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Evolution der Epigenetik erstmals erforscht

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(Wien, 20-01-2023) Das Team von Christoph Bock vom CeMM Forschungszentrum für Molekulare Medizin der ÖAW und vom Institut für Artificial Intelligence der MedUni Wien hat einen umfassenden Katalog der DNA-Methylierung in 580 Tierarten vorgelegt. Damit kann die Evo-lution der Epigenetik erstmals im Detail nachvollzogen werden. Die neue Studie im Journal Nature Communications zeigt, dass diese epigenetischen Muster evolutionär sehr alt sind und bereits lange vor den Säugetieren entstanden. Überraschenderweise folgt die DNA-Methylierung in Seesternen und Fischen einem ganz ähnlichen „Code“ wie beim Orang-Utan oder bei uns Menschen. Dieser epigenetische Code könnte sogar vor Krebs schützen – darauf deuten die Muster der DNA-Methylierung bei Vögeln hin, die selten an Krebs erkranken.

Unsere Gene sind in der DNA-Sequenz des Erbguts kodiert. Allerdings kann jede Zelle nur auf einen Teil der Gene zugreifen. Denn die Epigenetik bildet eine Art molekulare Zugangskontrolle zu den Genen – eine epigenetische „Software“ zum Schutz unserer genetischen „Hardware“ vor Aktivierung in den falschen Zellen. Dank der Epigenetik können sich komplexe Organismen mit Hunderten von Zelltypen entwickeln. Zudem reduziert die Epigenetik unser Krebsrisiko, indem kritische Bereiche des Erbguts vor einer versehentlichen Aktivierung geschützt werden.

Die DNA-Methylierung ist die bekannteste und wohl wichtigste Komponente der Epigenetik. Sie markiert chemisch mit Methyl-Gruppen (CH3) jene Teile des Erbguts, die besonders eng zu packen sind und vor fehlerhafter Aktivie-rung geschützt werden sollen. Diese epigenetische Regulation der Gene spielt ein Leben lang wichtige Rollen – von der befruchteten Eizelle bis zum erwachsenen Organismus, bei Krankheiten wie Krebs sowie beim Altern unseres Körpers. Der Bioinformatiker und Genomforscher Christoph Bock, Principal Investigator am CeMM sowie Professor an der Medizinischen Universität Wien, erklärt: „Die DNA-Methylierung ist das Gedächtnis der Zellen und sorgt dafür, dass eine Leberzelle immer eine Leberzelle und eine Herzzelle eine Herzzelle bleibt – obwohl alle Zellen unseres Körpers mit den gleichen Genen ausgestattet sind."

Über 500 Tierarten erstmals epigenetisch kartiert
Bisher wurde die DNA-Methylierung in erster Linie bei Säugetieren untersucht, vor allem in Mäusen und Menschen. Um die Evolution der Epigenetik zu verstehen, kartierten Wissenschafter:innen aus Bocks Forschungsgruppe am CeMM in einem aufwendigen Projekt über zehn Jahre die DNA-Methylierung von 580 Tierarten und untersuchten diese auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

Die Erstautorinnen der Studie, Johanna Klughammer und Daria Romanovskaia, prozessierten und analysierten zusammen mit Amelie Nemc insgesamt 2.443 Gewebeproben von diversen Tieren. Ein großer Teil der Gewebeproben stammt von der Wildtierpathologie der Veterinärmedizinischen Universität Wien und vom Ocean Genome Legacy Center in Boston. Außerdem wurden am Wiener Naschmarkt Speisefische und Muscheln gekauft, und verschiedene Kooperationspartner:innen stellten Proben weiterer Tierarten wie zum Bei-spiel Kamel und Axolotl zur Verfügung. „Wir haben geschaut, dass wir Herz und Leber von möglichst vielen Tierarten bekommen, um vergleichen zu können. Außerdem Lungen, Kiemen, Nieren, Gehirn und einiges mehr“, so die Autorinnen.

