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FWF fördert Projekt zu Geschlechterunterschieden bei Kiefergelenkserkrankungen

Benedikt Sagl von der Universitätszahnklinik Wien entwickelt digitale Zwillinge des Kiefergelenks, um Ursachen von TMD besser zu verstehen
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Bild: Universitätszahnklinik Wien/Mariano Nguyen

(Wien, 13-10-2025) Benedikt Sagl, Leiter des Competence Center AI in Dentistry an der Universitätszahnklinik Wien und Principal Investigator am Comprehensive Center for AI in Medicine, erhält eine Förderung des Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF. In seinem neuen Forschungsprojekt werden digitale Zwillinge des Kiefergelenks entwickelt, um geschlechtsspezifische Unterschiede bei temporomandibulären Dysfunktionen (TMD) zu untersuchen. Ziel ist es, besser zu verstehen, warum Kiefergelenkserkrankungen bei Frauen häufiger auftreten, und daraus Grundlagen für individuellere Diagnose- und Behandlungsansätze zu schaffen.


Kiefergelenkserkrankungen (auch Temporomandibuläre Dysfunktionen, TMD) sind eine häufige Ursache orofazialer Schmerzen und treten häufig zusammen mit Kopfschmerzen auf. Sie beginnen oft bereits im jungen Erwachsenenalter, beeinträchtigen zentrale Alltagsfunktionen wie Essen und Sprechen und führen nicht selten zu langen, kostspieligen Behandlungswegen. Das vom Österreichischen Wissenschaftsfonds FWF geförderte Projekt (Fördersumme 456.290 €) unter der Leitung von Benedikt Sagl setzt hier an und schafft eine Grundlage für gezieltere, personenzentrierte Versorgung.

Im Mittelpunkt steht eine klare Frage: Können feine Unterschiede in der Form des Kiefergelenks bei Frauen und Männern dazu führen, dass beim Kauen andere Kräfte wirken und damit das Risiko für Schmerzen steigt? Wenn das „Scharnier“ zwischen Schädel und Unterkiefer minimal anders geformt ist, verteilt sich die Belastung anders. Dieses Zusammenspiel von Form und Belastung macht das Team sichtbar und ordnet es den Beschwerden zu. Die Arbeiten adressieren damit eine zentrale Lücke in der Frauen- und Geschlechtergesundheit und bringen biomechanisches Wissen in den zahnmedizinischen Alltag.

Methodisch nutzt das Projekt zwei Enabler: Reduced-Coordinate Modeling für schnelle, personenspezifische Simulationen und Reinforcement Learning zur realistischen Steuerung der Kaumuskeln im Modell, ohne invasive Messungen. So lassen sich alltagsnahe „Was-wäre-wenn?“-Fragen prüfen, etwa wie unterschiedliche Bewegungsmuster oder Versorgungsstrategien die Beanspruchung beeinflussen. Die digitalen Zwillinge des Kiefergelenks schaffen damit ein anschauliches, datenbasiertes Verständnis, das Forschung und Lehre ebenso zugutekommt wie der klinischen Entscheidungsfindung.

Ziel ist es, klar benennbare Merkmale der Gelenkform zu identifizieren, die mit erhöhter Belastung zusammenhängen. Daraus kann eine einfach verständliche Früherkennungshilfe für die Praxis entstehen: Wer solche Merkmale zeigt, sollte genauer untersucht und entsprechend der individuellen Situation behandelt werden. Der Nutzen für die Öffentlichkeit liegt in früherer Erkennung, gezielterer Therapie und weniger unnötigen Eingriffen, zugleich können Aufklärung und Beratung für Betroffene verbessert werden.