(Wien, 08-11-2019) Nobelpreisträger Eric Kandel, dessen bahnbrechende Studien das Verständnis für die Bildung von Kurz- und Langzeitgedächtnis revolutionierten, wurde gestern anlässlich seines 90. Geburtstages von Universität Wien und MedUni Wien in einem gemeinsamen Festakt im Großen Festsaal der Universität Wien geehrt. Bundespräsident Alexander Van der Bellen zeichnete Kandel mit dem Großen Goldenen Ehrenzeichen mit dem Stern aus.
„Oh my God", war Kandels Reaktion auf die "hohe, seltene und hochverdiente Auszeichnung", so Van der Bellen. "Man kann keinen schöneren Geburtstag haben, als ich ihn diesmal habe", freute sich das Geburtstagskind, das mit zahlreichen Mitgliedern seiner Familie nach Wien gekommen war. Der Zeithistoriker Oliver Rathkolb, der durch den Abend führte, schlug gleich einen Besuch des Opernballs vor, "um den Orden auszuführen".
Die Universität Wien und die Medizinische Universität Wien hatten unter dem Motto "Happy Birthday, Eric" die Feier im Festsaal der Uni Wien veranstaltet. Die beiden Rektoren Heinz Engl und Markus Müller betonten, dass es angesichts seines Lebenslaufs nicht selbstverständlich sei, dass Kandel seinen Geburtstag gerade in Wien feiere.
Kandels Frau Denise zeigte sich in ihren persönlichen Worten an das Geburtstagskind besorgt, dass in Österreich und der EU nationalistische, antisemitische und rassistische Tendenzen wieder erstarken, die 1939 zu Kandels Vertreibung aus seiner Heimatstadt geführt haben.
Ein "hellwacher, unbestechlicher Zeitzeuge"
Alt-Bundespräsident Heinz Fischer, den eine persönliche Freundschaft mit Kandel verbindet, bezeichnete Kandel als "hellwachen, unbestechlichen Zeitzeugen". Er erinnerte wie viele andere Redner auch, dass es Kandels "ungeheurer Hartnäckigkeit" zu verdanken gewesen sei, dass just jenes Stück der Ringstraße, an dem das Hauptgebäuede der Uni Wien liegt und das nach dem Wiener Bürgermeister und Antisemiten Karl Lueger benannt war, umbenannt wurde und nun "Universitätsring" heißt.
Der Präsident der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW), Anton Zeilinger, erinnerte in seiner Laudatio an die zu jener Zeit "revolutionäre Idee" Kandels, den menschlichen Geist durch die Biologie zu erforschen. Kandel hat in seiner wissenschaftlichen Arbeit wesentliche Mechanismen der Gedächtnisbildung enthüllt und wurde im Jahr 2000 "für Entdeckungen zur Signalübertragung im Nervensystem" mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnet. Dass er seine Wissenschaft in ausgezeichneten Büchern der Welt vermittle, bezeichnete Wissenschaftsministerin Iris Rauskala als "besonderen Verdienst".
Kandel war bereits am Mittwoch von der Stadt Wien mit dem Goldenen Rathausmann und von der Ärztekammer Wien mit ihrer höchsten Auszeichnung, dem "Großen Ehrenzeichen am Bande" geehrt worden. Am Donnerstag wurde er mit seiner Familie auch von Bundeskanzlerin Brigitte Bierlein empfangen.
                  Bis heute wissenschaftlich aktiv
Eric Kandel ermöglichte  fundamentale Einblicke in die Funktionsweisen des menschlichen Gehirns.  Die Bandbreite der Erkenntnisse, die aus Eric Kandels Arbeit  hervorgingen, reicht von der Einsicht, dass das Lernen und Vergessen  einer Meeresschnecke etwas über das menschliche Gedächtnis lehren kann,  bis zu einem molekularen Verständnis psychischer Vorgänge und  psychiatrischer Erkrankungen. Im Jahr 2000 erhielt er den Medizin-  Nobelpreis für die Entdeckung, dass Veränderungen in der Stärke von  Verbindungen zwischen Nervenzellen die Grundlage für Lernvorgänge im  Gehirn darstellen. Kandel musste bereits als Kind - im Jahr 1939 nach  dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland -  mit seiner Familie in die USA emigrieren. 1945 erhielt er die  amerikanische Staatsbürgerschaft.
Sein Interesse an der Erforschung physiologischer Vorgänge im Gehirn  erwuchs zunächst auf seinem Interesse an der Psychologie und den Thesen  Sigmund Freuds. 1952 begann Kandel an der New York University Medizin zu  studieren, um ursprünglich Psychiater oder Psychoanalytiker zu werden,  entschied sich dann aber dazu, in der Grundlagenforschung tätig zu  werden und sich der experimentellen Untersuchung biologischer und  molekularer Vorgänge im Gehirn zu widmen. Kandel arbeitet bis heute in  der Forschung ist einer der Direktoren des Zuckerman Institute der  Columbia University.
Eine neue Heimat in den USA
Eric  Kandel wurde am 7. November 1929 in Wien geboren. 1939 wurde Kandel  aufgrund seiner jüdischen Herkunft vom nationalsozialistischen  Terrorregime vertrieben und fand in den USA eine neue Heimat. Er  studierte zunächst Geisteswissenschaften an der Harvard University,  später Medizin an der New York University. Seine Forschungsarbeiten auf  dem Gebiet der Medizin und Neurowissenschaften führten ihn an  renommierte Institute in den USA und Europa. 1974 wurde er Professor an  der Columbia University. Eric Kandel wurde mit unzähligen Preisen und  Ehrungen bedacht: Im Jahr 2000 wurde er mit dem Nobelpreis für  Physiologie oder Medizin ausgezeichnet. 2012 erhielt er das Große  Silberne Ehrenzeichen mit dem Stern für die Verdienste um die Republik  Österreich, 1994 das Ehrendoktorat der Universität Wien und 2018 das  Ehrendoktorat der Medizinischen Universität Wien. Kandel ist seit 1956  mit der Sozialmedizinerin und Epidemiologin Denise Kandel verheiratet,  das Ehepaar lebt in New York.
(APA/cm/hai - RED)












