird und auch Wachstumsfaktoren beeinflusst und strukturelle Veränderungen (Neuroplastizität) im Gehirn – etwa in der Region für die Gedächtnisbildung – bewirkt.

Unter der Leitung von Monika Seltenhammer vom Department für Gerichtsmedizin der MedUni Wien (Leitung: Daniele U. Risser) konnte nun in einer Studie im „Journal of Addiction Research & Therapy“ gezeigt werden, dass die Auswirkungen dieser chronischen Reize auch noch post mortem als „Sucht-Gedächtnis“ nachweisbar ist. Dazu wurden die Gewebeproben aus dem Nucleus accumbens (Anm.: ein Areal im Gehirn) von 15 verstorbenen Heroinsüchtigen untersucht. Seltenhammer: „Selbst neun Tage nach dem Tod war Delta-FOS-B mittels hochsensitiver Nachweismethoden noch feststellbar.“ Die ForscherInnen gehen aber davon aus, dass dieser Zustand im Lebenden noch viel länger, möglicherweise über Monate, anhält.

Diese Ergebnisse wiederum haben, so die MedUni Wien-GerichtsmedizinerInnen, Auswirkungen auf die künftige Behandlung und das Management von  Opiatabhängigen und Heroinsüchtigen bzw. insbesondere beim Entzug: „Wenn das Suchtverlangen über Monate im Gehirn erhalten bleibt, ist eine sehr lange Nachsorge und eine dementsprechende psychologische Unterstützung sehr wichtig“, sagt Seltenhammer. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass Forensik und Gerichtsmedizin auch einen direkten Nutzen für die Lebenden haben können“, betont Risser.

In einem Folgeprojekt, in Kooperation mit dem Institut für Pharmakologie und dem Center for Addiction Research and Science (AddRess) der MedUni Wien und insbesondere u. a. mit dem Drogen- und Dopamin-Experten Harald Sitte, soll nun geklärt werden, ob und wie man die Aktivierung von Delta-FOS-B verhindern und somit diesen Ansatzpunkt für die Entstehung süchtigen Verhaltens möglicherweise therapieren kann.

Service: Journal of Addiction Research & Therapy
„Accumulation of Highly Stable ΔFosB-Isoforms and Its Targets inside the
Reward System of Chronic Drug Abusers - A Source of Dependence-Memory
and High Relapse Rate?“ M. Seltenhammer, U. Resch, M. Stichenwirth, J. Seigner, C. Reisinger W. Vycudilik, C. Schöfer, R. De Martin2, J. Sölkner and D. U. Risser. DOI: 10.4172/2155-6105.1000297. Seltenhammer et al., J Addict Res Ther 2016, 7:5.