Pollenflugvorhersage: Welche Pollen fliegen gerade? Hintergrund zum besseren Verständnis der Vorhersageroutine
Pollenflugvorhersagen oder kurz Pollenvorhersagen oder auch Pollenprognosen sind eine komplexe Angelegenheit. Sie können nicht einfach an einem Instrument abgelesen werden oder von einem Computer ausgerechnet werden – zumindest noch nicht. Wir wollen Ihnen hier einen Leitfaden und den Hintergrund zum besseren Verständnis unserer Tätigkeiten geben sowie einen Einblick, wer wir sind, was wir machen und warum wir es (so) machen.
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Hier sehen Sie ein Video, das Ihnen Einblick in unsere (aerobiologische) Routinearbeit an der MedUni Wien gibt.
Wie kommt eine möglichst zutreffende Pollenvorhersage zustande?
Gäbe es ein Rezept für die Pollenvorhersage, dann wäre die erste Zutat Pollendaten. Ohne Kenntnis des Pollenfluges lässt sich auch nichts über die weitere Entwicklung sagen. Pollendaten werden in Europa zumeist noch mit klassischen Pollenfallen des Hirst-Typs erhoben (Abbildung 1).
Dabei wird Luft von der Pollenfalle angesaugt und alle Partikel dieser angesaugten Luft haften im Inneren der Falle an einem Klebestreifen an, der in einer definierten Geschwindigkeit bewegt wird. So erhält man auch Informationen über die zeitliche Komponente, sprich wann diese Partikel in der Luft waren. Die Klebestreifen werden im Labor präpariert und von Pollenanalyst:innen am Lichtmikroskop ausgewertet. Dabei wird jedes Pollenkorn (je nach Team auch Pilzsporen) anhand seiner Morphologie (=Aussehen) identifiziert und gezählt (Abbildung 2).
Für die Bedienung der Pollenfalle, die Präparation und Auswertung gibt es einen europäischen Standard (ÖNORM EN-16868:2019), nach dem so gut wie alle europäischen Institutionen arbeiten. Diese wissenschaftliche Herangehensweise macht solche Pollendaten sehr wertvoll für viele weitere wissenschaftliche Fragestellungen (Klimawandel, Ökologie, Allergologie), erfordert jedoch eine entsprechende Ausbildung des Personals und Zeit. Schon länger gibt es Bestrebungen, diese Pollenzählungen zu automatisieren (Näheres dazu weiter unten).
Die weiteren Zutaten für eine gute Vorhersage sind: Wettervorhersagen, Phänologie und Expertise. Es gibt freilich noch weitere Quellen, die man nach sorgsamer Prüfung mit einbeziehen kann, wie z.B. Pollenmodelle. Für das Grundrezept essenziell erscheinen uns die vier genannten.
Je zuverlässiger die Wettervorhersage, desto besser für die Pollenvorhersage. Das Wetter hat maßgeblichen Einfluss auf das Erreichen der Blühbereitschaft, den Beginn der Blüte, die Vollblüte (Höhepunkt des Pollenfluges) und das Ende der Blüte. Dabei sind nicht nur Niederschläge von Bedeutung, sondern auch Temperatur, Sonnenscheindauer und in manchen Fällen andere Parameter wie die Windrichtung.
Die Phänologie (Beurteilung des Blühstadiums in der freien Natur) wird leider oftmals vernachlässigt. Als klassische Methode der Botanik erscheint sie unsexy und verhältnismäßig zeitaufwendig. Allerdings ist es bis jetzt nicht gelungen, die Phänologie zu ersetzen. Die Kenntnis der ortsüblichen Flora, die regelmäßige Beobachtung von ausgewählten Referenzpflanzen und die Dokumentation des Blühfortschrittes eröffnen essenzielle Einblicke in die Natur, um den Pollenflug beurteilen und vorhersagen zu können (Abbildung 3).
Manche Phänomene sind ohne Phänologie sogar nicht zu verfolgen. In Wien wäre das beispielsweise die Blüte der Purpurerle, die für keinen messbaren Pollenflug sorgt. Deswegen sind wir auch über Weihnachten für Sie unterwegs. Ähnlich verhält es sich mit der Blüte der Gräser. Im Lichtmikroskop sind Pollenkörner unterschiedlicher Arten und selbst Gattungen nicht zu unterscheiden. Daher kann nur die Beobachtung im Feld beantworten, wann welches Gras blüht.
