Was bedeutet Hämophilie?
Die Hämophilie (Bluterkrankheit) ist eine angeborene, geschlechtsgebunden (X-chromosomal rezessiv) vererbte Gerinnungsstörung, hervorgerufen durch einen Mangel oder Defekt eines Proteins der Gerinnungskaskade, des Faktor VIII (Hämophilie A) oder Faktor IX (Hämophilie B).
Schweregrade der Hämophilie
Die Hämophilie betrifft nur Männer, während Frauen zumeist nur Überträgerinnen des Gendefektes (Konduktorinnen) sind. Konduktorinnen können eine leichte Blutungsneigung haben. Bei etwa 30% der Patienten ist die Familienanamnese negativ, man spricht von der sporadischen Hämophilie.
Welche Beschwerden können bei der Hämophilie auftreten?
Klinisch äußert sich dieser Defekt durch Blutungen in Gelenken und Muskulatur sowie in Weichteilen und inneren Organen (im Verhältnis von circa 80:20). Solche rezidivierenden Blutungen führen ohne Behandlung durch die Schädigung der Gelenke (Knorpel, Synovia) und die dadurch bedingten Muskelveränderungen (Atrophien, Verkürzungen) zu Gehbehinderung und Invalidität. Die klinische Symptomatik korreliert mit der Faktor VIII oder Faktor IX Aktivität, man unterscheidet daher bei beiden Formen vier Schweregrade:
- schwere Hämophilie: 0–1 % Faktorrestaktivität
- mittelschwere Hämophilie: 2–5 % Faktorrestaktivität
- leichte Hämophilie: 6–15 % Faktorrestaktivität
- Subhämophilie: 16–50% Faktorrestaktivität
Die schwere Verlaufsform der Hämophilie, weniger die mittelschwere, ist durch sogenannte Spontanblutungen gekennzeichnet, das sind Blutungen ohne vorhergehende Verletzung oder Operation. Die Krankheit äußert sich bereits in der frühen Kindheit, wenn das Kind zu gehen beginnt. Es kommt zum Auftreten von subkutanen Hämatomen und Gelenkblutungen, vor allem in den Sprung- und Ellbogengelenken.
Bei der leichten Form und bei der Subhämophilie sind solche Spontanblutungen selten, sondern es treten Blutungen nur nach Verletzungen oder Operationen auf. Die leichte oder Subhämophilie wird oft erst im Erwachsenenalter diagnostiziert.
Therapie der Hämophilie
Der fehlende Gerinnungsfaktor VIII kann nur über die Vene zugeführt werden. Man unterscheidet bei der Behandlung die
a) Faktorgabe „on demand“ (bei Blutungen) und die
b) prophylaktische Faktorgabe
Kinder mit einer schweren Hämophilie werden zunächst „on demand“ behandelt. Bei häufigen Blutungen, insbesondere in die Gelenke, wird baldmöglichst auf eine prophylaktische Faktor VIII Gabe umgestellt. Das bedeutet, dass das Kind, evtl. schon ab dem Lauflernalter (ca. 12-16 Monate) regelmässig den fehlenden Faktor erhält. Da dieser über die Vene gegeben werden muss, ist meist vorher die Anlage eines permanenten Venenzuganges erforderlich. Das Ziel der prophylaktischen Faktorgabe ist ein kontinuierlicher Faktor Spiegel über 1%, womit Ihr Kind beim Laufenlernen, Spielen und bei Unfällen besser geschützt ist. Durch die prophylaktischen Faktorgaben treten weniger Blutungen und damit langfristig weniger Gelenkschäden auf. Studien zeigen, dass Patienten mit Hämophilie heutzutage aufgrund der enorm besseren Gelenksituation eine gute Lebensqualität und normale Lebenserwartung haben.
Kinder mit einer mittelschweren Hämophilie benötigen sehr selten eine Faktorprophylaxe. Und auch Kinder mit einer leichten oder Subhämophilie brauchen meist nur eine „on demand“ Therapie.
Kann mein Kind mit Hämophilie den Kindergarten besuchen? Ein Kind mit Hämophilie kann ganz normal den Kindergarten und später die Schule besuchen. Durch die prophylaktische Faktorgabe ist es gut geschützt und kann auch mitturnen und an Ausflügen teilnehmen, etc. Sport wird sogar empfohlen, da es die Geschicklichkeit fördert und das Verletzungsrisiko vermindert. Für Notfälle sollte das Kind IMMER seinen Hämophilie-Ausweis bei sich haben.
Von Willebrand Syndrom
Was ist das Von Willebrand Syndrom?
Das Von Willebrand (Jürgens) Syndrom (vWS) ist ebenfalls eine angeborene Gerinnungsstörung. Das vWS ist sogar häufiger als die Hämophilie, hat aber zumeist einen viel milderen klinischen Verlauf, so daß viele Betroffene ein Leben lang nicht auffallen. Das vWS betrifft sowohl Knaben als auch Mädchen. Der von Willebrand Faktor (vWF) spielt eine wichtige Rolle bei der Blutstillung, da er einerseits als Brückenbildner zwischen verletzter Gefäßwand und Blutplättchen wirkt und andererseits den Gerinnungsfaktor VIII stabilisiert.
Symptome des Von Willebrand Syndroms
Die häufigsten Symptome bei Kindern mit vWS sind Nasenbluten und die Neigung zu blauen Flecken nach Bgatellverletzungen. Weiters können bei Operationen, vor allem im Schleimhautbereich (Hals-, Nasen- und Ohren oder bei Zahnbehandlungen) können Blutungskomplikationen auftreten, wofür eine vorbeugende Behandlung indiziert ist. Bei Mädchen nach der Pubertät können auch verstärkte Monatsblutungen auftreten. Bei schwerem vWS kommt es neben Schleimhautblutungen aufgrund des FVIII-Mangels zu Blutungen ähnlich wie bei der Hämophilie A.
Wie werden Kinder mit vWS behandelt?
Die Behandlung kann mit der Substanz Desmopressin (MinirinR, OctostimR) erfolgen, die körpereigene Reserven des vWF mobilisiert und so die Blutgerinnung für einige Zeit verbessert. Es sprechen allerdings nur milde und mittelschwere Verlaufsformen des vWS auf Desmopressin an und die Wirksamkeit muss bei jedem individuellen Patienten vorher getestet werden. Für schwere Formen ist die Gabe von vWF-Konzentrat erforderlich, das aus menschlichem Plasma gewonnen wird.