(Wien, 23-10-2018) Der ERC-Synergy-Grant gilt in der Forschungs-Community als „Königsklasse“ der ERC-Grants. Die maximale Förderung für ein Projekt beträgt zehn Millionen Euro – dieser Grant wurde vom European Research Council (ERC) nun erstmals an die Medizinische Universität Wien vergeben bzw. an ein Kooperationsprojekt, an dem sie beteiligt ist. Und zwar für das Projekt „Natural BionicS“, das sich mit Bionischer Rekonstruktion und der Entwicklung innovativer Bionik-Technologien befasst. Einer der drei Projektleiter ist Oskar Aszmann, Leiter des Christian Doppler Labors für Wiederherstellung von Extremitätenfunktionen an der Abteilung für Plastische und Rekonstruktive Chirurgie der MedUni Wien.
Ziel des „Natural BionicS“-Projekts ist es, PatientInnen nach Extremitätenverlust mit diesem neuen Konzept zu behandeln und ihnen so wieder eine möglichst natürliche Körperlichkeit und Funktionalität im Umgang mit moderner Prothetik zu ermöglichen.
„Ein zentrales Element ist hierbei die Schaffung eines so genannten Manunkulus“, sagt Aszmann in Anspielung auf das bekannte „Homunkulus“ Konzept (zentrale sensomotorische Bewegungskontrolle). Ziel ist die Etablierung einer biologischen Schnittstelle, welche als Interface verlorener Körperteile mit entsprechenden mechatronischen Ersatzteilen dienen kann. In einem komplexen neuromuskulären Eingriff wird eine Matrix geschaffen, welche Biosignale für modernste Technik greifbar macht und so für die Steuerung bionischer Prothesen herangezogen werden kann. Aszmann: „Zusammen mit neuen Errungenschaften in der Signalübertragung und mechatronischen Entwicklung wird so eine neue Dimension im bionischen Extremitätenersatz eröffnet und eine fast uneingeschränkte Intuitivität der Bewegungskontrolle und Wahrnehmung ermöglicht.“
Die Förderungssumme von 10 Millionen Euro wird zu je einem Drittel auf die drei Projektteilnehmer aufgeteilt, das sind die Medizinische Universität Wien, das Italienische Institut für Technologie in Genua (Projektleiter Antonio Bicchi/Istituto Italiano di Tecnologia) und das Imperial College London (Dario Farina).
Bicchi hat einen internationalen Ruf in der Entwicklung von Industrie-Robotern und gilt in der Bionik als Erfinder der so genannten „Soft Hand“, die weitaus interaktiver als herkömmliche Prothesen reagiert. Farina hat in den letzten Jahren bahnbrechende Forschungsarbeiten auf dem Gebiet des „Neural Interfacing“ geleistet und wird im Rahmen dieses Forschungsprojekts das komplexe Thema der Signalextraktion und Interpretation bearbeiten. Oskar Aszmann wiederum ist der Experte für das Gesamtkonzept der Bionischen Rekonstruktion und wird hier vornehmlich Konzepte der Biosignalbeschaffung und die klinische Umsetzung vorantreiben.
Erstmals wurde dieses Konzept in seinen Grundzügen an der MedUni Wien 2009 umgesetzt und hat in Folge vielen Patienten zu neuer Lebensqualität und Lebensfreude verholfen. Viele namhafte Universitäten (Johns Hopkins, MIT, Harvard, HSS New York, Ann Arbor, U-Michigan) sind in den letzten Jahren mit ähnlichen Konzepten und Forschungsprogrammen nachgezogen. Durch diese besondere Forschungsförderung und Bündelung internationaler Expertise wird die MedUni Wien jedoch sicherlich auch weiterhin eine internationale Vorreiterrolle einnehmen.
Über den ERC Synergy Grant
Der ERC Synergy Grant Call fördert Forschungsgruppen von mindestens 2 und maximal 4 Principal Investigators (PI) und ihren Teams, die durch eine einzigartige Kombination von komplementärer Expertise, Wissen und Ressourcen ambitionierte wissenschaftliche Problemstellungen in einer Weise bearbeiten, die den individuellen PIs nicht möglich wäre. Synergy Grants zielen auf substanzielle Fortschritte „an den Grenzen des Wissens“ ab. Sie sind offen für neue Methoden und Technologien, unkonventionelle Ansätze und Forschung im Grenzbereich zwischen Disziplinen. Die maximale Förderung für ERC Synergy Grants beträgt 10 Mio. Euro für 6 Jahre.
Bildlegende zur Abbildung:
Der Impuls zur Bewegung der Prothese kommt vom Gehirn bzw. dem zentralen Nervensystem (1). Die im Stumpf verbliebenen Nerven enthalten ein neuronales Abbild der gesamten amputierten Extremität – den "Manunculus" (2). Das voll implantierte Biosphere-System (3) im Stumpf übersetzt die Signale in elektronische Impulse. Über einen osseointegrierten Anschluss (4) werden die elektronischen Impulse zur Steuerung der Prothese weitergeleitet. Eine weiche prothetische Hand nach dem "Soft Robotics" Prinzip (5) ermöglicht eine natürliche, intuitive Interaktion mit der Umwelt. Sensoren in der robotischen Hand leiten elektrische Signale in ein Dermis-Transplantat auf dem BioSphere System zurück und werden so als Feedback direkt ins zentrale Nervensystem geleitet (6). Die/Der PatientIn empfindet die Prothese dadurch als natürlichen Teil des Körpers.