Nicht zuletzt soll die Expertise erwähnt sein. Leider gibt es keine Ausbildung für die Arbeit auf dem Gebiet der Pollenvorhersage. Jeder, der sich dazu berufen fühlt, könnte theoretisch Pollenvorhersagen machen. Es bleibt also schwierig von außen zu beurteilen welche Qualität geboten wird. Die allermeisten Anbieter in Europa sind an Universitäten angesiedelt, nicht nur weil solche Institutionen vertrauensbildend sind, sondern weil es ansonsten schwer wird, Pollenvorhersagen unentgeltlich und ohne Werbung oder Sponsoren anzubieten. Und wo finanzielle Interessen bestehen, mag die vorurteilsfreie Bemessung der Situation nicht immer einwandfrei sein.
Kurzer Exkurs zum aktuellen Stand der Technik der Pollenauswertung
Natürlich gibt es auch auf dem Gebiet der Aerobiologie („Biologie der Luft“) schon Ansätze zur Automatisierung und Versuche, Künstliche Intelligenz (KI) in die Arbeit, meist bei der Pollenauswertung, zu integrieren. An diesen neuen Ansätzen wird kontinuierlich gearbeitet und es wäre nicht verwunderlich, wenn sich hier Einiges in den nächsten Jahren wandeln würde.
Es laufen nämlich schon seit einiger Zeit erfolgreich Modelle zur Pollenausbreitung, die bei der Erstellung einer Pollenvorhersage unterstützen können. Dieser Schritt ist geschafft, wobei es dem verantwortlichen Team hinter einer Pollenvorhersage obliegt, die aktuelle Qualität des Modells zu beurteilen und inwieweit diese Daten in eine händisch erstellte Vorhersage, ob Textprognose oder Angabe in vorab definierten Werten, einfließen soll.
Derzeit stehen verschiedene „Automaten“ zur Verfügung, die mit unterschiedlichen Methoden (Bilderkennung, Laser) unterschiedliche Ergebnisse liefern. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es derzeit noch keinen adäquaten Ersatz gibt, der alle Aspekte der Auswertung durch einen menschlichen Analysten abdecken würde, darunter beispielsweise:
- Sofortiges Erkennen von neuem Pollen (z.B. Neophyten)
- Breite taxonomische Abdeckung (Auswertung eines jeden Pollenkornes und nicht ausschließlich bestimmte Pollentypen)
- Archivierung der Datengrundlage (bei Lasererkennung nicht möglich mit der Möglichkeit zur nochmaligen Auswertung)
- Standardisierung
An diesen Punkten wird bereits gearbeitet. Beim Einsatz von KI scheitert es derzeit noch an der zeitlichen Komponente. Hier braucht die maschinelle Auswertung noch viel zu lange. Inwieweit diese neuen Ansätze schon jetzt im Routinebetrieb eines Pollenservices eingesetzt werden sollen, wird kontrovers diskutiert. Wir sind der Ansicht, dass etliche Ansätze erfolgversprechend sind, die Anwendung dieser Methoden jedoch sehr gut durchdacht sein sollte und nach aktuellem Stand nach wie vor ein menschliches Team federführend in der Erstellung von Pollenvorhersagen sein sollte sowie jeglicher Information, die an die Bevölkerung ausgegeben wird. Es steckt immerhin eine große Verantwortung darin Menschen über den Pollenflug in Kenntnis zu setzen, da Pollenallergien eine Erkrankung darstellen, die mitunter eine Anpassung des Verhaltens erfordert. Insofern ist eine Pollenvorhersage von nicht zu unterschätzendem Gewicht.
Welche Pollen fliegen gerade?
Es ist diese Frage, die die meisten umtreibt, wenn sie bemerken, dass es mit der Pollenallergie losgeht. Die Antwort finden Sie in unserer Textprognose und in unserem Überblick des aktuellen Pollenfluges für die nächsten drei Tage. Zusätzlich bieten wir Pollenkalender zur langfristigen Planung.