DNA-Methylierung tiefer verwurzelt als bisher angenommen
Diese Daten zeigen, dass die DNA-Methylierung schon vor 500 Millionen Jahren ganz ähnlich funktionierte wie heute. Daria Romanovskaia erläutert: „Wir haben uns den Zusammenhang zwischen der genetischen DNA-Sequenz und der DNA-Methylierung in Säugetieren, Vögeln, Reptilien, Amphibien, Fischen und wirbellosen Tier angeschaut. Die Muster sind zwischen diversen Tierarten sehr ähnlich. Wir konnten zum Beispiel die Verteilung der DNA-Methylierung im Erbgut des Elefanten mit einem Modell vorhersagen, das wir für den Oktopus erstellt hatten. Diese epigenetischen Muster gab es folglich sehr wahrscheinlich schon beim letzten gemeinsamen Vorfahren dieser Tiere, vor sehr langer Zeit.“

Das Grundmuster der DNA-Methylierung ist also evolutionär hoch konserviert und ermöglichen uns damit einen Blick in die Entwicklungsgeschichte der Wirbeltiere. Das heißt jedoch nicht, dass die DNA-Methylierung im Laufe der Jahrmillionen unverändert blieb. Christoph Bock erklärt: „Der genetische Code der Epigenetik ist in Wirbeltieren klarer und verbindlicher als in Wirbellosen, auch wenn die zugrundeliegenden Muster ähnlich sind. Und mit dem Aufkommen der Reptilien, Vögel und Säugetiere wird die genetische Komponente der DNA-Methylierung noch ausgeprägter. Es scheint so, als ob komplexe Tiere einschließlich des Menschen besonders auf den epigenetischen Schutz des Erbguts durch die DNA-Methylierung angewiesen sind.“

Evolutionäre Anpassung an komplexe Körper und Umweltbedingungen?
Große und langlebige Tiere sollten theoretisch ein höheres Krebsrisiko haben, weil es insgesamt mehr Zellen gibt und diesen Zellen mehr Zeit bleibt, zur Krebszelle zu werden. Doch Elefanten erkranken nicht häufiger an Krebs als zum Beispiel Mäuse oder Forellen. In der Wissenschaft spricht man von Peto’s Paradox. Offensichtlich haben große, langlebige Tiere besondere Mechanismen entwickelt, die sie zumindest teilweise vor Krebs schützen.

Die Ergebnisse der aktuellen Studie legen nahe, dass die DNA-Methylierung solch einen Schutzmechanismus gegen Krebs darstellt. Je höher das theoretische Krebsrisiko einer Tierart war, desto höher war auch die DNA-Methylierung. Dieser Zusammenhang zeigte sich bei Vögeln besonders deutlich. Vögel haben generell ein geringes Krebsrisiko, auch Adler und Kaiserpinguine, die groß und langlebig sind. Es erscheint daher plausibel, dass die höhere DNA-Methylierung des Erbguts in Tier- und insbesondere Vogelarten mit großen Körpern und langem Leben einen erhöhten Schutz vor Krebs bietet.

Neue Methoden zur Analyse der DNA-Methylierung in der Evolution
Insgesamt liefert die Studie die bisher umfassendste Analyse der Epigenetik in ihrem evolutionären Kontext. Außerdem etabliert sie neue Methoden, um die DNA-Methylierung in diversen Tierarten und Ökosystemen zu studieren. Für viele Tierarten ist das Erbgut bisher nicht umfassend kartiert, weswegen das Team eine Methode zur Analyse der DNA-Methylierung unabhängig von einem Referenz-Genom für die jeweilige Tierart entwickelt und optimiert hat.  

Johanna Klughammer, inzwischen Professorin am Gene Center der Ludwig-Maximilians-Universität München, erklärt: „Unsere neue Methode ermöglicht, das Zusammenspiel von Genetik und Epigenetik all jener Tierarten zu studie-ren, die bisher für epigenetische Analysen kaum zugänglich waren. Und hoffentlich können wir so auch die Rolle der Epigenetik beim Menschen, bei der Entstehung von Krebs und beim gesunden Altern besser verstehen.“

Publikation: Nature Communications
„Comparative analysis of genome-scale, base-resolution DNA methylation profiles across 580 animal species“
Johanna Klughammer*, Daria Romanovskaia*, Amelie Nemc, Annika Posautz, Charlotte Seid, Linda C Schuster, Melissa C. Keinath, Juan Sebastian Lugo Ramos, Lindsay Kasack, Annie Evankow, Dieter Prinz, Stefanie Kirchberger, Bekir Ergüner, Paul Datlinger, Nikolaus Fortelny, Christian Schmidl, Matthias Farlik, Kaja Skjærven, Andreas Bergthaler, Miriam Liedvogel, Denise Thaller, Pamela A. Burger, Marcela Hermann, Martin Distel, Daniel L. Distel, Anna Kübber-Heiss, Christoph Bock
*geteilte Erstautorenschaft
DOI: https://doi.org/10.1038/s41467-022-34828-y