(Wien, 15-12-2022) Die Diagnose und Behandlung von Long Covid-Syndrom (LCS) ist für die Medizin nach wie vor sehr schwierig, die Auslöser der Begleiterscheinungen liegen mitunter noch im Dunkeln. Ein Team der Joint Metabolome Facility der Universität Wien und Medizinischen Universität Wien hat nun neue Hinweise auf Auslöser für die Erschöpfungszustände nach einer SARS-COV-2 Infektion vorgelegt. Die Gruppe um Chemiker Christopher Gerner (Universität Wien) konnte zeigen, dass eine überschießende anti-entzündliche Reaktion für Long Covid verantwortlich sein dürfte. Die Studie wurde in „iScience“ veröffentlicht.
Millionen Menschen leiden mittlerweile an Long Covid Syndrom (LCS), was zwar die Lebensqualität deutlich beeinträchtigt, aber aufgrund eines mangelnden Verständnisses für die zugrunde liegenden Krankheitsmechanismen nicht leicht zu diagnostizieren und zu behandeln ist. Forscher:innen der intrauniversitären Joint Metabolome Facility (Universität Wien und MedUni Wien) widmeten sich nun LCS unter Anwendung von massenspektrometrie-basierten postgenomischen Analyse-Verfahren. Die Stärke dieser Verfahren liegt in einem sehr umfassenden Abbild von Ist-Zuständen, also der Verfolgbarkeit von gerade in einem Patient:innen ablaufenden Krankheitsprozessen. Gemeinsam mit Klaus Schmetterer vom Klinischen Institut für Labordiagnostik der MedUni Wien und Mariann Gyöngyösi von der Universitätsklinik für Innere Medizin II der MedUni Wien und Leiterin der Long Covid Ambulanz am AKH Wien, wurden Patient:innen-Kohorten ausgewählt und analysiert, um die molekularen Grundlagen von LCS aufzuklären.
Klassische Entzündungsmarker fehlen
Im Zuge einer viralen Infektion kommt es normalerweise zu einer sehr starken Aktivierung des Immunsystems. Aber bei praktisch allen untersuchten Long Covid-Patient:innen waren entsprechende Marker wie etwa Zytokine, Akutphase-Proteine und Eicosanoide, die auf eine Entzündung hinweisen, tatsächlich kaum auffindbar. „Alle wichtigen möglichen Marker für akute Entzündungsprozesse waren bei LCS-Patient:innen unter den Werten von gesunden Spender:innen oder erst gar nicht nachweisbar“, sagt Studienautor und Leiter der Joint Metabolome Facility, Christopher Gerner.
Erstaunlicher Weise waren die Unterschiede bei Long Covid-Patient:innen im Vergleich zu symptomlosen, von einer Covid-Erkrankung genesenen Patient:innen deutlicher als zu gesunden Kontrollen. „Dieser Befund machte deutlich, dass tatsächlich bei symptomlosen Genesenen ein gewisser Rest an Entzündungsreaktionen nachweisbar war, während eben Long-Covid-Patient:innen einen gegenteiligen Befund aufwiesen“, so Gerner.
Obwohl bisher hautsächlich Auto-Immunität als Ursache für Long Covid vermutet wurde, fehlen Hinweise auf begleitende entzündliche Prozesse bei LCS-Patient:innen.
Stattdessen „Entzündungshemmer“ hochreguliert
Die Forscher:innen konnten entgegen bisheriger Erwartungen einige anti-entzündlich wirkende Proteine, Lipide und Metaboliten bei Long Covid-Patient:innen finden, die einerseits die wichtigsten LCS-Symptome mitverursachen könnten, und die andererseits auf die Bildung alternativ polarisierter Makrophagen als Ursache hinweisen.
„Die molekulare Signatur einer Entzündungs-Hemmung war sehr deutlich sichtbar“, so Gerner: Die Studie liefert z.B. den Hinweis, dass eine erhöhte Infektiosität des Virus über einen Mangel an Akutphase-Proteinen (z.B. SERPINA5) erklärbar ist. Zudem konnten die Forscher:innen zeigen, dass die anti-entzündlichen Metabolite Osmolyte Taurin und Hypaphorin bei LCS-Patient:innen stark erhöht waren. Von Hypaphorin ist bekannt, dass es in Tieren spontan Schlaf induzieren kann, was einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Erschöpfungssyndrom nahelegt.
Alternativ polarisierte Makrophagen dominieren Krankheitsbild
Die durchgeführten Blutplasma-Analysen von LCS-Patient:innen erlauben einen tiefen Blick in die physiologischen Prozesse der Patient:innen. Im Falle der LCS-Patient:innen zeichnete sich eine aktive Beteiligung sogenannter alternativ polarisierter Makrophagen ab. Diese Zellen bilden sich typischer Weise nach allen Arten von Infektionen und sind sozusagen für die Koordination regenerativer Prozesse verantwortlich. Das bei LCS-Patient:innen gefundene molekulare Profil, bestehend aus Proteinen, Lipiden und Metaboliten, ist sehr charakteristisch für diese Zellen.
Natürlich sind mit dieser Arbeit nicht alle LCS-bezogenen Fragen geklärt. In einer gerade gemeinsam mit Gerhard Garhöfer von der Universitätsklinik für Klinische Pharmakologie der MedUni Wien abgeschlossenen Studie untersuchte die Joint Metabolom Facility die Ursachen für das erhöhte Arteriosklerose- und Herzinfarkt-Risiko nach überstandenen Infektionen. „Die Pathologie der LCS-Erkrankung kristallisiert sich immer deutlicher heraus, was natürlich eine völlig neue Einschätzung von Risikofaktoren und Therapie-Optionen ermöglicht“, so die Studienautor:innen. Die Forscher:innen sind zuversichtlich, in naher Zukunft deutlich verbesserte Diagnosemöglichkeiten für LCS und vor allem Monitoring-Verfahren zur Bewertung von Therapie-Effekten anbieten zu können.
Publikation: iScience
A multi-omics based anti-inflammatory immune signature characterizes Long COVID Syndrome. Johannes J. Kovarik, Andrea Bileck, Gerhard Hagn, Samuel M. Meier-Menches, Tobias Frey, Anna Kaempf, Marlene Hollenstein, Tarik Shoumariyeh, Lukas Skos, Birgit Reiter, Marlene C. Gerner, Andreas Spannbauer, Ena Hasimbegovic, Doreen Schmidl, Gerhard Garhöfer, Mariann Gyöngyösi, Klaus G. Schmetterer, Christopher Gerner
DOI: https://doi.org/10.1016/j.isci.2022.105717