Als kleiner Überblick über die wichtigsten Pollentypen sei hier kurz zusammengefasst (Abbildung 4): Ende des Jahres/Beginn des Jahres blüht in Wien die Purpurerle, gefolgt von Hasel und unseren heimischen Erlen in der Winterzeit und auch gut bekannt als „Frühblüher“. Ab März ist mit der Esche und in weiterer Folge mit der Birke zu rechnen, die sich dann meist etwas mit der Blüte der Gräser überschneidet. Da der Pollenflug der Gräser durch die Blüte vieler, verschiedener Grasarten zustande kommt, haben wir uns entschlossen einen speziell für Wien und für die Saison der Gräser zugeschnittenen Pollenkalender zu entwerfen. Denn nicht jeder reagiert auf jede Grasart. Im Sommer geht es dann mit der Blüte der Unkräuter, zuerst Beifuß und dann Ragweed, weiter, die sich bis in den Herbst hineinziehen.
Was machen wir anders und warum?
Wir haben ein neues Konzept entwickelt, das eine bedeutende Änderung in der Kommunikation des Pollenfluges darstellt. Wir sehen von den alten „Belastungsklassen“ ab. Einerseits sind diese unserer Erfahrung nach oftmals missverständlich für die Bevölkerung und werfen mehr Fragen auf als sie Antworten liefern („Was ist der Unterschied zwischen mäßig und hoch?“). Zudem wird aktuell diskutiert, inwiefern Schwellwerte – feste Pollenkonzentrationswerte – sinnvoll sind, da diese ohnehin von Region zu Region und von Allergen zu Allergen variieren. Andererseits ist es schon lange bekannt, dass die Reaktionslage bei jedem Betroffenen individuell ist und eine Verallgemeinerung von Beschwerden bei Pollenallergien nicht zielführend ist, sondern zur Frustration der Betroffenen führt („Ich leide schon so lange.“ vs. „Ich spüre noch nichts.“).
Daher haben wir uns entschlossen auf Vereinfachung zu setzen: Wir bieten drei Stufen an – kein/kaum Pollenflug (grün), Pollenflug (gelb) und hoher Pollenflug (rot). Unsere neue Codierung wird für die Darstellung der nächsten drei Tage verwendet und soll jeder interessierten Person die aktuelle Lage schnell verständlich machen. Sie geht allerdings auch auf eine wissenschaftliche Pionierarbeit aus dem Jahr 2013 zurück, in der bereits beschrieben worden ist, dass eine vereinfachte Kommunikation des Pollenfluges in Form eines Ampelsystems wünschenswert wäre (Kiotseridis et al. 2013). Daher wollen wir diesem simplen Weg folgen und bleiben gespannt, wie dieser Zugang angenommen werden wird. Zudem beziehen wir uns immer auf den Pollenflug und die beobachtete Blüte und sprechen daher nicht von „Belastungen“. Denn die Belastungen kommen multifaktoriell zustande und zusätzlich sind individuell verschiedene Einflussfaktoren relevant, darunter: Stress (Arbeit/Schule), Schlafqualität, hormoneller Status, Ernährung und andere (gesundheitliche) Faktoren.
Wer ist der Pollenservice Wien?
Der Pollenservice Wien ist im Herbst 2023 entstanden und mit Ende 2023 in den Betrieb gegangen. Vormals gab es keinen eigenen dezidierten Dienst für Wien (wie beispielsweise für Tirol, Salzburg, Kärnten und Oberösterreich), sondern nur einen freiwilligen Zusammenschluss als Österreichischer Pollenwarndienst, der unter der damaligen Webseite www.pollenwarndienst.at nicht mehr aufrufbar ist. Die MedUni Wien hat alles darangesetzt, dass es durch den Pollenservice Wien nicht zu einer Versorgungslücke für die Bundeshauptstadt kommt.
Wir – das Forscher- und Ehepaar Katharina und Maximilian Bastl – haben den Pollenservice Wien entwickelt und aufgebaut. Wir besitzen jahrzehntelange Erfahrung auf dem Gebiet und brennen für das Thema nicht zuletzt, weil wir beide an Pollenallergien leiden.
Wir hoffen Sie optimal mit der für Sie relevanten Information zum Pollenflug zu versorgen, laden Sie dazu ein uns auf X für mehr Einblicke in den Alltag als Aerobiologen zu folgen („Pollenpaar Bastl“) und hoffen Sie ein Stück Ihres Weges unterstützen zu dürfen.
Referenz:
Kiotseridis H., Cilio C.M., Bjermer L., Tunsäter A., Jacobsson H., Dahl A. 2013. Grass pollen allergy in children and adolescents – symptoms, health related quality of life and the value of pollen prognosis. Clinical and Translational Allergy 22(3):19. Doi: 10.1186/2045-7022-3-19