(Wien, 09-08-2016) ForscherInnen vom Klinischen Institut für Neurologie der MedUni Wien konnten in einer internationalen Kooperation erstmals klinisch-labordiagnostische Kriterien für die IgLON5-assoziierte Enzephalopathie definieren. Dadurch ergeben sich neue Möglichkeiten für Diagnostik, Prognose und Therapieansätze dieser neurodegenerativen Erkrankung.
Diese erst kürzlich entdeckte Erkrankung stellt einen völlig neuen Zusammenhang zwischen Autoimmunität und Neurodegeneration her und erweitert das Wissen und Verständnis über Pathomechanismen in der Demenzentwicklung. Dieses Syndrom, das sich durch eine komplexe, fortschreitende Schlafstörung charakterisiert, ist mit dem serologischen Nachweis von Antikörpern gegen das neuronale Oberflächenmolekül IgLON5 und dem neuropathologischen Nachweis von abnormem Tau-Protein verbunden.
IgLON5 ist ein Antigen auf Nervenzellmembranen, das zur Immunglobulin-Superfamilie gehört. Es spielt eine wichtige Rolle in der Neurobiologie von Nervenzellen. Antikörper gegen IgLON5 führen bei den betroffenen PatientInnen zu schweren Schlafstörungen und im weiteren Verlauf zu einer fortschreitenden Hirnstammläsion mit Sprech- und Schluckstörung bis hin zu plötzlichem Atemstillstand oder Herz-Kreislaufstillstand.
Charakteristisches Verteilungsmuster von Proteinablagerungen
Autoptische Hirnuntersuchungen, die an zwei serologisch gesicherten Patienten durchgeführt wurden, zeigen eine neurodegenerative Pathologie mit einzigartigem Verteilungsmuster, welches sich durch ausgiebige pathologische Proteinablagerungen in Nervenzellen in Zwischenhirn und Hirnstamm charakterisierte. Interessanterweise sind alle bisher beschriebenen Patienten Erbträger eines bestimmten Leukozyten-Antigentyps.
In der aktuellen Studie konnten NeuropathologInnen der MedUni Wien im Rahmen einer internationalen Kollaboration erstmals eine integrierte Klassifikation dieses bislang noch nicht charakterisierten Krankheitsbildes vorstellen, welche auf den Erkenntnissen aus Klinik, Serologie, HLA-Status und Autopsie-Ergebnissen von sechs Patienten beruht.
Diese Klassifikation soll es ermöglichen, retrospektiv Fälle von IgLON5-assoziierter Enzephalopathie in bestehenden Datenbanken bzw. Hirnbanken zu identifizieren, um die Basis für zukünftige klinisch-pathologische Studien an größeren Fallzahlen dieses sehr seltenen Krankheitsbildes zu schaffen. Auf dieser Basis soll das Wissen hinsichtlich Ursache und Pathogenese verbessert werden und die Grundlage für präzisere Diagnostik und Prognose und Therapieansätze geschaffen werden.
Die Erstellung der Arbeit wurde von Romana Höftberger, Ellen Gelpi und Gabor Kovacs vom Klinischen Institut für Neurologie (KIN) initiiert und koordiniert. Sie entstand in Zusammenarbeit mit dem Hospital Clinic Barcelona, der Universitätsklinik für Neurologie Innsbruck und anderen Forschungseinrichtungen.
Der Artikel wurde im renommierten Fachjournal Acta Neuropathologica (IF 11,3) publiziert, die Ergebnisse wurden im Rahmen des Europäischen Kongresses für Neuropathologie als Keynote lecture vorgetragen und mit Posterpreisen neuropathologischer und neurologischer Fachgesellschaften ausgezeichnet.
Das Klinische Institut für Neurologie (KIN)
Das KIN (www.kin.at) fungiert als Österreichisches Referenzzentrum für menschliche Prionenerkrankungen, als Referenzzentrum für die neuropathologische Diagnostik neurodegenerativer Erkrankungen sowie als Zentrum für neuroimmunologische und neurogenetische Labordiagnostik. Dieses weltweit einzigartige Laborsetting ermöglichte die Erarbeitung der integrierten klinischen, immunologischen, genetischen und neuropathologischen Klassifikationskriterien der IgLON5-assoziierten Enzephalopathie.
Service: Acta Neuropathologica
Neuropathological criteria of anti-IgLON5-related tauopathy.
Gelpi E*, Höftberger R*, Graus F, Ling H, Holton JL, Dawson T, Popovic M, Pretnar-Oblak J, Högl B, Schmutzhard E, Poewe W, Ricken G, Santamaria J, Dalmau J, Budka H, Revesz T, Kovacs GG.
*contributed equally
Acta Neuropathol. 2016 Jun 29. [Epub ahead of print]
PMID: 27358064