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Hochrisiko-Leukämie behandelbar machen

FWF fördert Präzisionsonkologie an St. Anna Kinderkrebsforschung
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(Wien, 20-12-2022) Das vom Wissenschaftsfonds FWF geförderte Projekt „ExTrAct AML“ dringt tiefer als bisherige Ansätze in die Erforschung der akuten myeloischen Leukämie (AML) ein. Die AML ist eine der schwerwiegendsten bösartigen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen. Trotz intensiver Therapie verläuft die Erkrankung bei rund einem Viertel der Patient:innen immer noch tödlich. Warum es zu Krankheitsrückfällen und einem Nicht(-mehr)-Ansprechen auf Therapien kommt, ist bislang nur teilweise verstanden. Das soll sich nun ändern, dank einer Förderung des Projektes ExTrAct-AML mit rund 585.000 Euro durch das FWF-Programm „Klinische Forschung“.

Ein Team um Kaan Boztug, Professor im Fachbereich Kinderheilkunde und Entzündungsforschung an der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der MedUni Wien sowie Wissenschaftlicher Direktor der St. Anna Kinderkrebsforschung, und Giulio Superti-Furga, Professor für Medizinische Systembiologie an der MedUni Wien sowie Wissenschaftlicher Direktor am CeMM, und Michael Dworzak, Principal Investigator an der St. Anna Kinderkrebsforschung und Associate Professor an der MedUni Wien, will mithilfe maschinellen Lernens individuelle Risikoprofile von Patient:innen anlegen, um letztlich jedem Kind eine maßgeschneiderte Behandlung zu ermöglichen. Individuelle Patientenprofile sollen frühzeitig Aufschluss geben, warum die Krankheit fortschreiten oder auf Therapien nicht mehr ansprechen wird. Das Neue daran: In diese Profile fließen nicht nur umfassende (epi)genetische Landkarten der Leukämiezellen ein, sondern auch deren fehlgeleitete Signalwege und Empfindlichkeit gegenüber mehr als 100 Medikamenten – ermittelt durch eine neue und besonders präzise Methode, die die Wirkung der Medikamente an Krebszellen untersucht (Pharmakoskopie). Die hochdotierte FWF-Förderung geht an die St. Anna Kinderkrebsforschung und deren Projektpartner, das CeMM Forschungszentrum für molekulare Medizin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften.

Früherkennung von Risikopatient:innen
Bisher stützte man sich meist auf einzelne genetische Veränderungen der Krebszellen als Zielscheibe für personalisierte Behandlungsansätze, was nur für wenige Patient:innen tatsächlich einen Vorteil bringt. Projektleiter Kaan Boztug und seine Kolleg:innen gehen davon aus, dass, neben diesen bekannten Mechanismen, fehlgeleitete Signalwege und Stoffwechselvorgänge der Krebszellen wichtige unerforschte Mechanismen darstellen. Daher nützen die Forscher:innen im ExTrAct-AML-Projekt drei ganz unterschiedliche Datenquellen für die Erstellung individueller Risikoprofile.

Erstens werden mit dem Verfahren der Durchflusszytometrie sogenannte Phosphosignal-Profile aus Knochenmarksproben erstellt. Dies soll jene fehlgeleiteten Signalwege offenlegen, die zu ungebremstem Wachstum der Krebszellen führen. Zweitens testen die Forscher:innen systematisch 108 bereits zugelassene Medikamente und neun ausgewählte Kombinationstherapien aus einer von Expert:innen angelegten Medikamentendatenbank an Leukämiezellen im Labor. Drittens fließen mithilfe maschinellen Lernens auch die (epi)genetische Landschaft der Leukämiezellen sowie klinische Parameter in die individuelle Profilerstellung mit ein. Neu an ExTrAct-AML ist außerdem, dass das Konzept auf der Früherkennung von Risikopatient:innen beruht.

„Gemeinsam mit unserem Projektpartner, dem CeMM, gehören wir zu den wenigen Zentren in Europa, die aus erster Hand Zugang zur Pharmakoskopie-Technologie haben“, erklärt Kaan Boztug. In der Vergangenheit zeigte das Superti-Furga-Labor bereits den effizienten Einsatz der Pharmakoskopie für die Behandlung von bösartigen hämatologischen Erkrankungen bei Erwachsenen. „Mit der Pharmakoskopie haben wir am CeMM einen bildbasierten Ansatz der funktionellen Einzelzell-Präzisionsmedizin entwickelt – eine Technologie, die echte personalisierte Medizin bei der Krebsbehandlung ermöglicht. Nun wollen wir das Potenzial der Pharmakoskopie-geleiteten Behandlung auch zum Nutzen pädiatrischer Patient:innen auf breiter Basis testen. Das ist ein Meilenstein“, ergänzt Giulio Superti-Furga.

Sofortige klinische Anwendung angestrebt
Insgesamt untersuchen die Wissenschafter:innen Knochenmarkproben von 45 Patient:innen, wobei sie pro Patient:in mindestens 50 Millionen Zellen analysieren. Im nächsten Schritt überprüft das Team die gewonnenen Signaturen in zwei Patient:innengruppen der italienischen Studiengruppe „AIEOP-AML“ sowie der deutschen Studiengruppe „AML-Berlin-Frankfurt-Münster“. Weitere Analysen aus Knochenmarkproben von 20 AML-Patient:innen in Österreich und Deutschland erfolgen in der prospektiven Studie AIEOP-BFM 2020. Michael Dworzak ergänzt: „Damit ist das ExTrAct-Programm in ein Umfeld führender klinischer Expert:innen aus nationalen und internationalen AML-Studienzentren eingebettet, was eine rasche klinische Umsetzung erwarten lässt.“

Zudem sei es die erste Studie, die Chemosensitivitäts- und Multi-Omics-Daten zu einer kindlichen Krebserkrankung aus einer ausreichend großen retrospektiven sowie einer prospektiven Gruppe zusammenführt. Aus den gewonnenen Daten versuchen die Forscher:innen Muster des Krankheitsverlaufs und der Therapieresistenz zu erkennen. „Wir wollen allgemeine Leitlinien für eine funktionelle Ex-vivo-Präzisionsonkologie bei Kindern liefern, die auch auf andere Krankheitsbilder übertragbar sind“, sagt Kaan Boztug.