(Wien, 29-04-2024) Cannabinoide sind körpereigene Hormone bzw. Wirkstoffe, die in verschiedenen Pflanzen zu finden sind, am bekanntesten als THC in Hanf. Das therapeutische Potenzial dieser Substanzen ist Gegenstand intensiver Forschung, sorgt aber aufgrund der bewusstseinsverändernden Effekte und des Suchtpotenzials auch für Kritik. Nun hat ein Forschungsteam um Christian Gruber von der MedUni Wien ein neues Phytocannabinoid in Duftveilchen (Viola odorata) entdeckt. Die Substanz interagiert mit einem bestimmten Rezeptor-Typ, der keine psychoaktive Wirkung auslöst, und könnte aufgrund seiner besonderen Eigenschaften die Erforschung und Entwicklung neuartiger Medikamente zur Behandlung von Autoimmunerkrankungen, Schmerzen oder chronischen Entzündungen ermöglichen. Die Studienergebnisse wurden aktuell im renommierten „Journal of Biological Chemistry“ publiziert.
Bei ihren Forschungen konzentrierte sich das Team um Christian Gruber vom Zentrum für Physiologie und Pharmakologie der MedUni Wien auf einen bestimmten zellulären Rezeptor, der eine wichtige Rolle bei der Regulation des Immunsystems spielt und aktuell in der Wissenschaft als große Hoffnung z. B. in der Schmerzbehandlung oder Wundheilung gilt. Der Cannabinoid-Typ-2-Rezeptor (CB2R), welcher im Gegensatz zum Cannabinoid-Typ-1-Rezeptor (CB1R) nicht mit psychoaktiven Wirkungen von Cannabinoiden in Verbindung gebracht wird, kann immunmodulierende und entzündungshemmende Prozesse in Gang setzen, sobald er aktiviert wird. „Trotz intensiver Forschung zur Entwicklung von CB2R-selektiven Therapeutika, hat bisher keines den strengen präklinischen Bewertungen standgehalten, sodass es aktuell keinen derartigen Arzneistoff gibt“, umreißt Christian Gruber die Ausgangslage.
Auf der Suche nach Substanzen, die mit CB2R interagieren, entdeckte das Forschungsteam einen bisher unbekannten Wirkstoff in Duftveilchen (Viola odorata). „Wie unsere Untersuchungen zeigten, wirkt das isolierte Phytocannabinoid-Peptid namens vodo-C1 als vollwertiger Agonist am CB2R“, so Erstautorin Nataša Tomašević vom Zentrum für Physiologie und Pharmakologie der MedUni Wien. Das bedeutet, dass dieses pflanzliche Cannabinoid selektiv an den CB2R bindet und diesen aktivieren kann, ohne dabei den Cannabinoid-Typ-1-Rezeptor zu anzuregen, welcher psychoaktive Wirkungen auslöst.
Hohe Wirksamkeit und großes Potenzial
Basierend auf diesen Erkenntnissen wurden in Zusammenarbeit mit der Universität Wien (Institut für Biologische Chemie) bestimmte Peptid-Substanzen entwickelt (sog. allosterische Modulatoren), die die Wirkung von (endogenen) Cannabinoiden verstärken können, indem sie die Aktivität des CB2-Rezeptors gezielt beeinflussen. „Damit eröffnet unsere Forschung neue Möglichkeiten für die Entwicklung von CB2R-basierten Medikamenten mit weniger Nebenwirkungen“, blickt Christian Gruber in die Zukunft der Pharmakologie.
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass das Duftveilchen seit Jahrhunderten in der persischen und indischen Ethnomedizin eingesetzt wird. Mancherorts greift man bis heute zur Behandlung von Schmerzen oder Entzündungen der Atemwege oder des Darms auf verschiedene Zubereitungen aus der wohlriechenden Blume zurück. Dank intensiver Forschungen sind bereits eine Reihe von Inhaltsstoffen wie z. B. Zyklotide des Veilchens bekannt, die therapeutisch wertvolle Eigenschaften haben. So wird z. B. ein dem nun entdeckten vodo-C1 verwandtes Zyklotid (T20K), welches aus einer afrikanischen Heilpflanze isoliert wurde, als mögliches Medikament gegen Multiple Sklerose untersucht.
Publikation: Journal of Biological Chemistry
Discovery and development of macrocyclic peptide modulators of the cannabinoid 2 receptor.
Nataša Tomašević, Fabiola Susanna Emser, Edin Muratspahić, Jasmin Gattringer, Simon Hasinger, Roland Hellinger, Peter Keov, Manuel Felkl, Jürg Gertsch, Christian F.W. Becker and Christian W. Gruber.
DOI: 10.1016/j.jbc.2024.107330